Wie die Schwalben fliegen sie aus. Ursula Lüfter
kann er das! Wo ist der her?‘ ‚Aus Mailand‘, hab ich gesagt. Dann habe ich ihr gesagt, dass ich mit ihm nach Mailand gehen soll. ‚Das wird dir doch nicht einfallen‘, hat sie daraufhin gesagt. ‚Was tu ichdann hier, wenn ich niemand in der Küche hab, nein das geht nicht!‘ ‚Cosa ha detto la signora?‘14, hat der Hauptmann wissen wollen, er hat vielleicht ein bisschen verstanden, wahrscheinlich. ‚Ich darf nicht nach Mailand gehen.‘ ‚E perché no?‘ Sie hätte dann niemand hier. ‚Questo non mi interessa niente.‘ ‚No, no, no‘, hat die Rosa gesagt, ‚Marianne sta qui.‘15 Dann hat er gesagt, er gebe mir 120 Lire, das wäre ein Unterschied, meinte er. ‚Soltanto ottanta Lire e così tanto lavoro‘16. Ich habe dann gesagt, ich müsse zuerst meine Mutter fragen, ob sie mich nach Mailand gehen lässt. ‚Alla mamma non piace così lontano.‘“ Marianna informierte ihre Mutter telefonisch über das Angebot. „‚Na, na, na, sonst wird dir nichts anderes einfallen!‘, hat die Mutter gesagt, ‚nach Mailand zu gehen.‘ Ich hab mir gedacht, der Lohn, der Lohn, hab ich mir gedacht, 120 Lire anstatt 80 Lire.“ Der höhere Lohn überzeugte schließlich auch die Eltern, nicht zuletzt weil sie das Geld für den Neubau der Wirtschaftsgebäude brauchten. Marianna blieb bis zum Ende der Saison noch auf dem Reschen, im Herbst fuhr sie dann nach Mailand.
Um nicht nur im engen Rahmen des Urlaubsortes nach dem geeigneten Mädchen zu suchen, inserierten Gäste in den örtlichen Zeitungen mit der Aufforderung an die Interessierten, sich persönlich vorzustellen.17 Der Vorteil der Anwerbung vor Ort lag auf der Hand, die „Herrschaften“ lernten die Mädchen bereits vor dem Arbeitseintritt kennen, hatten Gelegenheit, sie zu begutachten und sie zum Teil auch bei der Arbeit zu beobachten.
War ein Mädchen in Stellung in einer italienischen Stadt, so fungierte es als Kontaktperson: Bereits beschäftigte Mädchen vermittelten weitere Mädchen aus ihrem Heimatdorf an ihre oder auch an andere Arbeitgeber. In einem Brief vom 27. September 1927 an Rosa Kobler nahm die Schwester darauf Bezug: „Hast du für die Mädlen um einen Posten geschaut, gell das wird nicht so leicht sein.“ Allerdings war diese Vermittlungstätigkeit nicht unproblematisch. In einem weiteren Brief an Rosa Kobler heißt es: „Die N. N., die ich zur Gräfin Tun empfehlen wollte, ist schon im vierten Posten in Mailand, gut nicht wahr, dass ich es lies?“ Auch Elisabeth Zischg bedauerte es, ein Mädchen aus Prad an ihre „Herrschaft“ vermittelt zu haben, da sich dieses in ihren Umgangsformen nicht den Erwartungen der „vornehmen“ Umgebung anpasste und an seinem bäuerlich derben Auftreten festhielt. Maria Erlacher äußert ähnliche Bedenken: „Meine anderen Geschwister, die sind nicht nach Italien, die sind nur zu den Bauern gegangen. Dann haben sie mich beneidet. Auf der deutschen Botschaft in Rom, wie ich dort gearbeitet habe, da hätten sie schon jemand gesucht. Aber nein, das wäre nichts gewesen für meine Schwestern. Da muss man sich schon ein bisschen auskennen, man muss auch eine Erfahrung haben, beim Putzen, sonst geht das nicht. Und mir wär das auch nicht recht gewesen, wenn eine von ihnen heruntergekommen wäre. Die wollten auch nicht.“ Dass das empfohlene Mädchen nicht den Vorstellungen der Herrschaft entsprechen könnte, war die größte Sorge auf der Seite der Vermittlerinnen, während sich die Vermittelten auf Grund der persönlichen Bekanntschaften doch annehmbare Arbeitsbedingungen erwarteten.
Nach 1945 war das Dienen in italienischen Städten schon viel vertrauter: Ältere Bekannte, Tanten oder sogar die eigene Mutter bahnten nun für die jungen Mädchen den Weg in eine der italienischen Städte an. Sie kannten meistens aus eigener Erfahrung die Umstände und die Vorteile eines solchen Arbeitsverhältnisses. Oft waren sie auch noch in Verbindung mit ihren eigenen ehemaligen Arbeitgebern.18 Maria Jesacher erhielt ihre Stelle über eine Bekannte aus Sexten: „Die Frau Happacher war lange Zeit in Rom, und da hat sie halt quasi Stellen vermittelt. Die war oft in Prags, und da hat sie mir die Stelle verschafft.“19 Solche Frauen gab es mehrere über ganz Südtirol verteilt, zum Teil führten sie die Vermittlung kostenlos durch, meist erwarteten sie aber ein Entgelt.20
In Rom betrieb „Professor Schick“, ein älterer Herr deutscher oder österreichischer Nationalität21, in den 50er und 60er Jahren ein informelles Stellenvermittlungsbüro für Mädchen aus Südtirol, Deutschland, Österreich und der Schweiz zuerst in der Anima, dann am Monteverde. Seine Adresse wurde unter den Mädchen in Südtirol weitergegeben, man kontaktierte ihn schriftlich von Südtirol aus oder persönlich nach der Ankunft in Rom. Er vermittelte den Mädchen gegen mäßige Gebühren Stellen bei respektablen Familien, kümmerte sich um sie in der Freizeit, erteilte ihnen Englischunterricht und ermunterte sie, sich in Kursen weiterzubilden.
Mädchen, die aufs Geratewohl losfuhren, wussten von der Vermittlungstätigkeit einiger deutscher Klöster in Mailand, Florenz und Rom. Wo es kein solches Kloster gab, suchten die Mädchen Vermittlungsbüros vor Ort auf: „Ich bin mit der Maria Theresia ohne Stelle nach Neapel gefahren, sie hat gesagt, wir werden schon etwas finden. Wir gehen halt hin zur Stellenvermittlerin. Die hat sie gewusst. Das war außerhalb von Neapel. Dann habe ich nicht weit von ihr eine Stelle bekommen“, berichtet Antonia Saurer.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts florierten in allen größeren Städten Europas gewerblich betriebene Stellenvermittlungsbüros, wo Arbeitgeber und Arbeit Suchende ihre Anfragen gleichermaßen einbringen konnten. Sehr oft waren Frauen Inhaber der Agenturen zur Vermittlung von Hauspersonal.22 Mit dem Aufkommen der Arbeiterbewegung, dem Entstehen von Gewerkschaften und sozialen Verbänden begann auch die Diskussion um die Arbeitsbeschaffung, der Ruf nach einer staatlich geregelten und unentgeltlichen Arbeitsvermittlung wurde laut. Kritikpunkte an der auf Gewinn zielenden Stellenvermittlung waren überhöhte Gebühren, absichtlich unpassende Vermittlung, um bei den betreffenden Personen schnell wieder ins Geschäft zu kommen, gezieltes Abwerben und fingierte Annoncen.23 Infolge der allgemeinen Diskussionen um die Arbeitsvermittlung führte man auch in Italien ab Ende des 19. Jahrhunderts Maßnahmen zur öffentlichen Regelung des Arbeitsmarktes ein und erließ entsprechende Gesetze, die nicht nur die Vermittlung regeln sollten, sondern allgemein die staatliche Kontrolle des Arbeitsmarktes zum Ziele hatten.24 Die Vermittlung von Hauspersonal beließ man hier allerdings in privater Hand, und so bestand in den Städten die kommerzielle Stellenvermittlung weiter. Daneben schufen soziale und christliche Verbände Einrichtungen zur Stellenvermittlung mit dem Ziel, die Mädchen einmal vor der Ausbeutung durch die gewerblich betriebenen Büros und zum anderen vor unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu schützen. Damit Letzteres möglich war, überprüfte man die moralischen Qualitäten der potentiellen Arbeitgeber und forderte entsprechende räumliche Gegebenheiten, die zur Unterbringung eines Dienstmädchens notwendig waren. Auf dem Land überwog weiterhin das informelle System über familiäre und persönliche Beziehungen. Es war nach wie vor der bequemste, sicherste und billigste Weg zu einer Arbeitsstelle.25
Beauftragt mit der Beschaffung von Hauspersonal für italienische Familien wurden auch Südtiroler Vermittlungsbüros. Die Agenturen Ennemoser und Pedroß in Meran26 sowie Lanthaler27 und Jean Mesmer in Bozen28 boten in den Südtiroler Tages- und Wochenzeitungen regelmäßig Beschäftigungsmöglichkeiten in italienischen Städten an. Besonders engagiert war das „Platzierungsbüro“ Ennemoser in Meran. Bereits 1926 suchte es über eine Anzeige in der Alpenzeitung für Italien und die Schweiz „Herrschaftsköchin, Privat-Stubenmädchen und Mädchen für alles sowie Gärtner-Ehepaar“.29 Dieses Dienstboten- und Wohnungsvermittlungsbüro mit Sitz in den Wasserlauben scheint erstmals 1894 im Adressbuch von Meran auf, Inhaber war damals Johann Ennemoser. Nach seinem Tod betrieb seine Witwe Anna das Büro, ab zirka 1929 gemeinsam mit ihrer Tochter Katharina. Nach dem Tod Annas im Jahre 193130 führte die Tochter das Büro allein weiter. Sie verlegte es vom Rennweg in die Otto-Huber-Straße.31
Berücksichtigt man, dass in der Zwischenkriegszeit nur drei der befragten Südtiroler Frauen über ein Vermittlungsbüro ihre Stelle erhalten haben, kann man wohl annehmen, dass sie von den Mädchen am Land nicht besonders genutzt wurden. Vielleicht galten die „Platzierungsbüros“ auch in Südtirol als „unsaubere Kanäle“ mit wenig Garantie für einen „guten“ Arbeitsplatz. Außerdem entstanden auch Kosten, die die Mädchen wohl abschreckten.32 Oder es lag schlicht und einfach daran, dass es die Büros nur in den Städten gab und diese