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vom freien Leben der Roma mit ihren stolzen Männern und lockenden Frauen, ist Aufklärung notwendig, denn Konstrukte sind gefährlich. „Die Franzosen“ oder „die Rumänen“ waren jahrhundertelang mit schlechten Eigenschaften charakterisiert, die sie zum kollektiven Erbfeind westlich des Rheins bzw. östlich der Habsburger Monarchie machten. Nach zwei Weltkriegen konnten viele Feindbilder überwunden werden, erhebliche Anstrengungen waren dazu notwendig und ihr Erfolg war in hohem Maß Ergebnis politischer Bildung.
In der Praxis bedeutet die zur Überwindung von Vorurteilen und Auflösung von Feindbildern notwendige Anstrengung zähe Kleinarbeit, die mit präzisen Informationen und rationalen Argumenten Aufklärung leistet gegen Trugbilder, Mythen, Illusionen, die politisch instrumentalisiert Schaden stiften. Der Wunsch von Zeitgenossen, die den Nationalsozialismus miterlebt haben und ein Stück privater Lebenswelt retten wollen mit positiven Vorurteilen wie z.B. der Behauptung, es sei ja nicht alles schlecht gewesen im Dritten Reich, Hitler habe ja schließlich auch die Autobahnen gebaut, die Motorisierung forciert, die Arbeitslosigkeit beseitigt oder die Rolle der Frau im NS-Staat sei doch erfreulich gewesen – dieser Wunsch ist subjektiv nachvollziehbar, ändert aber nichts an der historischen Realität des Unrechtsregimes. Wichtig ist es, die Zusammenhänge offenzulegen und Illusionen zu zerstören, denn die Autobahnen waren volkswirtschaftlich in den 1930er Jahren sinnlos, die Arbeitslosigkeit wurde vor allem durch Rüstung beseitigt, die Krieg und Staatsbankrott bedeutete, und Frauen waren ohne Einfluss, worüber sie durch einen raffiniert inszenierten Mutterkult getäuscht werden sollten. Solche Metaphern zu analysieren hat den Zweck, die Verklärung des „Dritten Reiches“, das auf Vorurteilen und Feindbildern gegründet war, zu verhindern. Beim Rückblick darf es jedoch nicht bleiben. Neue Vorurteile und Feindbilder wie der Hass gegen Muslime, die Abneigung gegen Flüchtlinge und Migranten als „Fremde“, die Revitalisierung von Nationalismus sind nicht minder gefährlich wie die Ressentiments, die den Nationalsozialismus ermöglichten.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Der in den Sozialwissenschaften ziemlich neue Begriff „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ schließt alle Verhaltensweisen gegenüber ethnischen, sozialen, kulturellen Minderheiten ein, die aus Ressentiments entstanden sind und tendenziell in Gewalt münden. Die Ressentiments können aus religiösen Gründen (Islamfeindschaft), aus rassistischen Vorbehalten (gegen Sinti und Roma, Afrikaner oder Asiaten), aus beiden Wurzeln (Judenfeindschaft) und ebenso aus politischen, sozialen und kulturellen Vorurteilen erwachsen (z.B. gegen Ausländer, Schwule und Lesben, beliebig definierte Feinde wie „Fremde“ oder „Andere“). Zur strukturellen Gemeinsamkeit der Feindschaft gegen Gruppen gehört die vermeintliche Unverträglichkeit von Eigenschaften der abgelehnten Gruppe mit den Gewohnheiten der Mehrheit, die angeblich unüberwindliche Integrationsverweigerung von Migranten oder eingesessenen Minoritäten, die Unvereinbarkeit der Religion oder das aus Angst und Unsicherheit erwachsende Gefühl der „Überfremdung“, das mit Verschwörungsphantasien gestützt wird. So behaupteten Antisemiten im 19. Jahrhundert, der Zustrom von Juden aus Osteuropa habe das Ziel, Deutschland zu unterwandern und zu dominieren. Die gleiche Sorge wird heute von Muslimfeinden geäußert und mit dem Schlagwort der Abwehr einer „Islamisierung des Abendlandes“ politisch propagiert.
Antisemitismus, d.h. Judenfeindschaft in jeder Erscheinungsform, ist das älteste politisch und gesellschaftlich wirksame Vorurteil mit den schlimmsten Folgen in der Geschichte. Als Antijudaismus diente ursprünglich religiös motivierte Judenfeindschaft zur Ausgrenzung der Minderheit. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich mit rassistischer statt religiöser Begründung der moderne Antisemitismus, dem nach dem Holocaust ein aus Schuld- und Schamgefühlen genährter „sekundärer Antisemitismus“ folgte. Als politisch argumentierende Judenfeindschaft trat nach der Gründung Israels der aktuelle Antizionismus hinzu.
Muslimfeindschaft, für die auch die Begriffe Islamkritik und Islamophobie benützt werden, setzt sich aus religiösen, kulturellen und rassistischen Vorbehalten zusammen und enthält ein aus Bedrohungsgefühlen entspringendes Abwehrpotential. Die strukturelle Verwandtschaft von Antisemitismus und Islamophobie wird oft nicht erkannt oder von Akteuren aggressiv geleugnet, weil die Erkenntnis verweigert wird, dass Opfergruppen beliebig austauschbar sind, die Methoden der Ausgrenzung aber gleich bleiben.
Mit den Begriffen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind Probleme der Ausgrenzung von Menschengruppen – von der Verweigerung der gesellschaftlichen Teilhabe bis zur ausgrenzenden Gewalt – umschrieben. Rassismus schließt die ältere biologistische Ablehnung von Gruppen (definiert durch „Blut“ und „Volkstum“) ein, meint aber, seit sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es keine „Rassen“ gibt, auch die Ablehnung beliebig definierter Andersartigkeit (Kulturrassismus). Für die notwendige Differenzierung des irrationalen Phänomens Rassismus nutzt die Ressentimentforschung den Antisemitismus als Erkenntnis leitende Erfahrung: Judenfeindschaft in allen Formen richtet sich gegen Menschen, weil sie Juden sind, deren angebliche Vergehen und Eigenschaften von außen definiert sind, ohne Tatsachen zu beachten. Die Konsequenz des Judenhasses in der Menschheitskatastrophe des Holocaust macht den Antisemitismus einmalig.
Strukturell folgt die Islamfeindschaft jedoch den gleichen Motiven und Regeln. Muslime werden gehasst, weil sie Muslime sind, die erforderlichen negativen Eigenschaften werden erfunden, um die Minderheit ausgrenzen zu können. Eine Besonderheit besteht in der Delegation der Judenfeindschaft auf Muslime, mit der sowohl Muslimfeindschaft begründet als auch von der latenten Judenfeindschaft der christlichen Mehrheit abgelenkt wird. Die Ausgrenzung von Muslimen mit dem pauschalen Argument, sie seien Antisemiten und kämen als Flüchtlinge getarnt, um Judenfeindschaft zu verbreiten, ist abwegig, wird aber von Interessenten politisch mit einigem Erfolg instrumentalisiert. Zur Ausgrenzung von Juden und Muslimen werden sowohl rassistische als auch religiöse und kulturelle Kategorien benutzt. Der Ausschluss von Sinti und Roma („Zigeuner“) erfolgt nicht mit religiösen Argumenten, denn diese Minderheit hat die gleiche Religion wie die jeweilige Mehrheit, in der sie lebt. In Mittel- und Westeuropa sind Sinti und Roma überwiegend katholisch (und leben ihren Glauben meist mit größerer Hingabe als ihre Umgebung), im Südosten Europas und in der Türkei sind sie oft Muslime. Aufgrund jahrhundertealter Tradition gelten Sinti und Roma als sozial und kulturell unverträglich mit der Mehrheit und werden deshalb mithilfe von negativen Zuschreibungen (kriminell, nicht integrierbar, gemeinschaftsfremd usw.) genuin von der sozialen Teilhabe ausgeschlossen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit erfahren auch Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung. Auch bei offizieller Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben existieren Vorbehalte, die auch in aufgeklärt-toleranten Kreisen insgeheim gepflegt werden. Die Mehrheit verständigt sich in solchen Fällen durch Codes der Verachtung, der Preisgabe an Lächerlichkeit oder durch stillschweigende Ausgrenzung. Ähnliche Formen eines solchen heimlichen Rassismus erfahren auch Behinderte.
Versteht man – mit der notwendigen Differenzierung – Rassismus gegen ganz unterschiedliche Menschengruppen aufgrund ethnischer, religiöser, sozialer, kultureller Stigmatisierung als Summe der Begründungen von Fremdenfeindlichkeit, als Begründung von Ausgrenzung, Intoleranz und Inhumanität, als Argument zur Rechtfertigung von Gewalt, dann ist evident, dass jede daraus erwachsende Haltung undemokratisch ist.
Rechtsextremismus als Gesinnung
Die theoretisch-exakte Definition sowohl des Begriffs Rechtsextremismus als auch seiner Inhalte stößt auf erhebliche Schwierigkeiten. Rechtsextreme Gesinnung und daraus entspringende Bestrebungen – Organisationen, Publikationen, Aktionen – können als politische Erscheinung immer nur annähernd bestimmt werden, da ihr keine allgemein verbindliche, wissenschaftlich entwickelte und systematisch fassbare Ideologie zugrunde liegt. Es gibt nicht einmal eine Übereinkunft, ob „Extremismus“ oder „Radikalismus“ die richtige semantische Kategorie ist, unter der Gesinnung und Aktivitäten der äußersten Rechten einzuordnen wären. Ebenso wenig ist festgelegt, wo rechtspopulistische und demagogische Strömungen in Rechtsextremismus übergehen.
Aber gerade hier ist die Nahtstelle, wie schon das Beispiel des brandenburgischen Dorfes Dolgenbrodt lehrt. Die Dorfbewohner, die am 1. November 1992 das Ausländerheim abfackeln ließen, haben das, was als Ausfluss rechtsextremer Gesinnung geschah, ja