Alltagsrassismus. Wolfgang Benz
Denken speist sich aus Angst und Gefühlen des Bedrohtseins: Das Plädoyer für „einfache Lösungen“ angesichts unübersichtlicher Problemzusammenhänge, schwieriger Situationen und ökonomischer und sozialer Krisen gehört zum elementaren Politikverständnis im Rechtsextremismus. Es äußert sich in Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Ablehnung von Kompromiss und Toleranz und in zunehmender Gewaltbereitschaft.
Populismus: Techniken der Verhetzung
Man nannte sie früher Demagogen, d.h. Aufwiegler, heute wird Volksverhetzung mit dem Wort Populismus umschrieben und verharmlost. Die Erscheinung selbst, Stimmung für politische Interessen zu machen und dazu Ressentiments zu stimulieren, die Sachverhalte vereinfachen und verallgemeinern, Schuldige denunzieren und damit vermeintliche Erklärungen für komplizierte Probleme anbieten, ist nicht neu. Adolf Hitler predigte in den Anfängen der NSDAP nach dem Ersten Weltkrieg seinen von Ängsten geplagten Zuhörern, dass die Juden an Deutschlands Unglück schuld seien, dass die Deutschen mehr Lebensraum bräuchten und dass „Rasse“ und „Volksgemeinschaft“ die höchsten Werte und dass „Fremde“ gefährlich seien.
Die Gefolgschaft der Populisten, die Pegidademonstranten und die Wähler der AfD legen Wert auf bürgerlichen Habitus und sie wollen sich nicht als rechtsextrem beschimpfen lassen. Aber auch sie sollten begreifen, dass die Lehren aus der Katastrophe des Nationalsozialismus für den Umgang mit allen Minderheiten gelten müssen. „Fremde“ dürfen nicht als Störenfriede spießbürgerlichen Behagens und dumpfpatriotischen Selbstgenügens stigmatisiert werden. Der Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im Stress der Wende 1992 war ein Menetekel. Brennende Wohnheime von Asylbewerbern, grölende und gegen verängstigte Flüchtlinge pöbelnde Dorfbewohner wie in Clausnitz, jubelnde Fremdenfeinde in Bautzen, die Feuerwehrleute am Löschen einer brennenden Flüchtlingsunterkunft hindern wollen sind Zeichen einer vom Populismus geschürten Menschenfeindlichkeit, die zutiefst erschreckt.
Rechtspopulisten, die sich in Sekten zusammenfinden und wieder auseinanderlaufen, die sich spalten und neue Bünde gründen, sind nicht „das Volk“. Sie sind randständig, bieten aber dem Rechtsextremismus das Einfallstor und kultivieren die Schmähung des Gegners anstelle von Diskurs, genügen sich in stummer Verweigerung, statt Argumente auszutauschen und pflegen Gemeinsamkeit durch Hasstiraden. Die Abwesenheit jeder konstruktiven Idee ist ersetzt durch stumpfes Bramarbasieren und Wutgeheul. Für Pegida-Mitläufer wie für Anhänger der „Alternative für Deutschland“ und ähnliche Gruppierungen im bürgerlichen Gewand, die sich nicht als Rechtsradikale verstehen und die nicht Neonazis genannt werden wollen, gilt: Mit Hassparolen wird man kriminell, Volksverhetzung, Beleidigung, Rassismus ist nicht Politik sondern von Demagogen gesteuerte Pöbelei.
Was also ist Populismus und wo geht er in politischen Extremismus über? Angesichts der nationalromantischen und xenophoben Tiraden der Demagogen von Pegida und AfD, angesichts der Bereitschaft im Publikum, den Parolen zu folgen und irrationales Wutmenschentum auszuleben, ist die Frage nach der Gefahr des Rechtspopulismus für die Demokratie leicht zu beantworten. Das gab es auch schon einmal, Chauvinisten im Gehrock und Antisemiten mit guten Manieren. Sie bildeten die Deutschnationale Volkspartei des Geheimrats Hugenberg und richteten die Weimarer Republik zugrunde. Man war bürgerlich und nationalkonservativ, berauschte sich an nationalen Phrasen (die immer fremdenfeindlich sind) und verhalf Hitlers NSDAP in den Sattel.
Gegen irrationale Demagogen hilft nur Vernunft. Notwendig ist Aufklärung mit dem Ziel, Einsicht in schwierige Zusammenhänge zu gewinnen, um rational mit Problemen umzugehen, auf Vernunft und Logik gegründete Politik zu treiben und zu verstehen. Das ist immerwährendes Gebot des Zusammenlebens. Aufklärung ist eine Haltung, kein schnell wirkendes Wundermittel. Gegen den Krakeel Ratloser, Verführter, habituell Unzufriedener, die sich von Populisten gängeln lassen, hilft keine einmalige Anstrengung, kein „Aufstand der Anständigen“, kein Ruck, keine Aufwallung, sondern nur stetige und alltägliche Aufklärung als demokratisches Prinzip. Das ist mühsam, aber erfolgreich, wie die bisherige deutsche Geschichte nach Hitler lehrt. Vernunft muss allerdings jeden Tag aufs Neue durchgesetzt werden.
Integration statt Ausgrenzung
Deutschland ist de facto seit 1945 ein Einwanderungsland, das als Territorium unter alliierter Besatzung in den vier Zonen, die von den USA, Großbritannien, der Sowjetunion und Frankreich regiert und verwaltet wurden, etwa zwölf Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge aus den verlorenen Ostgebieten aufnehmen musste. Auf Beschluss der Alliierten mussten die unfreiwilligen Zuwanderer aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern sowie anderen ehemals deutschen Gebieten östlich der Oder und Neiße, aus der Tschechoslowakei, Ungarn und weiteren Territorien, in denen ihre Vorfahren als „Volksdeutsche“ seit Jahrhunderten gelebt hatten, in die deutsche Nachkriegsgesellschaft eingegliedert werden. Dieser Integrationsprozess gelang trotz erheblicher kulturell und emotional bedingter Reibungen zwischen Eingesessenen und Ankommenden in erstaunlich kurzer Zeit innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren. Die ankommenden Flüchtlinge und Heimatvertriebene galten nicht als Immigranten. Sie waren zwar Deutsche, wurden aber als unerwünschte Fremde wahrgenommen. Druck der Besatzungsmächte, nicht Solidarität mit den Opfern des Hitlerkrieges, war der Motor der Integration.
Die Teilung Deutschlands ab 1949 führte dann zu einem Flüchtlingsstrom aus der DDR, der bis zum Bau der Mauer 1961 auf 4,3 Millionen anstieg und erhebliche Integrationsleistungen der Bundesrepublik erforderte. DDR-Flüchtlinge erhielten sofort die BRD-Staatsbürgerschaft, waren auf dem Arbeitsmarkt willkommen und genossen soziale Eingliederungshilfen. Mit der Anwerbung von „Gastarbeitern“ wurde seit Ende der 1950er Jahre dem Arbeitskräftemangel entgegengesteuert, nach Italienern, Spaniern, Portugiesen, Griechen kamen als letzte große Gruppe Türken. Die Annahme, Gastarbeiter würden wie anfangs die Italiener nur auf Zeit und ohne Familien nach Deutschland kommen und dann in die Heimat zurückkehren, erwies sich als irrig. Aus der befristeten Arbeitsmigration wurde Zuwanderung auf Dauer, insbesondere Türken bildeten eine neue Kategorie von Bürgern der Bundesrepublik. Die DDR vermied durch Ghettoisierung und Befristung des Aufenthalts der „Vertragsarbeiter“ aus Vietnam, Mozambique oder Angola, dass aus dem Arbeitsmarktproblem ein Einwanderungsprojekt entstand. Die wirtschaftliche Rezession in der Bundesrepublik wurde 1973 mit einem Anwerbestopp für Gastarbeiter und Rückkehrprämien beantwortet.
Zuwanderer in der Größenordnung von ca. zwei Millionen Menschen waren die Russlanddeutschen, die seit den 1990er Jahren als „Spätaussiedler“ aus der Sowjetunion aufgrund ihrer Abstammung in der Bundesrepublik Aufnahme fanden, ebenso wie Juden aus der Sowjetunion aufgrund eines der letzten Gesetze der Volkskammer der DDR, die 1990 als Geste der Wiedergutmachung eingeladen waren, nach Deutschland zu kommen. Jüdische Kontingentflüchtlinge wanderten daraufhin von 1991 bis 2004 in das vereinigte Deutschland ein.
Als politisches Asyl war die Bundesrepublik aufgrund des großzügigen Verfassungsartikels und der ökonomischen Perspektiven so attraktiv, dass Möglichkeiten des Zugangs auf Betreiben konservativer Politiker durch Grundgesetz-Änderungen sukzessive erschwert wurden. Der Slogan „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ sorgte für Wählerstimmen, das Fehlen eines Einwanderungsgesetzes und mangelnde Anstrengungen zur Eingliederung von Migranten in die deutsche Gesellschaft erwiesen sich gegenüber türkischen Arbeitsmigranten in den 1980er Jahren ebenso wie gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen aus Jugoslawien in den 1990er Jahren als folgenreich: Bei vielen Deutschtürken ist das Bewusstsein gespalten in Zugehörigkeitsgefühle einerseits und Empfindungen der Unerwünschtheit andererseits. Mangelnder Bildungserfolg bei Jugendlichen bedeutet vielfach deren soziale und ökonomische Perspektivlosigkeit. Humanitäre Hilfe für bosnische Bürgerkriegsopfer mündete, nach Jahren des Aufenthalts oft in Abschiebung in eine „Heimat“, in der die Flüchtlinge fremd und unerwünscht waren, in der aber kein Krieg mehr herrschte. Die juristische Begründung der Verweigerung weiteren Aufenthalts in Deutschland war unanfechtbar, bedeutete aber für die inzwischen heranwachsende zweite Generation mit Deutsch als Muttersprache, entsprechender Sozialisation und keinerlei Bindung an die Herkunftsnation der Eltern eine Katastrophe. Die ganze Zwiespältigkeit politischen Handelns wurde im Schicksal Jugendlicher deutlich, die aus der Schule heraus in ihre „Heimat“ deportiert wurden. Viele sahen in der illegalen Rückkehr nach Deutschland den einzigen