Das Gold der Träume. Ralph Dutli
großflächigen Abholzungen des Regenwaldes einhergeht, sind nur ein Beispiel. Die Lungen der Erde werden auch durch Goldgrabungen durchlöchert.
Zwar gibt es auch Scheideanstalten, die nur Gold recyceln, d. h. aus hochwertigem Goldschrott gleichsam »neues Gold« machen. Mehr als zwei Drittel der Goldgewinnung stammen aus Bergwerken, es ist »Primärgold«, der Rest kommt aus der Wiederverwertung. Die Ökobilanz fällt dabei natürlich besser aus als beim Bergbau. Dank seiner Leitfähigkeit und chemischen Unveränderlichkeit ist Gold in Elektronik und Computertechnik, im Herzen der Prozessoren und in USB-Sticks unersetzlich. Keine Informatik, keine Raumfahrt ohne Gold. Auch das süße Handy will Gold in seinen Innereien …
Ein konkretes Beispiel für überzeugendes Recycling: die olympischen Sommerspiele 2021 in Japan. Hier wurden im Vorfeld aus vielen Tonnen Elektroschrott, den die Japaner in großen, im ganzen Land verteilten Sammelboxen gespendet hatten, 32 Kilogramm Gold, 4100 Kilogramm Silber und 2700 Kilogramm Bronze gewonnen und daraus insgesamt 5000 olympische Medaillen im Wert von drei Millionen Euro hergestellt. Selbst Olympia lernt sparen und recyceln. Auch dafür sollte es eine Goldmedaille geben.
Die bisher in der Gesamtgeschichte der Menschheit geförderte Goldmenge beträgt ungefähr 200.000 Tonnen. Ein verblüffend schlicht anmutender Würfel von nur einundzwanzig Metern Seitenlänge könnte aus dem gesamten Gold der Menschheit geformt werden. Als imaginäres Monument seiner Seltenheit. Zwei Drittel davon wurden jedoch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gewonnen, sie verraten also einen besonderen Goldhunger unserer Zeit, neben gesteigerten industriellen Fertigkeiten.
Das lateinische Wort aurum hat sich in die romanischen Sprachen fortgesetzt (or, auro), das deutsche »Gold« geht auf die indogermanische Wurzel ghel zurück, die »gelb« und »glänzend« bedeutet. Das Visuelle, der helle gelbe Glanz also hat hier das Wort bestimmt. Aber Vorsicht: Gold ist bei aller lautlichen Nähe zum »Geld« wortgeschichtlich nicht damit verwandt, Letzteres stammt aus dem althochdeutschen gelt, das noch in »Vergeltung« und »Entgelt« hörbar ist. Gold beharrt auf seinem eigenen Ursprung, seiner eigenen Wortgeschichte.
Das chemische Element Nr. 79 im Periodensystem ist weich, aber schwer. Von hoher Dichte, leicht dehnbar und formbar, sein Schmelzpunkt nicht einmal besonders hoch: 1064,18 Grad. Gold ist schon in seiner chemischen Anlage ein Paradox. Weich und formbar, aber ohne chemische Reaktion: Es reagiert nicht auf den Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen, rostet nicht, zersetzt sich nicht. Es reagiert überhaupt nicht, es ruht in sich selbst, eignet sich ideal für Schmuck, Statuen, Münzprägungen, Grabbeigaben. Schwer und weich und unzerstörbar: Jeder Verwitterung trotzend, ist es ein permanenter Widerstand gegen alle Vergänglichkeit, eine goldene Verkörperung der Ewigkeit.
Die Maßeinheit für den Feingehalt oder die Reinheit des Goldes wird in Karat gemessen: 24 Karat bedeutet die höchste Reinheit, tritt Gold vermischt mit anderen Metallen auf (Silber, Kupfer), nimmt diese Reinheit naturgemäß ab, 18 Karat meint: Dreiviertel Gold, das andere Viertel besteht aus einem anderen Metall. Es ist praktisch unmöglich, alle Verunreinigungen zu eliminieren, deshalb steht auf Feingoldbarren die ominöse Zahl »999,9«, die eine größtmögliche Annäherung an höchste Reinheit bezeichnet. Reinheit und Unreinheit auch im moralischen Sinne – sie liefern sich in der Kulturgeschichte des Goldes einen unerbittlichen Kampf.
Gold ist das Metall der Superlative, es scheint die Superlative anzuziehen wie ein Magnet. Platon (428 bis 347 v. Chr.) gibt in seinem späten Dialog Timaios das Muster vor: »Von allen Körpern ist das aus den feinsten und gleichmäßigsten Teilen entstandene, dichteste, einzigartige, in glänzend gelber Farbe leuchtende, köstlichste Besitztum: das Gold.« Aber schon aus der Antike kommen warnende Stimmen. Gold ist ein Prüfstein für den Menschen, zeigt seine gelassene Souveränität oder die Gefährdung durch die Gier. Es ist ein Metall, das an ihm zehrt, das ihn verzehrt. Der griechische Dichter Pindar (520 bis 446 v. Chr.) bezeichnet zwar Gold als »Götterkind«, aber es ist ein Spross mit Zersetzungspotential: »Gold ist ein Kind des Zeus; weder Motten noch Rost verzehren es – aber der Geist des Menschen wird von diesem kostbarsten Stoff verzehrt.«
Gold trägt die Geschichte eines merkwürdigen Außerirdischen in sich. Geschenk oder Überbleibsel einer himmlischen Verschleuderung. Der größte bekannte Goldnugget übrigens wurde 1869 in Australien gefunden und wog siebenundneunzig Kilogramm. Er bekam einen sprechenden Namen verpasst: Welcome Stranger. Willkommen, Fremdling!
Der Kaiser von Kalifornien
Ein karges Bündel auf dem Rücken, mit verbeultem Frack und elegantem Spazierstöckchen, obligater Krawatte und schwarzer Melone, trippelt er durch eine Eiswüste. Wo sind wir hingeraten? Eine Schrifttafel verkündet: »Drei Tage von Irgendwo«. Wir sind im hohen Norden des amerikanischen Kontinents, zur Zeit des Goldrauschs von 1897 am Klondike River in Yukon, wo Städte über Nacht entstehen und jeden Tag neue Horden von Goldschürfern herangespült werden. Bald hat er gegen Schneegestöber, eisige Kälte und quälenden Hunger anzukämpfen und wird in eine lottrige Holzhütte geweht. Dort muss er sich gegen den vor Hunger fast wahnsinnigen, bärengleichen Goldschürfer Big Jim wehren, der ihn für ein Huhn hält und ihn verspeisen will. Er weiß sich zu helfen, kocht seinen rechten Schuh, verspeist mit stoischer Miene und gelegentlichem Schluckauf die Sohle, leckt als vermeintlicher Gourmet die Nägel ab und rollt die Schnürsenkel auf seine Gabel, als wären es Spaghetti – während der verdrießlich dreinschauende Big Jim das üppigere Leder-Oberteil des Schuhs abbekommt. Vorerst glücklos, aber einfallsreich, wird er seinen Weg gehen.
Richtig geraten: Wir sind in Charlie Chaplins hinreißendem Stummfilm Goldrausch von 1925, einem wahren Goldstück der Filmgeschichte. Wer könnte die verblüffende Szene vergessen, in welcher der einsame Goldschürfer im Traum die appetitlichen Brötchen an zwei Gabeln tanzen lässt? Und keine Angst: Es wird alles gut. Charlie wird mit seinem linkischen Charme den Aufschneider im prächtigen Pelzmantel ausstechen und doch noch die Tänzerin Georgia, die ihn zuerst übersehen und dann aus Langeweile versetzt hat, für sich gewinnen. Als Teilhaber von Big Jims riesigem Goldberg wird er gleichsam über Nacht Multimillionär. Auf dem Rückfahrerschiff mit dem bezeichnenden Namen Success wird er von einem Reporter gebeten, für ein Foto noch einmal seine Landstreicherkleider anzuziehen, posiert kokett darin und purzelt dann eine Treppe hinunter genau vor die Füße seiner schönen Georgia. Der Kapitän schimpft den vermeintlichen blinden Passagier heftig aus, die Angebetete will für dessen Fahrkarte bezahlen und ahnt nicht, dass der Tramp inzwischen ein gemachter Mann ist. Das Missverständnis ist rasch aufgeklärt. Der von der Kamera des Reporters eingefangene Kuss beendet rasant jedes schlimme Missgeschick und alles erlittene Unglück.
Nicht jedes Goldschürferdrama ging in Wirklichkeit so heiter aus. Das Unglück kennt verschlungene Wege. Was haben Sägespäne mit Goldnuggets zu tun? Eine Sägemühle in Kalifornien spielte eine gewichtige Rolle in der Geschichte des Goldrauschs. Der Zimmermann James Wilson Marshall sollte für den Schweizer Auswanderer und Großgrundbesitzer Johann August Suter (1803 bis 1880) in dessen rasch aufgeblühter Kolonie mit dem malerischen Namen »Neu-Helvetien« eine Sägemühle am American River bei Coloma errichten. Der Ort lag hundertfünfzig Kilometer nordöstlich eines elenden, damals noch mexikanischen Fischerdorfes namens San Francisco. Am Morgen des 24. Januar 1848 sah er im Sand der Baugrube unter seiner Schaufel etwas aufblitzen, das er vielleicht besser nicht gesehen hätte.
Er stieß auf einen – nicht einmal besonders spektakulären – Goldnugget. Der unglückliche Marshall wird damit völlig unerwartet einen historischen Wirbelsturm auslösen, den großen kalifornischen Gold Rush. Suter, sein Arbeitgeber und schwerreicher Herrscher über »Neu-Helvetien«, hatte bereits erstaunliche Höhen und Tiefen erlebt. Nach dem Konkurs seines Tuchwarenhandels in Burgdorf in der Schweiz wurde er von den bernischen Behörden wegen Betrugs steckbrieflich gesucht und hatte es eilig, vom Horizont zu verschwinden, wobei er seine Frau und seine fünf Kinder als lästiges Gepäck zurückließ. Mit einunddreißig Jahren war er 1834 über Paris und Le Havre, wo er sich auf dem Dampfer mit dem hoffnungsfrohen Namen Espérance einschiffte, nach New York ausgewandert, schlug sich mehr schlecht als recht durch und brach schließlich ins noch unerforschte Kalifornien auf. Nach unermesslichen Strapazen und Kämpfen gegen die indianischen Ureinwohner schaffte er es, sich dort