Das Gold der Träume. Ralph Dutli

Das Gold der Träume - Ralph Dutli


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oder einer Kugel balancierend dargestellt. Die blinde Göttin teilt aus und nimmt gern rasch wieder weg.

      Gold war und ist aber gar nicht unbedingt das seltenste, teuerste, wertvollste Metall. Momentan können in der Geschichte ganz andere Prioritäten entstehen. Durch erhöhte Nachfrage aus der Autoindustrie waren im Moment der Niederschrift dieses Buches die Edelmetalle Rhodium und Palladium heiß begehrt, weil sie in Autokatalysatoren zur Reduktion von Stickstoffmonoxid zum Einsatz kommen. Der Aufschwung ist auch dem Diesel-Skandal geschuldet. Aber schon 2008 kostete eine Feinunze Rhodium – oft »das edelste der Edelmetalle« genannt – zehnmal so viel wie eine Feinunze Gold, mehr als 10.000 Dollar, so viel wie nie zuvor. Mit der Verschärfung von Abgasvorschriften in vielen Ländern steigt die Nachfrage nach wirksamen Katalysatoren. Das Klima gibt den Ausschlag.

      Das Beispiel soll nur zeigen: Der Wert des Goldes ist ein relativer, kein absoluter. Mal sind Salz und Pfeffer, mal Rhodium und Palladium die Vergleichsstoffe und Wertmesser. Aber keines der erwähnten seltenen Edelmetalle hat auch nur annähernd die kulturelle Aura von Gold, die seit Jahrtausenden im Menschheitsgedächtnis gespeichert ist. Es ist schlicht das magischste und attraktivste der Edelmetalle.

      Keine Angst, die vorliegenden Seiten sind keine Anlageberatung, sie folgen nicht der Fieberkurve oder dem Puls des Tages, sondern erkunden ein kulturelles Fundament – das seinerseits von einer gewissen Dramatik nicht verschont bleibt. Der ökonomisch-pragmatische Zugang erhellt nicht den »mythischen« Hintergrund des Metalls. Ist Kultur nicht die beste Anlage und das ultimative Kapital, auf dem auch unsere Gegenwart ruht? Die jahrtausendealte Faszination des »ewigen«, unzerstörbaren Metalls ist eine anthropologische Konstante. In nahezu jedem Abschnitt der Menschheitsgeschichte wurde Gold begehrt und verehrt, gesucht und bewahrt, gehortet und zu Kunstwerken verarbeitet.

      Die Reduktion seiner Bedeutung auf das bloße »Krisengeld« ist eine irreführende Verengung. Die Unversehrbarkeit durch Rost, durch die zerstörerische Macht des Sauerstoffs, die allen Dingen zusetzt, bleibt ein gewichtiger Teil des Faszinosums. Denn das Menschenleben ist vielfachen Gefährdungen ausgesetzt und von entmutigender Kürze, das verführerische »weiche« Metall Gold jedoch scheint Dauer und Ewigkeit zu gewähren.

      Dass das glänzende Metall eine beträchtliche mythische Aura aufweist, dass es in der Kulturgeschichte der Menschheit eine ungeheure Ausstrahlung zeigt, ist schwer zu bezweifeln. Es ist Symbol für Macht, Reichtum und Ansehen, aber auch Ansporn zu höchster Veredelung, zu reichen Mythen, religiösen Riten, magischen Praktiken und tiefgründigen Geschichten voller Weisheit, zu kunsthandwerklichen Spitzenleistungen, hervorragenden Kunstwerken.

      Gold strahlt in Mythen und Märchen, Gold blitzt im Schatz der Sprichwörter vieler Völker. Gold ist »in aller Munde«. Vielleicht hat gerade der deutsche Volksmund eine geheime Vorliebe für das blendende Metall, es gibt Dutzende von Sprichwörtern, in denen Gold vorkommt. Für eingefleischte Frühaufsteher, die anderen mögen dieses Sprichwort wirklich nicht: »Morgenstund’ hat Gold im Mund.« Nicht erbaulich für ungebremste Plaudertaschen: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Für Geistesarbeiter gelinde gesagt demoralisierend: »Handwerk hat goldenen Boden.« Gold ist im Sprichwort immer positiv besetzt, aber auch in simplen Redensarten, die hervorragende Qualitäten im Menschen bedeuten wollen. »Sie hat ein Herz aus Gold« – das Gegenteil von hartherziger Mitleidlosigkeit. Wer hat noch Neil Youngs größten Hit von 1971 im Ohr: Heart of Gold? »I’ve been a miner for a heart of gold« … Gerade den Ohrwurm nochmals auf YouTube angehört.

      »Gold ist warm und hat ein Wesen wie die Sonne«, schrieb Hildegard von Bingen (1098 bis 1179). Es ist warmer Glanz schöner Gegenstände und kaltes Objekt des zählbaren, stapelbaren Reichtums. Im Umgang mit ihm zeigt sich der Mensch mit seinen Widersprüchen, seinen erstaunlichen Fähigkeiten und Fehlern, seinen geistigen Höchstleistungen und Träumen – und den Abgründen zerstörerischer Leidenschaften.

      Gold scheint das Metall der Extreme zu sein. Aber es wurde in der Kulturgeschichte auch mit Maß und Mittelweg assoziiert. Aristoteles preist in seiner Nikomachischen Ethik die »Mitte« (mesotes), die sich gegen »Übermaß« und »Mangel« behaupten muss. Das Gute wie auch das Glück liegen für ihn zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig. Erst der römische Dichter Horaz (65 bis 8 v. Chr.) verpasste der Mitte jedoch das Eigenschaftswort »golden«: aurea mediocritas (Oden II, 10,5). Wer den goldenen Mittelweg wähle, komme am ehesten ans Ziel: Gold ist also nicht nur das Metall der Extreme, golden ist auch die Ferne von den Extremen, golden sind Maß und Ausgeglichenheit.

      In der Geschichte der Verehrung und der Verdammung des Goldes gibt es immer einen unerklärlichen Rest, es gibt Paradoxe und Widersprüche, die über das ökonomische Tagesgeschäft weit hinausreichen. Gold leuchtet in den Kulten und Religionen, in der Kunst, in der Literatur. Es ist mit Mythos, Macht und Magie verbunden. Es ist Lichtquelle und dunkler Abgrund.

      Götterhaut oder: Tanzen für die Einzige

      Eine Menschheit ohne Sorgen und Nöte. Es gibt Nahrung genug für alle, Milch und Honig fließen. Keinerlei Anlass zu Streit und Krieg, keine Feindschaft, keine Gewalt. Es gibt kein Alter, keine Gebrechlichkeit, keine Krankheit. Den utopischen Traum von der sorgenfreien Menschheit haben mehrere Autoren der Antike geträumt, der erste, der ihn festhielt, ist der um 700 v. Chr. in Böotien geborene Ackerbauer und Dichter Hesiod. In seinem Lehrgedicht Werke und Tage schildert er das bäuerliche Alltagsleben, Ethik und Moral, die sich daraus ableiten lassen. Es ist eine an seinen liederlichen Bruder Perses gerichtete Ermahnung, der sein Erbteil verprasst hat und nun auch die andere Hälfte, Hesiods Anteil, für sich haben will. Hesiod ruft ihn zur Besinnung, preist redliche Arbeit und ehrliche Anstrengung, warnt vor Falschheit und Anmaßung im »Eisernen Zeitalter« der Gegenwart, das von Rücksichtslosigkeit und Verrohung geprägt sei. Als notwendige Kontrastfolie braucht er jenes heitere »Goldene Menschengeschlecht«, das er begeistert schildert: »Golden war zuerst das Geschlecht der sprechenden Menschen«, so beginnt er die goldene Story. »Sie lebten wie Götter«, »das Herz ohne Kummer«, »sie freuten sich am üppigen Mahl und kannten kein Unheil.« Als Sinnbild für alles Positive, Helle, Angst- und Sorgenfreie bot sich kein besseres Metall an als das Gold.

      Hesiods berühmter römischer Nachfahr Ovid (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.) schildert das mythische Goldene Zeitalter im ersten Buch seiner Verwandlungsgeschichten, der Metamorphosen, einem außerordentlich einflussreichen Werk der abendländischen Literatur. »Als erstes entstand das Goldene Zeitalter«, verkündet er triumphierend in seinem Bericht vom Anfang der Welt. Es ist alles in bester, paradiesischer Ordnung: »In behaglicher Muße vergingen, ohne Krieger zu brauchen, die Tage sicher den Völkern.« Gold im Zusammenklang mit Zeitbegriffen verweist immer auf ideale Zustände, auf eine kulturelle Blütezeit oder auf einen besonders aufregenden Zeitabschnitt voller Intensität. Goldenes Zeitalter, Goldenes Jahrhundert (Spaniens Siglo de Oro), die Golden Twenties.

      Als Hesiod und Ovid von ihrem Goldenen Zeitalter schwärmten, hatten ältere Völker längst ihre Verehrung und Vergöttlichung des edelsten Metalls gepflegt. Zum Beispiel Mesopotamien: Es brachte die ersten städtischen Hochkulturen hervor, schenkte uns die Erfindung der Schrift, weitreichendes astronomisches, mathematisches und medizinisches Wissen, wichtige Anregungen für Zahlensystem und Zeitteilung, erste Rechtssammlungen. Da ist nur ein Problem: Mesopotamien, das außerordentlich fruchtbare Schwemmland zwischen Euphrat und Tigris, jedoch ohne Gebirge, die Erze hätten spenden können, kannte keinen eigenen Goldabbau.

      Ein Café in der Altstadt von Heidelberg, wo ich heute lebe. Ich treffe einen der renommiertesten Assyriologen der Welt zum Gespräch, den hier an der Universität lehrenden Professor Stefan Maul, der nicht nur das Gilgamesch-Epos glanzvoll ins Deutsche übersetzt, sondern auch ein Standardwerk über die Wahrsagekunst im Alten Orient verfasst hat. Geduldig und freundlich beantwortet er meine Fragen nach der Bedeutung des Goldes für die mesopotamische Kultur.

      Gold kam nur über den Handel ins Land – oder über die zahlreichen Kriegs- und Beutezüge, für die die Assyrer bei den Völkern berüchtigt waren. Das fehlende eigene Gold machte das glänzende fremde Metall für die Könige Mesopotamiens noch begehrter. Einer uralten Überlieferung zufolge wurde das Gold, das ins Zweistromland gelangte, in einem fernen sagenhaften Gebirge


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