Zen in der Kunst des Fahrradfahrens. Juan Carlos Kreimer
in der inneren Mitte
Ein Bewusstsein, das über Worte hinausgeht
Alles ist so sehr ES, wie es nur sein kann
Es pflegen heißt, dich selbst pflegen
»Den Reichtum eines Menschen kann man daran messen, was er entbehren kann, ohne seine gute Laune zu verlieren.«
[ H. D. Thoreau ]
»Anspannung ist, wer du denkst, dass du sein musst. Entspannung ist, wer du bist.«
[ Sprichwort aus dem Zen ]
VORWORT
Wenn ich Fahrrad fahre, fahre ich Fahrrad
Es ist für mich zu einer Art Ritual geworden, mich jeden November, wenn ich mich in Buenos Aires aufhalte, in einer Bar auf der Plaza Serrano in der belebten Nachbarschaft Palermo mit Juan Carlos Kreimer zu treffen. Normalerweise kommt er mit dem Fahrrad, auf dem Kopf eine blaue Kappe, das rechte Hosenbein unten mit einer Klammer festgezurrt, um es vor Öl und Schmierfett von der Kette zu schützen.
Es besteht keinerlei Zweifel, dass Juan Carlos eine lange und besondere Beziehung zu seinem Fahrrad pflegt. Er berührt es mit einer Zuneigung und Vertrautheit, die mich an jene Paare erinnert, die auch nach langen gemeinsamen Jahren noch immer echtes Interesse aneinander haben und ein so inniges und natürliches Miteinander leben, als wären sie nicht zwei Personen, sondern eine. Nun wäre es übertrieben zu behaupten, dass Juan Carlos und sein Fahrrad eins sind, aber dass sie zwei sind, würde ich auch nicht sagen wollen. Was die beiden verbindet, ist etwas ganz Besonderes.
Ich kenne Juan Carlos seit rund dreißig Jahren und habe immer wieder beobachten können, mit welcher Leidenschaft und Energie er sich den Dingen widmet, die er liebt und die ihn bewegen. Und so wundert es mich überhaupt nicht, dass er beschlossen hat, ein Buch über das Fahrradfahren zu schreiben und über Zen, denn fraglos ist er in Bewusstseinsfragen ein Suchender, der sich mit den Mysterien zahlreicher therapeutischer und spiritueller Pfade auseinandergesetzt hat. Vor allem eins aber ist offensichtlich: sein Talent, Wissen aus so unterschiedlichen Quellen und Bereichen zu einem Ganzen zusammenzufügen.
Ich lernte ihn kennen, als er Herausgeber der Zeitschrift Uno Mismo war. Darin publizierte er einen meiner ersten Artikel. Das machte mir viel Mut, denn im Titel bezeichnete ich Therapeuten als »Priester« und »Prostituierte« – im Kontext der Psychotherapie recht unorthodoxe Begriffe. Ich bin Juan Carlos bis heute dankbar für die Veröffentlichung, da ich mit dem Großteil der Texte, die ich bis dahin geschrieben hatte, nicht sonderlich zufrieden gewesen war und zu meiner Überraschung und zu meinem Unglauben feststellen durfte, dass mir meine Kollegen nach dieser Veröffentlichung mit mehr Achtung begegneten, für mich ein völlig neues Gefühl.
Später ging Juan Carlos ans Institut Gestalt in Barcelona, wo er ein Seminar mit dem Titel Rehacerse hombre, also etwa »Wieder zum Menschen werden«, gab, was auch der Titel eines seiner Bücher ist. Dieses Thema, das Thema des »Menschseins«, bildete mehrere Jahre lang das Zentrum seiner Aufmerksamkeit und seines Interesses. Ich hatte immer den Eindruck, dass er über ein äußerst zuverlässiges inneres Radar verfügt, der ihn antreibt und dazu bewegt, sich für eine Vielzahl an Themen zu interessieren, die vor allem eins gemeinsam haben: Bei allen handelt es sich um hilfreiche und transformierende Gedankenschulen und Handlungsweisen.
Mit den Jahren wuchs zwischen uns eine vertrauensvolle Freundschaft, eine von den Freundschaften, deren Stärke und Schönheit in der Distanz liegt und die (vermutlich gerade deswegen) als umso wertvoller und großzügiger empfunden werden – eine dieser brüderlichen Verbindungen, die einen auf seiner Lebensreise begleiten und für die man aufrichtig dankbar ist. Montaigne hatte so recht, als er schrieb: »Es gibt keine größere Einöde als ein Leben ohne Freunde. Wahre Freundschaft multipliziert das Gute im Leben und dividiert das Schlechte. Sie ist das einzige Heilmittel gegen Pech und eine Erholung für die Seele.«
Da kommt er nun also auf seinem Fahrrad. Wir begrüßen einander, setzen uns in unsere Bar oder in ein Café, unterhalten uns eine Weile über die Realitäten des Lebens, über Projekte, Interessen, die Liebe, über Übergangsphasen, Kümmernisse und verschiedene Lebensabschnitte, und wir hören einander zu und sprechen über praktische Möglichkeiten, wie wir uns das Leben leichter machen könnten. Vor allem aber bekräftigen wir uns in dem Wissen, dass da jemand ist. Dann verabschieden wir uns bis zu unserem nächsten Wiedersehen, und ich sehe ihn davonradeln, mit seiner blauen Kappe, seinem Lächeln und seiner zufriedenen