Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
du hättest das vor der Mami verheimlicht?« fragte er.
»Alle Kinder haben Fahrräder«, sagte sie, »ich wollte auch eins haben.«
»Nicht alle Kinder haben Fahrräder«, widersprach er. »Aber du hättest sicher auch eines von deinen Eltern bekommen, wenn du kräftiger und vernünftiger bist. Du weißt doch, was alles passiert. Und was meinst du, was die Oma dann gemacht hätte, wenn dir etwas passiert wäre.«
»Dann wäre doch die Mami schuld gewesen«, sagte Bettina naiv. »Die Oma war nie schuld, Opi. Ich hätte es Mami ja auch gesagt, daß ich bei der Oma ein Fahrrad habe. Gekauft ist es ja. Zuerst hätte ich es Papi gesagt, und der hätte es dann wohl Mami gesagt.«
»Und jetzt ist damit Schluß«, sagte Albert Breiter mit unterdrücktem Groll.
»Wenn sie tot ist, kann sie mir nichts mehr kaufen«, sagte Bettina nachdenklich. »Dann kann sie mich auch nicht mehr einfach vom Kindergarten abholen, und Mami braucht sich nicht aufzuregen. Und dann kannst du auch mal mit uns in den Urlaub fahren.«
»Das tue ich nicht, Bettina«, sagte er.
»Warum denn nicht?«
»Weil ich finde, daß Eltern und Kinder gerade im Urlaub allein sein sollten. Ihr könnt mich gerne immer besuchen, wenn ihr Lust habt.«
»Du ziehst nicht zu uns, Opi?« fragte sie betrübt.
»Nein, ich habe doch hier mein Zuhause.«
»Das finde ich aber schade, daß du weit weg bist«, schmollte sie.
»Ich würde dir auch nichts kaufen, was die Mami nicht wissen soll, Bettina«, sagte er.
»Oma wollte Mami ja auch immer ärgern, das willst du nicht«, sagte sie. »Machen wir jetzt wieder einen schönen Ausflug, Opi?«
Dafür war er gleich zu haben und er wußte auch, wie gerne sie im Berggasthof Rast machte. Da gab es gefüllte Pfannkuchen oder Dampfnudeln mit Vanillesoße, und wenn der Hunger ganz groß war, aß Bettina vorher auch noch Schweinswürstel oder Wiener mit Kraut. Über ihren Appetit konnte er nicht klagen, und sie hatte auch schon ganz hübsch zugenommen.
»Wenn du Mami sagst, daß ich jetzt kräftig genug bin, erlaubt sie es sicher, daß ich ein Fahrrad bekomme«, erklärte Bettina, aber sonst verlor sie kein Wort über die Oma. Als sie aber am Abend müde in ihrem Bett lag, legte sie ihre Arme um den Hals des Großvaters.
»Du darfst nicht krank werden, lieber Opi«, flüsterte sie. »Ich möchte jetzt ganz oft zu dir kommen, wenn du schon nicht zu uns kommst.«
»Ich werde euch jetzt auch öfter besuchen«, erwiderte er.
»Vielleicht kriege ich jetzt doch noch Geschwister, wenn die Oma nichts mehr dagegen sagen kann.«
»Du hättest dir doch schon welche wünschen können«, meinte er diplomatisch.
»Die Oma hat aber gesagt, daß Mami nicht mal mit einem Kind fertig wird.«
»Das hätte sie nicht sagen sollen«, brummte Albert Breiter. »Du hast deine Mami doch lieb.«
»Natürlich habe ich sie lieb, aber Oma wollte doch immer, daß ich sie lieber haben soll. Sie tät sich schön ärgern, weil ich dich jetzt so lieb habe.«
Es wird alles in Ordnung kommen, dachte er, auch in ihrer kindlichen Seele.
Helma Moschs Leben verlöschte noch in dieser Nacht. War sie sich ihrer Fehler nicht bewußt geworden, auch ihres Sterbens wurde sie sich nicht bewußt. Der schnelle Tod wurde durch ein Nierenversagen herbeigeführt.
Heiner hatte in der Klink ausgeharrt, doch von den widersprüchlichsten Empfindungen bewegt. Wenn sie doch nur bei seinem ersten Besuch einsichtiger gewesen wäre, hatte er gedacht, wenn sie den guten Willen gezeigt hätte zu einer Versöhnungsbereitschaft, dann wäre ihm jetzt doch nicht so elend zumute gewesen. Aber nun hatte das Herz zu schlagen aufgehört, und doch zeigte ihr Antlitz nichts von innerem Frieden. Es war nur erstarrt.
Und er hatte es nicht über sich gebracht, diese knochigen Hände zu berühren. Heiner Mosch war um Jahre gealtert in diesen Tagen, aber er war auch reifer geworden. Er wußte, wohin er gehörte, wem seine Liebe gehörte. Er ging dann zu Fuß durch die nächtlichen Straßen und atmete tief die kühle Nachtluft ein.
Annette richtete sich in ihrem Bett auf, als er das Hotelzimmer betrat. Sie sah ihn nur an, sprach kein Wort.
»Es ist ausgestanden, Annette«, sagte er leise.
Sie streckte die Hände nach ihm aus und streichelte mit ihren Lippen sein Gesicht, als er sie in die Arme nahm.
»Ich bin müde«, flüsterte er, »entsetzlich müde.«
Und es kommt ein neuer Tag, ein neues Leben, dachte sie.
*
Ein neuer Tag brach an. In Kärnten schien die Sonne, während Annette beim Erwachen in einen grauen Himmel blickte. Er paßte zu ihrer Stimmung, doch sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß auch diese Tage bald überstanden sein würden.
Sandra dagegen begann den Tag voll ungeduldiger Erwartung. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber sie wartete tatsächlich sehnsüchtig auf Holger. Und auch Nico schaute zum Fenster hinaus und sagte: »Na, hoffentlich kommt er bald, damit wir baden gehen können. Heute ist es ganz toll heiß, Mami.«
Lange brauchten sie nicht zu warten. Holger war schon beim Morgengrauen losgefahren, ebenfalls schon voller Ungeduld. Ihm war die Woche viel zu lang erschienen, obgleich er viel Arbeit gehabt hatte.
»Gut, daß Winnie schon im Haus wohnt und wir das Zimmer für Holger frei haben«, sinnierte Nico, während er vor dem Haus auf und ab spazierte und Ausschau nach Holgers Wagen hielt, und endlich sah er ihn kommen. Da war er nicht mehr zu halten. Mit Jubelrufen sprang er ihm entgegen und ließ sich dann auch liebend gern durch die Luft schwenken.
»Na, du hast aber schon zugenommen«, schnaufte Holger. »Donner und Doria, und braun seid ihr beide schon.«
Er sah Sandra bewundernd an, und ein zärtliches Lächeln legte sich um seinen Mund.
»Und der arme Holger muß arbeiten«, sagte Nico mitleidvoll.
»Deshalb werden wir ihm auch Ruhe gönnen«, sagte Sandra mahnend zu Nico, als der schon bald zum Aufbruch drängte.
Doch Holger ließ sich gern drängen. Ihn verlangte es auch nach einem erfrischenden Bad. Sandra und Nico hatten schon ein ruhiges und schönes Plätzchen am See erkundet. In der Kühlbox hatte Sandra alles verstaut, was für ein Picknick benötigt wurde. Und nachdem sie sich eine gute Viertelstunde im Wasser getummelt hatten, schmeckte es ihnen doppelt gut.
Nico hatte von Winnie und Leo berichtet und seiner Freude Ausdruck gegeben, daß sie nun bald eine fröhliche Hochzeit feiern würden, dann aber machte er sich auf die Beine, um die Gegend zu erkunden.
*
So keck und naseweis wie er auch sonst manchmal sein mochte, hatte er es doch im Gefühl, wenn er überflüssig war. Nicht so, daß es ihm weh tun konnte, er merkte einfach nur, daß seine Mami und Holger sich so manches zu sagen hatten. Ja, Nico machte sich schon seine eigenen Gedanken, obgleich er doch noch ein kleiner Junge war.
Gut wäre, wenn Holger mein Papi wäre, dachte er jetzt wieder, während er durch hohes Gras wanderte und den bunten Schmetterlingen nachblickte. Dann könnte nämlich der andere nicht kommen und von ihm verlangen, daß er mit ihm reden solle. Irgendwie war dieser Gedanke Nico sehr unbehaglich. Da wehrte sich in ihm etwas dagegen. Und vielleicht gab es dann da auch noch so eine Großmutter, wie Bettinas eine war. Der Gedanke war fast noch schlimmer.
Ein tiefer Seufzer rang sich aus seiner Brust. Er hatte plötzlich Sehnsucht nach seinem Ömchen, und verstohlen wischte er sich auch ein paar Tränen ab, die plötzlich über seine Wangen kullerten. Am allerschönsten war es doch, wenn sie alle beisammen waren. Holger war ja auch oft bei ihnen. Aber es wäre eben doch sehr schön, wenn er sagen könnte, das ist mein Papi, wenn er zur Schule