Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
du dich doch auf, Ömchen«, sagte Nico betrübt, als sie im Hause waren. »Du zitterst ja richtig. Werde bloß nicht krank. Ich rufe lieber gleich Dr. Norden an.«
»Ach was, ich werde schon nicht krank.«
»Der denkt, ich falle ihm gleich um den Hals«, sagte Nico grimmig. »Der will uns doch bloß ärgern. Der kann es nicht leiden, daß wir ohne ihn auskommen, aber das werde ich ihm schon noch sagen. Ich lasse mich nicht bestechen.«
Zuerst der Schrecken, nun machte das Erstaunen Annedore atemlos. Er ist doch erst sechs Jahre, noch ein kleiner Junge, dachte sie, aber er benimmt sich wie ein großer.
»Du bist sehr vernünftig«, sagte sie tonlos.
»Ich bin ja vorbereitet. Mami hat vernünftig mit mir gesprochen«, sagte Nico. »Ich finde es einfach dumm, daß er jetzt daherkommt, richtig dumm. Was denkt er sich denn eigentlich?«
Annedore konnte nur die Schultern zucken. Sie fühlte sich ihrem Enkel jetzt nicht gewachsen.
»Ich werde jetzt mit Mami telefonieren«, sagte Nico, und schon wählte er die Nummer von der Kanzlei. Er wurde aber mit Holger verbunden.
»Ist Mami nicht da, Holger, ich muß ganz dringend mit ihr reden«, sagte er.
»Sie hat gerade eine Besprechung, Nico. Kann ich ihr etwas ausrichten?« fragte Holger, der berechtigte Ahnungen hatte, denn eben war Ulrich in der Kanzlei erschienen und in Sandras Büro gestürmt.
»Sag ihr, daß der Harrer hier war und mich abholen wollte, und sie soll sich von ihm ja nicht Märchen erzählen lassen. Ich hab’s ihm nämlich ordentlich gegeben, und ich sage auch bloß Sie zu ihm. Der wird schon noch was erleben.«
Da wäre Holger doch beinahe ein Lächeln gekommen, obwohl er sich keineswegs wohl in seiner Haut fühlte.
»Gut, ich werde es ihr ausrichten. Wir reden dann noch darüber, Nico. Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
»Das werde ich Ömchen sagen«, erwiderte Nico. »Sie zittert nämlich. Ich aber nicht«, versicherte er.
*
Sandra zitterte auch nicht. Kalt blickte sie ihren geschiedenen Mann an.
»Es wäre sehr nett, wenn du mir sagen würdest, was du eigentlich bezweckst, Ulrich«, begann sie. »Ich würde dich besser verstehen, wenn du schon früher Interesse für Nico gezeigt hättest.«
Sie ist noch schöner geworden, dachte er, aber auch noch unnahbarer war Sandra. Er hatte sich immer unsicher gefühlt, wenn sie ihn so forschend gemustert hatte, und gewurmt hatte es ihn, wenn er sich ihr unterlegen fühlte. Ihre Intelligenz, ihr universelles Wissen hatten ihn schockiert und ihm bewußt gemacht, wieviel ihm fehlte, und das wurde jetzt noch deutlicher. Es machte ihn aber auch aggressiv.
»Ich will für meinen Sohn kein Fremder sein«, stieß er hervor.
»Das bist du aber«, sagte sie kühl. »Was erwartest du eigentlich?«
»Wir haben uns doch freundschaftlich getrennt, Sandra. Ich habe zumindest erwarten können, daß du in Nico keine Aggressionen gegen mich erzeugst.«
»Das lag mir fern. Wir haben dich nicht erwähnt. Er hat nicht nach dir gefragt, dich nicht vermißt, also was sollte ich ihm erzählen? Ich habe ihn jetzt nur darauf vorbereitet, daß du ab und zu kommen würdest, um einen Tag mit ihm zu verbringen. Das mußte ich ja leider, da du darauf bestehst. Aber vielleicht denkst du mal darüber nach, daß man bei einem Kind mit einer Pflichtübung überhaupt nichts erreichen kann. Wenn du plötzlich Vatergefühle verspürst, solltest du vor allem daran denken, daß das Leben und die Entwicklung des Kindes nicht gestört werden sollten.«
»Ich habe nicht die Absicht. Ich möchte von Nico nur nicht als fremder Mann oder gar als Feind betrachtet werden. Hast du je daran gedacht, daß dir auch mal etwas zustoßen könnte, Sandra?« begehrte er auf. »Dann nämlich wäre ich der nächste Mensch für Nico, nicht deine Mutter.«
Sandras Miene wurde eisig. »Du hast immer noch eine überaus liebenswürdige Art«, sagte sie abfällig, »aber vielleicht denkst du auch daran, daß dir auch etwas zustoßen könnte. Dann würde sich für Nico nämlich nichts ändern, außer der Tatsache, daß ein Gerichtsbeschluß außer Kraft gesetzt wird. Würde aber mir etwas zustoßen, bekäme er einen Amtsvormund, der sich sehr genau an das Scheidungsurteil halten würde. Nico würde dann wohl in einem Heim untergebracht werden. Für den Fall meines Todes habe ich allerdings schon sehr genaue testamentarische Bestimmungen getroffen, und ich hoffe, daß ich dir nicht den Gefallen tue, vorzeitig das Zeitliche zu segnen.«
»Mein Gott, dreh mir doch nicht das Wort im Munde herum. So habe ich das doch nicht gemeint. Wir waren verheiratet, wir waren sogar glücklich, und wenn du nicht aus jeder Mücke einen Elefanten gemacht hättest, wären wir heute noch verheiratet.«
»Du willst damit sagen, wenn ich die geduldige oder besser gesagt duldsame Frau gewesen wäre, die bei deinen Amouren und sonstigen Extravaganzen immer beide Augen zugedrückt hätte. Unsere Ehe war ein Irrtum, aber manches könntest du gutmachen, wenn du Nico jetzt in Ruhe lassen würdest.«
»Nun, vielleicht ist Nico eines Tages ganz froh, einen Vater zu haben, der sich mehr um ihn kümmert als seine karrieresüchtige, superkluge Mutter«, sagte Ulrich spöttisch. »Ich hole ihn Samstag ab, und du wirst es nicht verhindern.«
»Nico ist darauf vorbereitet«, sagte Sandra tonlos.
*
Als er gegangen war, war es mit ihrer Beherrschung zu Ende. Auch Holger vermochte nicht, sie zu trösten.
»Ich werde es mir nie verzeihen, daß Nico einen solchen Vater hat«, flüsterte sie.
»Wir wollen das Wort Vater nicht gebrauchen, Sandra«, sagte Holger. »Verlassen wir uns auf Nico.«
»Er ist doch ein Kind, und Ulrich wird alles tun, ihm jeden Wunsch zu erfüllen.«
»Sollte ich Nico besser kennen als du?« fragte er sanft. »Aber jetzt siehst du einfach zu schwarz, Sandra. Du darfst den Kopf nicht in den Sand stecken. Überleg einmal, wie oft du in Scheidungssachen schon gesagt hast, daß man auch den Kindern das Recht einer Entscheidung zubilligen müsse. Du wirst doch nicht annehmen, daß Nico sich gegen dich und sein Ömchen entscheiden könnte.«
Sandra hob den Kopf. »Wie kann ich nur so kleinmütig sein, Holger«, flüsterte sie. »Aber mir war so elend, als wir uns gegenübersaßen. Ich konnte es einfach nicht begreifen, daß ich ihn geheiratet habe. Er war damals doch auch nicht anders als heute.«
»Und das mag der Unterschied sein, Sandra. Du bist älter und klüger geworden, er eben nur älter und nicht klüger. Wie wäre es, wenn du einmal mit seinem Vater sprechen würdest?«
»Wozu könnte das gut sein?« fragte sie tonlos.
»Ich habe Erkundigungen eingezogen. Er ist tatsächlich krank, und er ist geschieden von seiner jungen Frau, und außerdem hat er sich ein bißchen zu wenig um seinen Betrieb gekümmert. Man sagt, daß sein Verhältnis zu seinem Sohn keineswegs gut ist.«
»Man sagt«, murmelte Sandra. »Vielleicht setzt er Hoffnungen auf seinen Enkel. Soll ich ihm auch noch nachlaufen?«
»Sein Enkel ist sechs Jahre, und ein kranker Mann von fast siebzig Jahren, dem der Enkel bisher ebenso gleichgültig war wie der Sohn dem Vater, wird kaum zwanzig Jahre weiterdenken in die Zukunft. Aber warten wir ab, was der Samstag bringt.«
»Daß du so ruhig bleiben kannst«, sagte Sandra bebend.
Er war nicht so ruhig, wie er sich gab, aber sollte er alles schlimmer machen?
*
Und der Samstag kam. Die Familie Norden hatte sich auf diesen Tag gefreut, denn sie waren eingeladen, an der Einweihungsfeier einer Kinderklinik teilzunehmen. Anneka war nicht so begeistert davon wie ihre Brüder.
»Ich bleibe lieber bei Lenni«, verkündete sie.
»Aber warum denn?« fragte Fee.