Codename E.L.I.A.S. - Spur aus dem Nichts. Mila Roth
sie das Motel erreichten, stieg er umgehend aus dem Wagen. Brianna tat es ihm gleich und wollte ihm zu seinem Zimmer folgen, doch er hielt sie zurück. »Fahr nach Hause, Bri. Ich muss erst mal herausfinden, was hier vorgeht.«
»Ich könnte dir dabei Gesellschaft leisten.«
»Nicht jetzt. Du weißt selbst, dass es hier um Geheimnisse geht, die ich nicht mit dir teilen kann.«
»Kannst oder willst?« Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Im Augenblick beides.«
»Wenigstens bist du ehrlich.« Sie presste kurz die Lippen zusammen. »Auf Wiedersehen, Michael.« Sie stieg wieder ein, die Fahrertür knallte zu. Mit zu viel Gas und quietschenden Reifen fuhr sie davon.
Michael blickte ihr nach, bis sie um eine Ecke bog. »Wunderbar.« Er rieb sich resigniert übers Gesicht. Bri hatte sich nicht verändert – und er hatte es wieder einmal in Sekundenschnelle geschafft, sie gegen sich aufzubringen. Ganz wie in alten Zeiten.
Ж Ж Ж
»Mike?« Luke war an die Balkontür getreten und blickte angestrengt nach draußen. »Kann es sein, dass da ein Typ in einem grauen Sedan sitzt und das Loft beobachtet?«
»In einem grauen Sedan?« Nun trat auch Brianna an die Glastür. »Gehört der vielleicht zu dem unbekannten Kettenraucher von neulich nachts?«
Michael gesellte sich zu den beiden. Seit jenem Abend hatte er den Wagen nicht mehr gesehen. »Das werden wir gleich herausfinden.« Er zog seine Waffe, prüfte gewohnheitsmäßig das Magazin und war bereits auf dem Weg nach draußen. »Gebt mir Deckung!« So schnell er konnte, lief er die Stufen vor seiner Eingangstür hinab und rannte auf den Parkplatz zu. Der Motor des Sedans sprang an, der Wagen setzte zurück. Im selben Augenblick knallte ein Schuss. Die Kugel hatte den linken Vorderreifen getroffen. Dennoch fuhr der Sedan weiter schlingernd rückwärts. Hinter sich hörte Michael Lukes Schritte, dann auch die von Brianna. Er blieb stehen, zielte auf den Sedan und schoss auf den Kühlergrill. Er wollte den Fahrer nicht umbringen, sondern lediglich aufhalten.
Der Wagen hielt an, der Motor erstarb. Der Mann, der ausstieg, war groß, blond und athletisch gebaut. Und er war schnell. Michael hielt sich selbst für fit und gut trainiert, doch mit diesem Kerl konnte er nicht mithalten. Der rannte wie der Leibhaftige und verschwand kurz darauf um eine Hausecke. Als Michael sie erreichte, war von dem Mann nichts mehr zu sehen.
»Verdammt!« Wütend schlug er mit der rechten Faust in seine linke Handfläche.
»Wo ist er hin?« Brianna und Luke schlossen zu ihm auf.
»Keine Ahnung. Er ist weg.« Achselzuckend machte Michael sich auf den Rückweg.
»Vielleicht finden wir einen Hinweis in seinem Auto.« Brianna beschleunigte ihren Schritt.
Als sie den Parkplatz erreichten, war der graue Sedan verschwunden.
»Das gibt’s doch nicht.« Luke blickte sich verblüfft um. »Wollen die uns verscheißern?«
Michaels Blick fiel auf ein kleines, weißes Kärtchen am Boden. »Nein, ich glaube, das wollen sie nicht.« Er hob es vorsichtig auf.
»Was ist das?« Neugierig trat Brianna näher.
Michael drehte die Karte zwischen den Fingern. Auf der Vorderseite stand in einfachen schwarzen Lettern:
E.L.I.A.S.
Auf der Rückseite hatte jemand handschriftlich notiert:
Wir sehen uns.
Brianna nahm ihm die Karte aus der Hand, studierte sie eingehend. Dann reichte sie sie an Luke weiter. »Wer oder was ist Elias?«
Michael nahm die Karte wieder an sich und sah sich nach allen Seiten um. Außer ihnen war weit und breit niemand zu sehen. »Ich habe keine Ahnung.«
1. Kapitel
In der einen Hand eine Tüte mit Lebensmitteln, in der anderen einen nagelneuen Werkzeugkoffer stieg Michael Cavenaugh die Stufen zum Eingang seines Lofts über einer Lagerhalle in der South Mission Road hinauf. In zwei Tagen war Weihnachten, deshalb hatte er ärgerlich lange an der Kasse des Supermarkts warten müssen und dann noch einmal so lange im Baumarkt. Die Einkäufe waren jedoch wichtig gewesen, denn erstens wollte er über Weihnachten nicht verhungern und zweitens musste er unbedingt ein paar Reparaturen durchführen, was aber ohne Werkzeug nicht möglich war. Das Loft war schon seit Jahren nicht mehr bewohnt worden und entsprechend heruntergekommen sah es aus.
Schon auf den letzten beiden Stufen der Stahltreppe sah er, dass die Tür nicht verschlossen war und sogar einen Spalt weit offenstand. Michael hielt inne, stellte seine Einkäufe vorsichtig ab und lauschte. Es war kein Geräusch aus dem Loft zu vernehmen, was die Alarmglocken in seinem Kopf nur noch lauter schrillen ließ. Er griff nach seiner Para Ordnance, Kaliber 45, die er im hinteren Hosenbund unter seinem grauen Jackett verborgen trug. So leise wie möglich entsicherte er sie, dann stieß er die Wohnungstür sachte auf, lauschte wieder.
Die Waffe fest in beiden Händen, betrat er das Loft und sah sich um. Ein offener, rechteckiger Raum von gut zweihundert Quadratmeter Grundfläche mit Fensterfronten auf beiden Längsseiten lag vor ihm. Zwei eckige Stahlbetonsäulen stützten das Dach und bildeten einen Durchgang, der den Raum optisch in zwei Hälften teilte. Die wenigen Einrichtungsstücke, die Michael bisher besaß, standen in der Mitte des Raumes und waren mit einer großen, durchsichtigen Plastikplane abgedeckt – ein paar alte Schränke und Regale, ein Ess- und ein Couchtisch, sechs zusammengewürfelte Stühle, von denen zwei erheblich wackelten, zwei leicht durchgesessene Sessel und ein ebenfalls schon recht abgenutztes Sofa sowie eine komplette, wenn auch mindestens zwanzig Jahre alte Küchenzeile aus an den Ecken abblätterndem Furnierholz mit den passenden, ebenfalls nicht mehr ganz jungen Elektrogeräten. An einigen Stellen verunzierten Graffiti die Wände. Eine doppelflügelige Glastür, ein Stück neben dem Eingang, führte auf einen stählernen Balkon.
Michael warf einen kurzen Blick hinaus, doch die Balkontür war fest verschlossen. Dort konnte sich niemand verbergen. Auch hinter oder zwischen den Möbeln befand sich niemand. Also stieg er lautlos die Stufen der Stahltreppe hinauf, die zu der großen Galerie führten, auf der sich sein Bett und ein Kleiderschrank ohne Tür befanden. Letztere lehnte noch an der Wand, weil beim Abbau und Transport die Scharniere herausgebrochen waren. Das Bett war groß genug für zwei Personen. Offenbar hatten die Brüder Marco und Ramón Santos gemeinsam darin geschlafen, denn das einzelne Bett in Ramóns Zimmerchen hatten sie ohne Matratze vorgefunden und zurückgelassen. Das Doppelbett, für das Michael in einem Restpostenmarkt eine olivfarbene Tagesdecke gekauft hatte, damit er wenigstens tagsüber nicht die schreiend bunte Bettwäsche mit Motorradmotiven sehen musste, hätte ein gutes Versteck bieten können, doch ein Blick darunter verriet Michael, dass sich kein Eindringling hier oben verbarg.
Ein leises Klappern erregte Michaels Aufmerksamkeit, also stieg er die Stufen wieder hinab und umrundete die fast drei Meter hohe Mauer, auf der die Galerie ruhte. Dahinter befanden sich ein Abstellraum und das Badezimmer. Die kleine Kammer war dunkel und leer, doch aus dem Bad war nun erneut ein deutliches Klappern zu vernehmen. Michael spannte jeden Muskel im Körper an, dann stieß er die Tür auf und betrat, die Waffe vorgestreckt, den Raum.
Ein leicht korpulenter blonder Mann und ein halbwüchsiger Junge, beide in Overalls mit dem Aufdruck Monty’s Plumbing, fuhren zu ihm herum und starrten ihn erschrocken an. Langsam hoben sie die Hände.
Michael runzelte die Stirn und ließ die Waffe sinken. »Wie sind Sie hier hereingekommen?«
»Entschuldigen Sie, Sie sind Mr. Cavenaugh, nicht wahr?« Der Ältere ließ sichtlich erleichtert die Hände sinken, behielt die Waffe jedoch im Auge. »Ich bin Harold Monty und das ist mein Sohn Tim. Tylor von der Werkstatt gegenüber hat uns hergeschickt, damit wir uns Ihre sanitären Anlagen mal ansehen. Ihre Freundin hat uns vorhin geöffnet. Sie musste aber wohl noch mal kurz weg, also ...«
»Brianna war hier?« Die Furchen auf Michaels Stirn vertieften