Codename E.L.I.A.S. - Spur aus dem Nichts. Mila Roth
Brianna und Luke sahen einander einen langen Moment schweigend an. Brianna sprach als Erste: »Und, hast du schon einen Plan, Michael?«
»Sollte ich?« Spöttisch hob er die Augenbrauen. »Du wolltest doch diesen Job unbedingt annehmen. Ich dachte, du beglückst uns mit einem Geistesblitz.«
»Ich könnte ein paar nicht registrierte Maschinenpistolen besorgen. Mit denen räumen wir dann den Laden dieses Milan Hovkowicz erst mal auf.«
»Sehr witzig, Brianna.« Luke schnaubte abfällig.
»Warum? Meine Devise lautet: Erst schießen, dann die Fragen stellen. Ist sicherer und macht die wenigste Arbeit.« Sie hob die Schultern.
»Wir können nicht einfach hingehen und Milan erschießen.« Michael ging zum Tisch zurück und sammelte die leeren Styroporschalen ein, um sie in den Abfalleimer neben der Tür zu werfen.
»Verdient hätte er es aber.«
»Mag sein, Bri, aber ich bin dafür, das mit dem Fragen doch an den Anfang zu stellen. Zum Beispiel sollten wir herausfinden, für wen Milan arbeitet.«
»Richtig, Mike.« Luke warf Brianna einen triumphierenden Seitenblick zu. »Axel hat gesagt, Milan gab Tricia immer mal wieder ganz konkrete Anweisungen, welche Papiere sie an sich nehmen sollte. Also wusste er um deren Wert und wo sie sich genau befanden.«
»Was vermuten lässt, dass er diese Informationen von jemandem erhalten hat«, übernahm Michael das Wort. »Wir sollten herausfinden, wer sein Auftraggeber ist, und außerdem, ob er noch weitere seiner Angestellten unter Druck setzt und wen er bevorzugt bestehlen lässt.«
»Das wird uns Tricia sagen können.« Brianna ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. »Was denkst du, Michael, war das kaputte Auto ein Zufall? Und der plötzliche Wohnungswechsel?«
Michael trat an die Balkontür und blickte hinaus. »Die Waschmaschine vielleicht noch, aber die anderen Vorfälle – das klingt eher so, als habe Milan darauf hingearbeitet, Tricia zu rekrutieren. «
»Aber jemand wie Milan, der Amateure einsetzt, scheint mir nicht unbedingt die Mittel zu haben, Einfluss auf Wohnungseigentümer zu nehmen«, warf Brianna ein. »Ein Auto kann man manipulieren, aber dafür zu sorgen, dass ein Mieter so mir nichts, dir nichts vor die Tür gesetzt wird, ist schon ein anderes Kaliber.«
»Was ebenfalls dafür spricht, dass Milan mächtige Freunde oder Auftraggeber hat«, schloss Luke. »Ich werde mich mal umhören und ein bisschen nachforschen, was es mit Milan und seiner Firma auf sich hat. Sollte er Verbindungen zum organisierten Verbrechen haben, finde ich es heraus.« Er erhob sich und ging zum Ausgang.
»Danke, Luke«, rief Michael ihm nach.
An der Tür drehte Luke sich noch einmal um. »Und dann besorge ich ein bisschen weiße Wandfarbe. Diese Graffitis beleidigen meine Augen.«
»Tu dir keinen Zwang an.«
Nachdem sein Freund gegangen war, drehte Michael sich zu Brianna um, die lässig zurückgelehnt auf ihrem Stuhl saß, die Beine übereinandergeschlagen. Mit der rechten Hand spielte sie an ihren hellbraunen, fast glatten Haaren herum, die ihr nur knapp bis zu den Schultern reichten. Eine Strähne drehte sie wieder und wieder um ihren Zeigefinger.
Er räusperte sich. »Wäre es möglich, dass du dich auch mal ein bisschen umhörst? Jemand wie Milan wird sich vermutlich gerne Hilfe und Gesellschaft aus Gangsterkreisen suchen. Vielleicht weiß ja jemand von deinen, ähm, Geschäftspartnern etwas über ihn.«
»Sicher kann ich das tun.« Sie lächelte fein und klimperte mit den Wimpern.
»Möglicherweise brauchen wir auch ein bisschen Equipment. Abhörgeräte und so ... Kommst du an so was heran?«
»Hm, im Augenblick ist das nicht ganz einfach. Der Markt ist schwierig.«
»Bri!« Er legte den Kopf schräg.
»Was ich auf die Schnelle besorgen kann, sind Einweghandys. Die tun‘s auch, wenn wir sie ein bisschen umfrisieren.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »So wie damals in Berlin. Ein komplettes Hotel verwanzt ...«
»…nur mit Mobiltelefonen«, vervollständigte Michael grinsend den Satz.
»Na ja, genau genommen waren auch ein paar TV-Fernbedienungen dabei. Aber es hat funktioniert.« Brianna erhob sich und ging mit schwingenden Hüften auf ihn zu.
»Ja, es hat funktioniert.« Michaels erster Impuls war, vor ihr zurückzuweichen. Sie bewegte sich mit einer katzenhaften Geschmeidigkeit, die seinen Blutdruck unversehens ansteigen ließ. Solche Komplikationen wollte er lieber vermeiden. Dennoch blieb er, wo er war. »Was sagt dein Dad dazu, dass du wieder mit mir ... mit uns zusammenarbeitest?«
Sie blieb dicht vor ihm stehen und musste den Kopf trotz ihrer schwindelerregend hohen Schuhe noch leicht in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht blicken zu können. »Er weiß nichts davon.«
Seine Brauen wölbten sich leicht. »Du hast es ihm nicht gesagt?«
»Es hat sich noch keine Gelegenheit ergeben.« Ihre Miene verdunkelte sich eine Spur. »Er ist mindestens so wütend auf dich wie Matt. Ich halte es für sinnvoll, die Sache diplomatisch anzugehen.«
»Eine deiner stärksten Eigenschaften.«
»Ich kann auch mit der Tür ins Haus fallen und ihm sagen: Hey, Dad, stell dir vor, der Mann, der mir das Herz gebrochen und Matt ans Messer geliefert hat, ist wieder in der Stadt. Rein zufällig helfe ich ihm gerade, seine nicht mehr vorhandene Identität zurückzubekommen, und nebenbei machen wir noch einen Job zusammen. Weißt du, was er dann tut? Er schnappt sich einen Baseballschläger und eine geladene 38er und sorgt dafür, dass von dir nur noch Kleinholz und ein paar Fett- und Blutflecken übrigbleiben.«
»Fett?«
»Na ja, vielleicht nur Blut. Aber davon eine Menge.«
»Er wird es früher oder später herausfinden.«
»Ja, und mir wäre später lieber. Was willst du, Michael? Soll ich dich zum gemütlichen Familienessen am Weihnachtsabend einladen? Mein Grandpa wird auch da sein, dann können sie dich wenigstens zu zweit fertigmachen.« In ihre Augen trat ein gefährliches Funkeln. »Jetzt, wo du mich darauf bringst, könnte ich mir vorstellen, dass das vielleicht ganz spaßig wäre.«
»Hör zu, Bri.« Obwohl er wusste, dass es gefährlich war, umfasste er sanft, aber bestimmt ihre Schultern. »Ich will mich nicht in deine Familie drängen. Du weißt, dass ich mit meiner genug am Hals habe. Dein Dad und dein Grandpa sind dir wichtig. Ich will nur sichergehen, dass du dich nicht mit ihnen überwirfst, nur um mir zu helfen.«
»Lass das meine Sorge sein.« Sie wand sich ein wenig unter seinem Griff, jedoch nicht so energisch, wie sie gekonnt hätte. Er wusste genau – wenn sie gewollt hätte, dass er sie losließ, dann wäre er jetzt schon mindestens zwei Meter weit von ihr entfernt. »Ich warte auf den richtigen Moment, etwas, das du doch normalerweise bis zur Perfektion beherrschst.«
»Nicht immer.« Vorsichtshalber ließ er sie nun doch los.
Sie nickte leicht. »Nein, nicht immer. Wenn es um Beziehungen geht, besitzt du ein absolut beschissenes Timing.«
»Daraus habe ich nie einen Hehl gemacht.«
Er schwieg einen Moment. »Habe ich das – dein Herz gebrochen?« Ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, überhaupt das Wort Herz ins Spiel zu bringen, doch die Worte waren ihm herausgerutscht, noch bevor er sie zurückhalten konnte.
Sie blickte ihm eine Weile in die Augen, dann zuckte sie die Achseln. »Eine Redewendung, du weißt schon, um zu illustrieren, dass dein Verhalten das eines Scheißkerls war.«
Beinahe hätte er aufgeatmet. Ob sie es nun ernst meinte oder ihn nur einfach zu gut kannte – oder beides –, er spürte, wie der schwankende Grund unter seinen Füßen sich allmählich wieder beruhigte. »Bri, du weißt, dass Beziehungen nicht mein Ding sind. Das waren sie noch nie. Ich versiebe das grundsätzlich.«