Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 4 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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liebte eben Irina. So etwas passiert im Leben. Und es war sicherlich kein Grund, dass die Nummer deswegen kaputt gehen musste. Darüber komme ich einfach nicht hinweg. Natascha hätte doch auch von ihrer Zwillingsschwester erwartet, dass sie weiter mit ihr und Fedor aufgetreten wäre, sofern aus der Verbindung zwischen ihr und Fedor etwas geworden wäre.«

      »Ja, natürlich«, warf Helmut Koster ein.

      »Doch Natascha war wie eine wütende Tigerin. Sie wissen, wie unberechenbar die Tiger im Gegensatz zu den Löwen sein können. Sie hasste plötzlich ihre Schwester und warf ihr die schrecklichsten Dinge vor. Sie hasste und verachtete auch Fedor Collins und erklärte, dass sie mit den beiden nie mehr auftreten wolle.«

      »Wie schade«, erklärte Helmut Koster betrübt. »Natascha war im Trio sicher ausgezeichnet. Warum hat sie sich ihre eigene Karriere verbaut?«

      »Fragen Sie einmal ein Mädchen, das enttäuscht wurde, nach logischen Gründen«, entgegnete Gregor Ramoni bitter.

      »Natascha war keinem vernünftigen Zuspruch mehr zugänglich. Ich will zugeben, dass Irina sich unklug verhalten hat. Aber es ist auch schwer zu sagen, wie sie es hätte besser machen sollen. Denn Natascha war leidenschaftlich verliebt und felsenfest davon überzeugt, dass es ihr gelingen würde, Fedor für sich zu gewinnen. Daran, dass sich ein anderes Mädchen für ihn interessieren könnte, hatte sie nicht gedacht. Nun also wollte sie weder mit ihrer Schwester noch mit Fedor noch etwas zu tun haben. Sie drohte, Irina abstürzen zu lassen. Es war entsetzlich, und wir mussten die drei Ramonis von einem Tag auf den anderen vom Programm absetzen, um das Schlimmste zu verhüten. Sie machen sich keinen Begriff, was das bedeutete.«

      »Wo sind Irina und Fedor Collins jetzt?«, fragte Helmut Koster dann betroffen.

      »Sie gastieren an den verschiedensten Etablissements. Aber sie sind zu zweit nur Mittelklasse, genau wie Natascha allein nicht hervorragend sein kann. Der Reiz der drei Ramonis lag in den beiden völlig gleich aussehenden Mädchen und der wundervollen Harmonie ihrer Bewegungen. Die beiden kennen einander seit ihrer Geburt und können die gewagtesten Sachen zusammen riskieren, weil sich die eine auf die Reaktionen der anderen absolut verlassen kann. Das ist so wichtig bei diesen Nummern, wie Sie sicher wissen. Nun ja, es hat nicht sollen sein. Natascha ist bei mir geblieben, und die beiden anderen schreiben ab und zu einmal einen Brief an mich. Sie haben geheiratet, und sie haben dazu auch meinen Segen. Es ist eine Tragödie, dass sich beide Mädchen in Fedor verlieben mussten.«

      »Gewiss hat es dem Zirkus geschadet, dass die drei Ramonis plötzlich nicht mehr auftraten«, meinte Helmut.

      »Allerdings. Als wir diese Zugnummer nicht mehr hatten, ging es immer weiter mit uns bergab. Aber selbst das konnte Natascha nicht dazu bewegen, ihre starre Haltung aufzugeben. Sie weigerte sich, mit Irina noch ein einziges Wort zu sprechen. An einen gemeinsamen Auftritt war und ist nicht mehr zu denken. Diese Hoffnung habe ich allmählich aufgegeben. Vielleicht stößt einmal eine Trapezgruppe zu uns, in der Natascha endlich wieder beweisen kann, was wirklich in ihr steckt. Aber die drei Ramonis wird es nicht mehr geben, weil Natascha nicht mehr will. Dabei glaube ich nicht einmal, dass sie Fedor Collins heute noch liebt. Es ist einfach der verletzte Stolz. Nun ja, das liegt bei uns in der Familie. Ich war auch so, als ich jung war, hörte ich auf keinen guten Rat. Aber ich hätte nicht gedacht, dass meine beiden schönen Töchter mich einmal so ins Unglück bringen würden.« Verstohlen wischte Ramoni eine Träne aus seinem Augenwinkel.

      »Vielleicht wird alles wieder besser«, versuchte der Tierpfleger, ein bisschen unbeholfen, ihm Trost zuzusprechen. »Ich kann Ihnen leider in dieser Sache nicht helfen, Herr Direktor. Aber wegen des Jungen, für den Sie die Verantwortung übernommen haben, könnte ich wohl mit Frau von Schoenecker reden.«

      Erschrocken hob Ramoni beide Hände. »Ausgeschlossen, Helmut«, rief er aus. »So ein piekfeines Kinderheim ist für mich viel zu teuer. Das kommt gar nicht infrage. Ich habe ja die Kinder mit eigenen Augen gesehen. Das sind keine Zirkuskinder, die mit dem Teller herumlaufen und um Geld bitten müssen.«

      Helmut Koster lächelte. »Diesmal irren Sie sich, Signor Direktor. In Sophienlust kommts aufs Geld nicht an. Sie haben natürlich recht, dass die Kinder gut angezogen sind und dass es ihnen an nichts fehlt. Aber das liegt nicht daran, dass für alle bezahlt wird. Im Gegenteil, ich weiß mit absoluter Zuverlässigkeit, dass im Heim die Mehrzahl der Kinder gar nicht bezahlen kann. Zusammen mit dem Gut und dem schönen alten Herrenhaus ist dem Jungen, von dem ich sprach, auch ein großes Vermögen zugefallen. Davon wurde eine Stiftung errichtete, aus der der Unterhalt für die mittellosen Kinder bestritten wird. Da das dazugehörige Landgut von Nicks Vater Alexander von Schoenecker, gemeinsam mit seinem eigenen Gut Schoeneich bewirtschaftet wird, trägt sich der Betrieb des Heims sowieso selber.«

      »Das hört sich wunderschön an, und ich glaube es Ihnen auch, lieber Helmut. Aber warum sollte Frau von Schoenecker ausgerechnet mir und meinem kleinen Wanja Ragell diese Hilfe zuteil werden lassen? Wir hungern schließlich nicht.«

      »Aber Wanja sollte endlich zur Schule gehen«, erinnerte Helmut Koster den alten Mann.

      »Vielleicht kann ich ihn für ein weiteres Jahr von der Schule freistellen lassen. Er ist ein bisschen zart, und uns Zirkusleuten gegenüber sind die Behörden immer ganz freundlich und drücken schon einmal ein Auge zu. Ich kann mir den Jungen einfach nicht in einem Herrenhaus vorstellen. Dort passt er nicht hin.«

      »Es ist doch kein gewöhnliches Herrenhaus, Signor Ramoni«, widersprach Helmut. »Sie sollten sich Sophienlust einmal ansehen. Wanja würde nichts entbehren. Es gibt allerlei Tiere dort und vor allem Reitponys für die Kinder. Nick und Irmela, die schon größer sind, reiten sogar auf sehr schönen richtigen Pferden. An Hunden, Katzen, Meerschweinchen, Zwerghasen, Goldhamstern, Kanarienvögeln, Fischen und so weiter gibt es keinen Mangel, und am lustigsten ist der absolut zirkusreife Papagei Habakuk, der Nick persönlich gehört und der alle möglichen Schimpfworte zu sagen weiß.«

      »Das klingt ganz lustig. Glauben Sie denn wirklich, dass es unbedingt nötig ist, Wanja zur Schule zu schicken?« Es war nicht zu übersehen, dass Gregor Ramoni einen Kampf mit seinem Gewissen ausfocht. Sicherlich hatte er sich ähnliche Gedanken schon öfters gemacht.

      »Manchmal klappt es nicht mit den Zirkuskindern«, sagte Helmut leise und verständnisvoll. »Aber man sollte wenigstens einmal einen Versuch wagen. Wenn Wanja nicht mag, werden sie ihn in Sophienlust zu nichts zwingen. Sie gehen dort sehr liebevoll mit den Kindern um, von denen die meisten schon Schweres erlebt haben.«

      »Nun ja, mein Wanja hat keine Eltern mehr. An seine Mutter erinnert er sich nicht, aber das Bild seines Vaters trägt er noch ganz lebendig in sich. Er ist schon heute fest entschlossen, später auch mit Raubkatzen zu arbeiten. Ich glaube, dass er auch wirklich eine Begabung hat, sich mit Tieren zu verständigen und erfolgreich mit ihnen zu arbeiten. Latein und höhere Mathematik braucht er nicht dazu. Die Zirkuslust ist wichtiger – und viel Liebe.«

      »Sie haben sich darauf versteift, Herr Direktor. Vielleicht deshalb, weil Irina fort ist und Sie Natascha noch nicht verzeihen können. Wanja muss Ihnen nun alles ersetzen, was Sie verloren haben.«

      »Ich bin Natascha nicht böse«, behauptete der Alte tapfer. »Ich muss ja zugeben, dass ich es in ihrem Alter nicht anders gemacht hätte. Man schaut nicht links oder rechts mit zwanzig, und man merkt nicht, dass man andere ins eigene Unglück mit hineinreißt. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Eines Tages kriege ich wieder eine Zugnummer. Wenn man erst eine gute Nummer hat, kommen die anderen von selber. Das ist eine uralte Zirkuserfahrung. Nur wer nichts hat, wie ich im Augenblick, ist nicht besonders gut dran. Aber ich darf nicht alles Natascha in die Schuhe schieben. Der Familienstreit ist nur eben noch hinzugekommen.«

      Was für ein gerecht und fair denkender Mann, dachte Helmut Koster beeindruckt. Von dieser Seite her muss es auch möglich sein, ihn zu einer anderen Haltung in Bezug auf Wanja zu bewegen.

      »Wollen Sie mir nicht wenigstens erlauben, mit Frau von Schoenecker einmal über Wanja unverbindlich zu sprechen?«, bat er, tief Atem holend.

      »Sehen Sie, Sie räumen sich selbst eine Chance ein und lassen auch Ihrer Tochter durchaus alle Türen offen. Hat Wanja nicht gleichfalls ein Recht darauf, dass man ihm


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