Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
sehr spät, ehe Klaus aufbrach. Lilo begleitete ihn bis zur Tür, um ihm den Weg zu beschreiben.
»Danke, Lilo. Danke für alles«, sagte er und strich ihr leicht über das Haar, ehe er sich in den Wagen setzte, den er für die Zeit seines Aufenthaltes in Europa gemietet hatte.
Später lag er in seinem Hotelbett und bemühte sich, seinen klaren Verstand zu bewahren. Mit Macht fühlte er sich zu Gabis Schwester hingezogen. Gabi und Lilo waren für ihn ein und dieselbe Person geworden.
Es darf nicht sein, hielt er sich vor. Lilo ist verheiratet und lebt ihr eigenes Leben. Ich muss morgen mit meinem störrischen Sohn ins reine kommen und anschließend so schnell wie möglich abreisen.
Doch bei dem Gedanken an die so bald bevorstehende Trennung von Lilo empfand er einen heftigen Schmerz in der Brust. Er richtete sich auf und hielt die Fotografie der beiden Jungen unter das Licht der Bettlampe. Die Buben gleichen sich, genau wie die Mütter, auf eine geradezu unheimliche Weise. Klaus Magnus gestand sich ein, dass der freundliche Jochen ihm ebenso gut gefiel wie sein eigener verstockter Sohn, dem sein ganzes Herz gehörte, mochte er sich noch so feindselig gegen ihn gestellt haben.
Ich habe nur auf Klaus ein Recht, hielt er sich vor. Lilo und Jochen werden hierbleiben. Ich darf nicht mehr an Lilo denken. Gabi lebt nicht mehr. Man kann die Vergangenheit nicht mehr zurückholen.
Er warf sich ruhelos auf dem Bett hin und her. Erst gegen Morgen verfiel er in einen bleischweren Schlaf.
*
Janosch war ein Frühaufsteher. Schon vor sechs Uhr musste er täglich aus den Federn, um die ihm anvertrauten Tiere pünktlich zu versorgen. Allerdings begann auch drüben im Wohnhaus der Familie von Lehn der Tag zeitig. Denn der kleine Peter war nun einmal kein Langschläfer und weckte alle Hausbewohner.
Janosch schmunzelte, wenn das helle Stimmchen des Stammhalters der Familie bis zu ihm herüberdrang. Denn für das Peterle hatte der alte Janosch eine ganz besondere Vorliebe.
An diesem Morgen war das Wetter gut. Der weißhaarige Mann schaute zufrieden zum blauen Himmel empor. Er verließ seine kleine Wohnung, die an das Tierheim angrenzte, und ging zum Heuschuppen, um für die Katze Heinrich ein neues Polster aus Heu zu holen. Ohne hinzuschauen, griff er in das getrocknete Junigras.
»Nanu – was ist denn hier los?«, rief er halblaut in seinem harten etwas fremd klingenden Deutsch aus. Dann schaute er genauer hin.
»Ja …, aber …, Klaus … Hast du etwa hier übernachtet?«, rief er fassungslos aus, als er den verschlafenen Jungen erkannte, der ihn erschrocken ansah.
»Es …, es war schon ganz spät, Janosch. Weil …, weil kein Licht mehr brannte, wollte ich zu den Tieren gehen. Aber die Tür war ganz fest verschlossen. Ich konnte nur hier herein, Janosch. Da bin ich ins Heu gekrochen.«
»Hör mal, suchen sie dich nicht bei dir zu Hause, Klaus?«, erkundigte sich Janosch besorgt.
»Das macht nichts«, behauptete Klaus leichthin. »Die mögen mich ja doch nicht leiden.«
»Und wohin willst du jetzt?«, fragte der Tierpfleger kopfschüttelnd.
»Zu Frau von Lehn, natürlich«, antwortete Klaus prompt. »Die hilft mir bestimmt.«
»Das ist ein vernünftiger Gedanke«, meinte Janosch. »Aber jetzt ist es noch sehr früh. Wollen wir zuerst nach den Tieren schauen? Willst du mir helfen?«
Klaus rappelte sich auf. Er folgte Janosch und half eifrig mit, die Heimbewohner zu füttern und ihnen frisches Wasser zu geben.
»Es sind wirklich glückliche Tiere«, seufzte der Bub.
Der alte Janosch lächelte. »Trotzdem hättest du nicht ausreißen sollen.«
»Ob ich bei Frau von Lehn bleiben kann, Janosch?«, fragte Klaus sehnsuchtsvoll. »Ich helfe bei den Tieren, und schlafen kann ich natürlich im Heu. Das ist prima.«
Janosch schüttelte den weißhaarigen Kopf. »Das wird nicht gehen, Junge. Halt – hierbleiben!« Der Tierpfleger hatte schon die ganze Zeit damit gerechnet, dass Klaus davonlaufen könnte. Nun hielt er ihn am Arm fest.
»Wenn Frau von Lehn mich aber nach Hause bringt, Janosch?«, keuchte Klaus und versuchte sich loszureißen, was ihm allerdings nicht gelang. »Ich mag nicht mehr nach Hause. Nie mehr!«
»Frau von Lehn macht schon immer das Richtige, Klaus«, tröstete Janosch ihn gutmütig. »Komm, sie werden jetzt drüben frühstücken. Wir können zum Haus gehen.«
Die beiden fanden die Familie von Lehn um den Frühstückstisch versammelt. Peterle saß im Hochstuhl und aß recht manierlich sein in kleine Streifen geschnittenes Brot.
Andrea begrüßte den Jungen mit warmer Herzlichkeit und Janosch berichtete ihr, dass Klaus im Heuschuppen übernachtet und dann bei den Tieren geholfen habe.
»Danke, Janosch.« Andrea nickte freundlich. »Jetzt wird Klaus wohl hungrig sein. Du kannst gleich mitessen, Junge.«
Dr. Hans-Joachim von Lehn musterte den etwas zerzausten Gast aufmerksam. »Ein Glück, dass du zu uns gekommen bist«, meinte er.
»Das finde ich auch«, stimmte Andrea ihm zu. »Klaus ist eben ein schlauer Bub. Brauchst du mich nachher unbedingt in der Sprechstunde, Hans-Joachim?«
Der Tierarzt lächelte verständnisvoll. »Es wird ohne deine Hilfe gehen, Andrea. Du bist ja offensichtlich anderweitig beschäftigt. Falls es nötig wird, werde ich mir Janosch holen.«
Andrea rief nach Marianne, die rasch ein neues Gedeck für den unangemeldeten Gast brachte. Klaus futterte mit bestem Appetit und schien seine Sorgen zunächst einmal zu vergessen.
Etwa eine Viertelstunde später holte Marianne das Peterle, und Klaus blieb mit der jungen Hausfrau allein. Stockend berichtete er, warum er mitten in der Nacht von daheim fortgeschlichen war.
»Ich gehe nie mehr hin«, stieß er trotzig hervor. »Das gibt es doch gar nicht, dass plötzlich ein ganz fremder Mann aus Südafrika kommt und mein Vater sein will. Sie lügen mich an. Als ich im Bett lag, ist mir eingefallen, dass es wahrscheinlich ein Sklavenhändler ist. Meine Eltern mögen mich nicht. Deshalb haben sie mich an ihn verkauft.«
Andrea tat das Herz weh. Was für schreckliche Gedanken der arme Junge sich machte!
»Sklavenhändler gibt es nicht mehr, Klaus«, wandte sie ein.
»Ich habe aber eine Geschichte darüber gelesen. Sie spielte auch in Afrika.«
»Hm, vielleicht vor langer, langer Zeit, Klaus. Heute kommt das nicht mehr vor. Trotzdem meine ich, dass du jetzt lieber nicht nach Hause gehen solltest.«
Der Junge atmete auf. »Ich darf hierbleiben?«
Andrea schüttelte den Kopf. »Nein, Klaus, ich werde dich nach Sophienlust bringen.«
»Sophienlust – was ist das?«
»Sophienlust ist ein Heim für Kinder, gar nicht weit weg von hier. Es gehört meinem Bruder Nick. Weil Nick aber noch zur Schule geht, verwaltet es unsere Mutter für ihn.
»Aber vielleicht gefällt es mir dort nicht. Ich mag die Tiere hier so gern, und Janosch natürlich auch.«
»Sophienlust ist ein Gutshaus, Klaus. Es gibt allerlei Tiere dort, sogar Ponys, auf denen die Kinder reiten dürfen. Nick nennt Sophienlust das Haus der glücklichen Kinder.«
»Ach so. Und hier ist das Heim der glücklichen Tiere. Jetzt kann ich mir schon vorstellen, dass es dort schön ist.«
»Vielleicht darfst du sogar deine Katze Heinrich mitbringen«, fügte Andrea hinzu. »Viele Kinder in Sophienlust haben ein Tier, das ihnen ganz allein gehört.«
Die Augen des Jungen leuchteten auf. »Heinrich möchte ich schon gern mitnehmen.«
»Dann packen wir Heinrich einfach mit ein.«
Andrea hatte ihren Entschluss längst gefasst. »Lauf zum Tierheim hinüber und lass dir von