Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
ins Haus«, forderte sie den Besucher auf und war nicht mehr ganz so abweisend wie anfangs. »Das lässt sich nicht zwischen Tür und Angel erzählen.«
»Danke, Lilo.«
Klaus Magnus trat ein und konnte die Blicke nicht von Lilo lassen. Ihre Ähnlichkeit mit Gabi war verwirrend für ihn. Es erschien ihm jetzt noch weniger glaubhaft, dass Gabi gestorben sein sollte.
Im Wohnzimmer deutete Lilo stumm auf einen Sessel und ließ sich in einen anderen sinken. Ihr Blick ging durchs Fenster in den Garten hinaus. An die Buben dachte sie nicht mehr.
»Was war mit Gabi?«, fragte Klaus, da Lilo beharrlich schwieg.
»Sie starb bei der Geburt deines Sohnes«, antwortete Lilo und sah Klaus dabei herausfordernd an. »Hast du davon wirklich nichts gewusst?«
Er hatte Mühe, seine Fassung zu bewahren. »Lilo – ist das wahr? Ich hatte keine Ahnung. Wie entsetzlich! Das kann ich nie gutmachen. Du musst mir alles erzählen. Ich bitte dich!«
Angesichts seiner Bestürzung und seines aufrichtigen Kummers verebbte ihr Zorn.
»Viel gibt es da nicht zu sagen, Klaus. Du warst weg, und Gabi erwartete ein Baby. Vater war natürlich außer sich. Er schickte die arme Gabi sofort ins Ausland, und zwar in die Schweiz. Dort sollte das Kind in aller Verborgenheit zur Welt kommen und dann in einem Heim verschwinden. Er hoffte, dass zu Hause kein Mensch etwas davon erfahren würde. Es war nun einmal sein Traum, Gabi reich und glänzend zu verheiraten. Meine Ehe mit Siegfried Werner war ihm auch nicht recht. Er fürchtete, dass wir für alle Ewigkeit von trockenem Brot leben müssten. Dass ein Werbeberater viel Geld verdienen kann, wollte er nicht glauben. Leider hat Vater nicht mehr erlebt, wie schnell und gut Siegfried seinen Weg machte. Aber wir sprachen von Gabi. Sie war sehr unglücklich. Da sie keine Möglichkeit sah, sich mit dir in Verbindung zu setzen, fügte sie sich den Wünschen unseres Vaters. Sie schrieb mir dann ein paarmal aus der Schweiz. Zu meiner Hochzeit kam sie selbstverständlich nicht. Zu Hause verbreitete sich das Gerücht, dass sie lungenkrank sei. Sie starb eine Woche nach der Geburt an einer Embolie. Der Junge wurde auf ihren Wunsch hin Klaus genannt. Mit einer Adoption hatte sie sich noch nicht einverstanden erklärt. So kam das Baby in ein Heim. Als der Junge ein Jahr alt war, fassten mein Mann und ich den Entschluss, ihn zu uns zu nehmen. Es widerstrebte mir, Gabis Sohn wegzugeben. So etwas tut man einfach nicht, finde ich. Man hat schließlich moralische Verpflichtungen.«
»Dann ist mein Sohn also hier in diesem Haus?« Unwillkürlich sah Klaus Magnus sich suchend um.
»Ja, die Buben sind unterwegs. Ich weiß nicht einmal, wo sie eben stecken. Als du schelltest, dachte ich, sie kämen.«
Der Besucher strich sich über die Stirn.
»So schnell gewöhne ich mich nicht an die Vorstellung, einen Sohn zu haben, Lilo. Du musst mir ein bisschen Zeit lassen. Ich bin dir und deinem Mann Dank schuldig. Daran, dass Gabi nicht mehr lebt, kann ich nichts ändern, doch für den Jungen will ich tun, was in meiner Macht steht. Oder habe ich dazu kein Recht?«
Lilo dachte nach. »Ich glaube, dass du keine Schwierigkeiten haben würdest, deine Vaterschaft anerkannt zu bekommen. Gabi hat deinen Namen angegeben. Er steht in der Geburtsurkunde des Jungen.«
»Und sonst? Wurde der Junge von euch adoptiert?«
»Nein, dazu konnten wir uns bis jetzt nicht entschließen. Er trägt unseren Familiennamen nur pro forma. In Wirklichkeit heißt er Klaus Renz.«
Um des Mannes Mund zuckte es. »Er wird Klaus Magnus heißen, wie ich, Lilo. Du weißt nicht, was das für mich bedeutet. Ich habe Gabi nie vergessen.« Er griff nach Lilos Hand und presste die Lippen darauf. »Ich bin traurig und zugleich glücklich«, stieß er hervor. »Wenn ich dich anschaue, kommt es mir vor, als sitze Gabi mir gegenüber.«
Sie zog ihre Hand zurück. »Ja, wir waren einander ziemlich ähnlich. Auch die Jungen gleichen einander sehr. Manchmal werden sie für Zwillinge gehalten. Aber Jochen ist fünf Monate jünger als Klaus. Jetzt fangen die Kinder schon an, sich darüber Gedanken zu machen.«
»Das können wir aufklären, Lilo. Oder hast du etwas dagegen, dass ich mich meinem Sohn gegenüber sofort als sein Vater einführe?«
Lilo antwortete ohne zu zögern: »Nein, Klaus. Es wäre wahrscheinlich für den Jungen sogar recht gut. Er ist nämlich ein schwieriges Kind.«
Klaus Magnus war so erregt, dass er nicht bemerkte, wie erleichtert Lilo Werner darüber war, dass sich plötzlich die Aussicht eröffnete, das ungeliebte Pflegekind loszuwerden.
»Selbstverständlich werde ich euch alle bisherigen Auslagen ersetzen«, fuhr Klaus Magnus voller Eifer fort. »Hast du ein Foto von meinem Jungen?«
Lilo nickte. »Doch, wir haben öfters Aufnahmen von den Kindern gemacht. Warte.« Sie stand auf und öffnete einen Wandschrank. In einem flachen Kasten lagen ungeordnet viele Bilder. Lilo nahm einige heraus.
»Dies ist Jochen, dies auch, das auch und das auch. Aber hier ist Klaus mit drauf. Schau mal!« Sie reichte Klaus Magnus eine Aufnahme, auf der man zwei gleichgekleidete Buben sah.
»Der vordere Junge?«, fragte Klaus Magnus.
»Nein, der im Hintergrund.«
»Sie sehen einander tatsächlich recht ähnlich.«
»Kein Wunder. Du hast eben selbst gesagt, dass ich dich an Gabi erinnere. Wenn man Klaus und Jochen aber richtig kennt, weiß man, dass sie im Wesen grundverschieden sind.«
»Hast du ein Bild, auf dem ich Klaus besser erkennen kann?«
Lilo suchte weiter. Doch es fanden sich nur immer wieder Fotos von Jochen. Lediglich auf einem einzigen Bild war auch Klaus zu erkennen. Es machte den Eindruck, als sei Klaus rein zufällig mit auf den Film gekommen.
»Komisch. Wir haben natürlich auch gute Aufnahmen von Klaus«, entschuldigte sich Lilo. »Ich wollte die Bilder schon lange einmal ordnen.«
»Es ist nicht wichtig, Lilo. Ich werde Klaus ja gleich kennenlernen. Hübsch ist er, genau wie dein Jochen. Dass man gar nichts spürt, wenn man seit vielen Jahre einen Sohn hat! Es ist schon eine verrückte Situation. Wenn ich an Gabi denke, fühle ich mich schuldig.«
»Sie war noch so jung. Vater meinte, dass die Verantwortung bei dir lag.«
Klaus Magnus nickte. »Dein Vater hatte wohl recht. Ich war gedankenlos, allerdings auch ganz sicher, dass wir heiraten würden. Wir liebten uns und waren sehr glücklich. Wir dachten nicht, dass uns etwas trennen könnte. Dann kam der Tod meiner Mutter, der Schock, dass ich ohne einen einzigen Cent dastand. Dein Vater trat sehr energisch auf und gab mir den Laufpass. Ich fügte mich, weil ich Gabi nicht mit in meine ungewisse Zukunft nehmen wollte. An ein Kind – nein, an ein Kind hätte ich nie gedacht. Gabi wohl auch nicht.«
»Nein, Gabi war völlig verwirrt, als sie es bemerkte. Sie dachte daran, nach Südafrika zu fliegen, um deine Frau zu werden. Aber wo hätte sie dich wohl suchen sollen? Außerdem verbot ihr das mein Vater. Sie ließ sich schließlich in die Schweiz schicken, weil sie Vaters ständige Vorwürfe und Anklagen gegen dich nicht mehr hören wollte.«
»Arme, arme Gabi. Ich verstehe nun, dass du wütend auf mich warst. Aber ich bin dankbar, dass du mich trotzdem ins Haus gelassen hast.«
»Du wusstest es ja nicht. Ich habe immer angenommen, dass du dich sozusagen gedrückt hättest. Du bist – nicht verheiratet?«
»Nein. Dazu habe ich bis jetzt keine Zeit gehabt. Vielleicht habe ich auch unbewusst jedes Mädchen mit Gabi verglichen.«
»Würdest du Klaus mitnehmen? Oder gehst du nicht wieder zurück?«
»Ich gehe unter allen Umständen zurück. Dort habe ich meine sichere Existenz. Dass ich meinen Sohn mitnehmen will, versteht sich wohl von selbst. Oder hättest du etwas dagegen?«
Lilo schüttelte den Kopf. »Durchaus nicht. Möglich, dass du besser mit ihm fertig wirst als wir. Ein paar harte Nüsse wird er dir aber zu knacken geben. Darauf musst du gefasst