Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Musste nicht das Ende der Sorgen herbeigekommen sein, wenn sein Vati hier saß, einen großen teuren Wagen fuhr und ihm außerdem ein so wertvolles Geschenk mitgebracht hatte?
»Es kommt schon wieder ins Lot, mein Junge. Ich freue mich, dass du dich so dafür interessierst. Wir werden einiges verändern müssen auf dem Heidehof, und dann sind wir bestimmt ganz reiche, fröhliche Leute. Ehrenwort. Du kannst dich darauf verlassen.«
»Wenn das so ist, komme ich natürlich gern wieder nach Hause. Weißt du, vielleicht holt Onkel Gert die Gunni dann auch. Er ist ja jetzt unser Tierarzt in der Kreisstadt. Das ist nicht weit vom Heidehof. Dann könnte ich doch die Gunni immer besuchen, oder wir holen sie zum Spielen aufs Gut zu mir. Dann muss die Ama Waffeln backen. Das habe ich Gunni nämlich schon versprochen.«
»Na ja, wenn du dich mit der Ama gut verstehst, macht sie vielleicht Waffeln.«
Das Einvernehmen zwischen Vater und Sohn wurde immer besser.
»Weißt du was? Wir fahren gleich los! Mutti freut sich bestimmt, wenn wir sie überraschen. Sie erwartet uns erst morgen. Aber ich bin nicht müde, und es ist auch gar nicht so spät. Ich werde in Sophienlust anrufen.« Werner Breuer wollte sein Eisen schmieden, solange es heißt war.
»Ich habe keine Sachen mit. Und mit der Schule wäre es auch schwierig. Man braucht eine Entschuldigung, Vati. Unser Lehrer nimmt es damit sehr genau.«
»Die Entschuldigung schreiben sie dir in Sophienlust. Ich gehe jetzt telefonieren. Wenn man in Sophienlust einverstanden ist, fahren wir einfach. Das Gepäck holen wir später ab. Stell dir vor, was Mutti für ein Gesicht machen wird.« Uwe war satt und müde. Er lehnte sich im Stuhl zurück. »Wenn du meinst? In deinem schönen Auto zu fahren, das würde mir schon gefallen. Es dauert doch gar nicht so schrecklich lange, bis wir auf dem Heidehof sind, nicht wahr?« Er hatte auf einmal Sehnsucht nach seiner Mutti.
»Nein, nein, gar nicht lange«, behauptete Werner Breuer rasch. »Also, versprich mir, dass du hier brav wartest, während ich telefoniere. Wir müssen im Heim natürlich Bescheid sagen, damit sie sich nicht um dich sorgen.«
»Okay, Vati. Bestellst du mir noch eine Limo?«
Werner Breuer erfüllte diesen bescheidenen Wunsch gern. Dann ging er zum Telefon und ließ sich mit Sophienlust verbinden. Er erreichte Schwester Regine und sagte: »Ich habe es schon mit Frau von Lehn besprochen. Es hat alles seine Ordnung. Ich nehme meinen Jungen mit nach Hause. Wir rufen dann vom Heidehof aus an, Schwesterchen. Sie haben hoffentlich nichts dagegen? Uwe erinnerte ausdrücklich daran, dass er für die Schule eine Entschuldigung braucht. Wollen Sie das in die Wege leiten?«
»Wird Uwe für immer fortgehen?«, erkundigte sich Schwester Regine verwundert.
»Nein, zunächst nicht. Ich möchte ihn nur in den nächsten Tagen zu Hause haben. Dann bringe ich ihn wieder und hole ihn später mit meiner Frau zusammen endgültig ab. Ich glaube, es ist Zeit, dass wir Uwe wieder zu uns holen. Ich bin jetzt wieder daheim und möchte den Jungen um mich haben. Das Reisen ist vorbei. Nun, ich will Sie nicht mit Einzelheiten aufhalten. Richten Sie bitte auch Frau von Schoenecker meine Empfehlung aus. Ich habe sehr bedauert, dass ich sie nicht angetroffen habe. Ich hätte mich anmelden sollen. Aber ich bin nun mal ein Mensch von plötzlichen Entschlüssen, Frau von Schoenecker ist mir hoffentlich deswegen nicht böse.«
Schwester Regine sagte höflich, dass es sicherlich seine Richtigkeit habe, wenn er – der Vater – seinen Buben mitnähme. Aber wegen der Schule müsse Uwe spätestens nächste Woche wieder hier sein. Länger als für drei Schultage gebe es nämlich ohne Attest oder zwingenden Grund keinen Sonderurlaub.
»Es ist ein ziemlich zwingender familiärer Grund, Schwesterchen. Sie brauchen sich wirklich keine Gedanken zu machen. Notfalls bringe ich das mit dem Lehrer später persönlich in Ordnung. Vielen Dank und gute Nacht.«
Auch die Einwände der Schwester, dass der Junge keine Zahnbürste und kein Nachtzeug bei sich habe, zerstreute Werner.
»So, Junge, jetzt fahren wir los. Die Entschuldigung wird von Schwester Alwine erledigt.«
Uwe prustete vor Lachen. »Sie heißt doch nicht Alwine, sondern Regine, Vati. Na, egal, jetzt fahren wir in deinem schicken Auto zu Mutti.«
Unterwegs plauderte Uwe eine ganze Weile. Doch die Unterhaltung war etwas mühselig, weil er auf dem Rücksitz bleiben musste.
»Lass mich nach vorn, Vati«, bettelte er.
»Nein, Junge. Du solltest wissen, dass das verboten ist. Ich bin doch nicht verrückt und handle mir ein Strafmandat ein.«
»Hier auf der Autobahn kommt bestimmt keine Polizei.«
»Das weiß man nie. Es ist auch viel zu gefährlich für Kinder, vorn neben dem Fahrer zu sitzen. Leg dich einmal gemütlich hinten hin. Es ist schon ziemlich spät, und du solltest ein bisschen schlafen, damit du frisch und munter bist, wenn wir bei Mutti ankommen.«
Es war gegen zwei in der Nacht, als er vor seiner Pension in der kleinen Heidestadt anhielt. Uwe schlief so fest, dass er nicht erwachte, als sein Vater ihn ins Haus trug.
»Schon zurück?«, fragte die Wirtin, die aufgewacht war und mit Lockenwicklern und im Schlafrock in den Flur kam. »Ach, Sie haben Ihren Jungen gleich mitgebracht?«
»Pst«, wisperte Werner Breuer. »Er schläft. Ich lege ihn bei mir aufs Sofa. Sie haben doch nichts dagegen?«
»Aber nein. Warten Sie, ich bringe Ihnen eine Decke und ein Kissen.«
Gemeinsam mit dem Vater bettete die Wirtin den fest schlafenden Jungen auf das Sofa und trippelte dann wieder in ihr Schlafzimmer.
»Was für ein netter, fürsorglicher Vater der Herr Breuer ist. Da merkt man doch gleich die gute Erziehung.« So redete sie ihrer Gewohnheit entsprechend vor sich hin, ehe sie wieder zu Bett ging. Sie war nicht aus der Heide, sondern kam aus dem Rheinland. Die kleine Pension führte sie erst seit einem Jahr. Deshalb hatte sie auch keine Ahnung, dass Werner Breuer eigentlich Gutsherr auf dem Heidehof war.
*
Es war erst fünf Uhr morgens, als es klingelte. Ama war schon auf, und auch Beate hatte sich bereits angekleidet. Sie trank eben in der Küche eine Tasse Tee, um sich für den Tag zu stärken.
»Wer kommt denn so früh, Ama?«, fragte Beate.
»Ich schau einmal nach. Hoffentlich ist nichts passiert. Es ist wirklich eine verrückte Zeit«, murmelte Ama und stand etwas umständlich von ihrem Küchentisch auf.
Zwei Minuten später stand Werner Breuer seiner Frau gegenüber.
»Ich komme, um mich endgültig mit dir auszusöhnen, Beate.«
»So ungewöhnlich die Tageszeit auch sein mag, meine Antwort bleibt dieselbe, Werner. Du kennst sie. Ich bitte dich um die Scheidung. Erkläre dich doch endlich damit einverstanden.«
Sie befanden sich nun im Wohnzimmer, das nur noch selten von Beate benutzt wurde. Ama war in die Küche zurückgekehrt, nachdem sie Beate angeboten hatte, der Unterredung beizuwohnen. Doch Beate hatte ihr zugeraunt: »Ich habe keine Angst vor ihm, Ama.«
»Diese Absicht habe ich nicht, Beate. Und jetzt besitze ich auch die Möglichkeit, meinem Wunsch Nachdruck zu verleihen. Ich habe Uwe bei mir.«
»Uwe?« Beate verstand ihren Mann nicht gleich und sah ihn fassungslos an.
»Was bedeutet das? Ist er bei dir?«
»Ich habe ihn abgeholt und sicher eingeschlossen. Wir sind nicht geschieden, und ich bin Uwes Vater. Ich werde den Jungen in einem anderen Heim unterbringen, möglicherweise im Ausland. Das ist noch zu überlegen.«
»Nein! Das …, das kannst du nicht tun. Wo ist mein Junge? Wenn ich geahnt hätte, dass du so eine Gemeinheit im Schilde führst, hätte ich dir gewiss nicht noch den Weg nach Sophienlust beschrieben.« Beate kämpfte mit Tränen der Angst und der Verzweiflung.
»Finde dich damit ab. Die einzige Möglichkeit, mich davon abzuhalten, Uwe ins Ausland zu bringen, ist dein Einverständnis,