Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg
benötige, aber du sollst das selbstverständlich nicht zu bereuen haben. In einem Jahr ist der Heidehof schuldenfrei. Dann wirst du mir dankbar sein.«
Beate schüttelte stumm den Kopf. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wo mochte er den Jungen versteckt haben? Etwas anderes vermochte sie nicht zu denken.
»Wo ist Uwe?«, wiederholte sie ihre Frage. »Er ängstigt sich doch gewiss. Du darfst ihm das nicht antun, Werner. Bedeutet dir dein eigenes Kind denn nichts als eine Trumpfkarte?«
»Wie unschön du das ausdrückst! Ich verwende Uwe lediglich als Druckmittel, um dich endlich zur Vernunft zu bringen. Ich meine es gut mit dir und dem Jungen. Wenn du einverstanden bist und mir hier schriftlich bestätigst, dass du auf die Scheidung verzichtest, bringe ich Uwe in einer Stunde her. Dann ist alles erledigt.«
»Was tut er jetzt? Hast du ihn in irgendeinem Hotel eingesperrt, wo er sich nicht zu helfen weiß? Oder wird er von einer Freundin aus deiner reichhaltigen Sammlung bewacht?« Vergeblich bemühte sich Beate, in dieser außergewöhnlichen Situation Ruhe und Überlegenheit zu bewahren.
Werner lächelte sarkastisch. »Du traust mir eine Menge zu. Uwe liegt im Bett und schläft. Er ist gegen Morgen einmal aufgewacht, weil er mal musste. Da habe ich ihm etwas zu trinken gegeben und ein Schlafmittel hineingemixt. In den nächsten Stunden wird er vermutlich nicht aufwachen. Er ist ganz vernünftig mit mir gekommen, denn er war überzeugt, dass wir zu dir fahren. Wenn du keine Sperenzchen machst, wird er nie erfahren, warum ich ihn unbedingt mitnehmen wollte.«
»Dass Frau von Schoenecker ihn dir mitgegeben hat … Sie hätte wenigstens bei mir anrufen müssen.«
»Frau von Schoenecker war nicht da, meine Liebe. Ich habe mit der Kinderschwester gesprochen und mit Frau von Lehn, bei der die ganze Kinderhorde am Nachmittag eingeladen war. Es traf sich wirklich äußerst günstig für mich. Niemand zögerte auch nur eine Sekunde, mir als Vater meinen eigenen Sohn mitzugeben. Es gibt ja auch gar keinen Grund, mir das zu verwehren. Wie nennt man das noch? Ach ja, Familienzusammenführung. Uwe und ich kommen noch heute auf den Heidehof, und dann hat der ganze Streit für alle Zeit ein Ende. Du brauchst nur zweimal deinen Namen zu schreiben. Einmal unter einen Scheck und ein zweites Mal unter einen kurzen Brief an deinen Anwalt. Willst du?«
»Nein, Werner. Ich lasse mich nicht erpressen. Was für ein Medikament hast du Uwe eingeflößt? Das grenzt schon ans Verbrecherische.« Beate fürchtete Schlimmeres. Doch in ihre Angst mischte sich nun auch Zorn.
»Ach wo, es war ein ganz leichtes, rezeptfreies Mittel für Kinder. Uwe ist sowieso übermüdet von der langen Autofahrt. Ich übrigens auch. Vielleicht könnte Ama mir wenigstens einen Kaffee machen.«
»Nein. Es ist deine eigene Schuld, dass du müde bist. Soll ich dich hier auch noch bewirten?«
»Das wirst du von jetzt an jeden Tag tun, meine Liebe. Ich bin mit dir verheiratet und gedenke es zu bleiben. Erpressung hört sich zwar gar nicht schön an, aber ich lasse es gelten, denn meine Erpressung dient dem guten Zweck, den ehelichen Frieden in meinem Hause endlich wieder herzustellen.«
Es war eine unerfreuliche Unterredung. Da Beate es Werner nicht verwehren konnte, läutete er und bestellte bei Ama Kaffee, gekochte Eier im Glase, Brot und Butter, Käse und Schinken. Natürlich auch den guten Heidehonig.
Ama servierte das Frühstück mit finsterem Gesicht. Beate stand am Fenster, sah blass aus und kümmerte sich zum ersten Mal seit vielen, vielen Wochen des Morgens nicht um ihre Hühner. Die mochten warten. Es ging um Uwe!
»Siehst du, ich erreiche alles, was ich will. Es wäre klüger, wenn du dich endlich mit der Tatsache abfinden würdest. Niemand wird mir einen Vorwurf daraus machen, dass ich auf diese Weise meine Ehe repariert habe. Ein Mann muss eben manchmal zu drastischen Mitteln greifen. Die Frauen haben zwar heute mehr zu sagen als früher, aber sie sind immer noch töricht.«
»Hör auf!«
»Ich liebe törichte Frauen, Beate. Besonders dich.«
»Ich will diese Lüge nicht anhören. Sei still, und lass mich nachdenken. Es wird einen Ausweg geben. Ich will mich von dir trennen, und du wirst meinen Wunsch respektieren müssen, selbst in dieser Lage.«
»Bedeutet dir Uwe so wenig? Er wird bestimmt in der französischen Schweiz, in England oder in Italien in einem Internat unter Kindern, deren Sprache er erst mühsam erlernen muss, Heimweh bekommen. Das solltest du ihm nicht antun, denn auf die Dauer gibst du sowieso nach. Deshalb kannst du gleich heute auf meine berechtigten Forderungen eingehen. Glaub mir, ich will unser aller Bestes.«
In der Küche hockte Ama und tat gleichfalls nichts. Sie fühlte, dass da drinnen im großen Wohnzimmer irgendetwas Schreckliches im Gange war. Aber sie wusste nicht, was sie tun sollte. So wartete sie nur. Auch sie ließ die arbeitsharten Hände mitten in der Woche ruhen, weil sie Angst hatte und helfen wollte, ohne es zu vermögen.
*
Uwe rieb sich die Augen. Ihm war ein bisschen schlecht, und die Sonne kitzelte ihn unter der Nase.
»Vati? Wo sind wir hier eigentlich?«
Keine Antwort. Das Bett seines Vaters war leer, das Zimmer verschlossen.
Zwar war Uwe Breuer erst sieben Jahre alt, doch nun dämmerte ihm, dass an dieser Geschichte etwas nicht stimmen konnte. Schon die Tatsache, dass er vollständig angezogen im Bett lag, war verwirrend. Nur seine Schuhe hatte ihm jemand abgestreift. Sie standen unter dem Sofa. Rasch schlüpfte er hinein.
Vom Fenster stellte Uwe fest, dass das Zimmer im Erdgeschoss lag. Mit einem geschickten Sprung war er auf dem Sims, dann sprang er mutig in das Rosenbeet vor dem Fenster, ohne sich darum zu kümmern, dass er sich an den spitzen Dornen der Blumen tüchtig verkratzte.
Niemand bemerkte den Jungen, denn es war erst halb sechs Uhr morgens. Uwe musste sich jetzt übergeben, doch danach fühlte er sich besser. Das Schlafmittel, von dem Uwe allerdings nichts wusste, war ihm schlecht bekommen und hatte nicht gewirkt. So war dies der Punkt, der die Rechnung Werner Breuers nicht aufgehen ließ.
Als Uwe die Kirche sah, wusste er, dass er sich in der Kreisstadt befand, zu der der Heidehof gehörte. Er war oft genug mit seiner Mutti hier gewesen, um einzukaufen. Er kannte sich hier aus. Aber wie sollte er jetzt zu seiner Mutti kommen? Und warum hatte sein Vater ihn allein in dem fremden Haus gelassen und noch dazu eingeschlossen?
Wenn doch mein Vater so wäre wie Onkel Alexander, oder Onkel Gert, dachte Uwe sehnsüchtig und traurig. Ich glaube, Vati hat mich nicht richtig lieb. Er hat mir zwar das schönste Auto geschenkt, aber er hat mir nicht gesagt, dass er mich allein lassen wird. Das war gemein von ihm.
Uwe setzte seine Betrachtungen fort. Onkel Gert wohnt doch hier in der Stadt, überlegte er. Ich muss versuchen, zu ihm zu gehen. Er bringt mich bestimmt zu Mutti. Dann ist alles gut.
Jetzt fiel dem Jungen ein, dass man einen Polizisten fragen konnte, wenn man nicht weiterwusste. Also trottete er mit müden Schritten zum Markt, denn dort stand meistens ein Polizeibeamter, wie er sich erinnerte.
Der Polizist betrachtete den verstrubbelten, blassen Jungen, der sich kaum auf den Beinen zu halten vermochte, mitleidig und rief einen Funkstreifenwagen herbei, der Uwe schnell und sicher zu Dr. Rhode brachte. Außerdem ließ er zugleich feststellen, ob die Angaben des Jungen, die ein wenig wirr klangen, auf Wahrheit beruhten. Er wusste, auf die Aussagen des Tierarztes war Verlass.
So nahm die Aktion, die sich Werner Breuer so raffiniert ausgedacht hatte, einen gänzlich anderen Verlauf, als er sich erhofft hatte.
Während Werner im Wohnzimmer des Heidehofs mit Beate sprach und zuversichtlich war, dass es nur eine Frage der Ausdauer sei, um Beate zur Ausstellung des Schecks und zum Verzicht auf die Scheidung zu bewegen, näherte sich bereits der Wagen des Tierarztes. Auf dem Rücksitz saß Uwe, der sich bei Gunnis Vater zunächst ein wenig mit Kakao und einem frischen Brötchen hatte stärken dürfen. Die Zeit, bei Beate Breuer anzurufen, hatte sich der Doktor nicht erst genommen. Er hatte kein gutes Gefühl und wollte deshalb selber mit dem Jungen zum Heidehof fahren, um die Frau, die sein Sinnen und Trachten nun ganz erfüllte, mit eigenen Augen