Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
ich nicht. Ein bisschen betrunken vielleicht. Aber nicht irregeleitet.«
»Das kann nicht sein!« Haldur rang noch immer um seine Fassung. »Sie ist eine Menschliche.«
»Vater.« Thorks Blick suchte und fand den des Priors. Haldur konnte sich nicht entziehen. Thork wirkte nun wacher, als käme er aus einer tiefen Betäubung zu sich. »Ich habe es mir nicht ausgesucht. Gròr hielt diesen Weg für mich bereit, und nun muss ich ihn gehen, und wenn es mich umbringt, so hat es vielleicht irgend einen Sinn, den ich später erfahre.«
Haldur schüttelte den Kopf. Sein langer weißer Bart zitterte. »Du verlierst jedes Maß. Es steht dir nicht an, dein fehlgeleitetes Empfinden als göttlichen Willen zu deuten. Im Gegenteil, du solltest beten, dass Gròr dir auf den richtigen Weg zurück hilft. Unter diesen Umständen muss ich dich nochmals dringlich auffordern, mit mir in den Orden zu kommen. Lass die äußere Welt hinter dir. Besinne dich auf den Geist. Bete, faste, finde wieder zu dir selbst, füge dich in die Gemeinschaft. Du bist krank. Lass dich kurieren.«
»Nein.«
»Du hast nicht verstanden. Ich habe versucht, deine Einsicht zu wecken, aber es scheint nicht zu fruchten. Daher ordne ich deine Rückkehr an.«
»Wenn es so ist, dann widersetze ich mich dieser Anordnung.«
Haldur schnappte hörbar nach Luft. »Du weißt, dass solches Verhalten zu deinem Ausschluss führen kann!«
»Und wenn«, sagte Thork.
Eine unangenehme Stille senkte sich über den Raum.
»Du bist völlig verwirrt«, sagte Haldur schließlich. »Du kannst nicht ernsthaft deinen Ausschluss riskieren wollen.«
Mit einer raschen Bewegung, die Haldur ihm in seinem Zustand nicht zugetraut hätte, erhob Thork sich und sah dann, mit beiden Händen auf den Tisch gestützt, eindringlich zu dem Prior hinunter.
»Hört mir gut zu, Ehrwürdiger Vater«, sagte er, »denn ich werde mich nicht wiederholen. Es gibt genau eines, was ich keinesfalls riskieren kann, und das ist, dass irgendjemand mich davon kuriert. Lieber soll es mich umbringen. Und ich danke Euch sehr, dass Ihr mir zu dieser Einsicht verholfen habt.«
»Das war nicht meine Absicht«, murmelte Haldur, halb zu sich selbst.
»Das kann ich mir denken«, sagte Thork. »Ich danke Euch trotzdem.«
Haldur sah hinauf zu dem anderen, von dem jetzt eine neue Entschlossenheit ausging. Plötzlich erinnerte er wieder ein wenig an den alten Thork Eisenfels, den Haldur so viele Jahre gekannt hatte.
»Und was willst du tun?«, fragte er. »Ich hoffe, dir ist klar, dass es so nicht weitergehen kann.«
»Ich weiß es nicht.« Thork strich sich mit beiden Händen die Haare aus der Stirn, eine Geste, als wolle er Ordnung schaffen. »Aber Ihr habt recht. Es muss etwas geschehen. Ich werde darüber nachdenken.«
Er wandte sich ab, durchquerte mit schweren Schritten den Raum, öffnete ein Fenster und sah für eine Weile hinaus, in Gedanken versunken, während frische, kalte Luft in den Raum strömte. Haldur blieb still am Tisch sitzen. Er war es nicht gewöhnt, dass eine Audienz von einem anderen außer ihm selbst beendet wurde, und fühlte sich irritiert und etwas gekränkt. Er hatte noch nicht entschieden, wie er sich verhalten sollte, als Thork sich ihm wieder zuwandte.
»Verzeiht mir, Ehrwürdiger Vater«, sagte er, und zu Haldurs Zufriedenheit kam er zu ihm und beugte das Knie vor ihm, ganz wie es Vorschrift war. »Mein Verhalten ist unangebracht. Ich befürchte, ich verlängere gerade die Liste meiner Verfehlungen.«
»Es sei dir verziehen«, gestattete Haldur lächelnd. Nun hatte alles wieder seine Richtigkeit. »Ich bin daran gewöhnt, dass du stets mit großer Gründlichkeit vorgehst, mein Sohn, und ganz offensichtlich gilt dies auch für das Brechen von Regeln.«
Er erhob sich und bedeutete Thork mit einer Geste, das gleiche zu tun.
»Ich begebe mich zurück ins Kloster«, sagte er. »Ich wünsche, unterrichtet zu werden, sobald dein Nachdenken ein Ergebnis erbringt. Und ich wünsche, dich täglich zur Abendandacht im Kreis deiner Brüder zu sehen. Andernfalls werde ich deinen Ausschluss anordnen.«
»Sehr wohl, Ehrwürdiger Vater«, sagte Thork fügsam. Haldur sah ihn ein letztes Mal lange und, wie er hoffte, eindringlich an, dann öffnete er die Tür und trat hinaus in den Schnee.
Er kehrte in den Berg zurück mit dem beharrlichen Gefühl, versagt zu haben.
Thorks Entscheidung war getroffen, kaum dass er die Tür hinter seinem Prior ins Schloss gedrückt hatte, aber weil es ihm widerstrebte, Entscheidungen dieser Tragweite binnen Augenblicken zu fällen, nahm er sich einige Tage Zeit, um die Sache gründlich zu überdenken. Er war viel unterwegs in diesen Tagen, ging kreuz und quer durch die Straßen der Oberstadt, auf denen sich der Schnee allmählich niedertrat, und verbrachte viel Zeit in der Unterstadt, wo sommers wie winters die gleiche angenehme Temperatur herrschte, und abends saß er in seinem Wohnraum oder in der dunklen Schmiede und ließ die Eindrücke des Tages an sich vorbei ziehen und dachte nach. Er trank nicht in diesen Tagen, obwohl es ihn hart ankam, auf diese lieb gewordene Gewohnheit zu verzichten, und gleichzeitig war er äußerst erschrocken, er hatte nicht bemerkt, wie sehr er sich schon daran gewöhnt hatte.
Am Abend des dritten Tages stellte er fest, dass auch ein vierter oder fünfter Tag des Nachdenkens seinen Beschluss nicht mehr ändern würde, und am nächsten Morgen machte er sich daran, die nötigen Vorkehrungen zu treffen.
Als Erstes suchte er Farri Harthammer auf, der in der Großen Schmiede unter dem Berg arbeitete. Farri war der einzige Lehrling gewesen, den Thork jemals ausgebildet hatte.
Der vielstimmige Gesang der Ambosse kam ihm entgegen und hüllte ihn ein, als er die Halle betrat. Seine Seele wurde weich und sehnsüchtig, und für einen Augenblick kam sein Entschluss ins Wanken. Dies war sicher der wärmste Ort in der Unterstadt, der gewaltige Schmiedeofen beinhaltete einen ganzen Teich aus glühenden Kohlen, in dem eine große Menge an Werkstücken gleichzeitig erhitzt werden konnte. Drei Zwerge bedienten den Blasebalg, der die Glut anfachte, sein dunkles Fauchen bildete den Hintergrund für die Melodie des Schmiedens. Über allem lag roter Feuerschein.
Thork benötigte etwas Geduld, bis er Farri unter all den Zwergen, die hier ihrer Beschäftigung nachgingen, aufgespürt hatte. Der junge schwarzhaarige Zwerg war gerade dabei, Anweisungen an eine kleine Gruppe von Schmelzern zu verteilen, und war sichtlich überrascht, als sein ehemaliger Lehrmeister plötzlich vor ihm stand.
»Meister Eisenfels«, sagte er und strich sich die Hand an seiner Schürze ab, bevor er sie ihm reichte. »Meine Güte, Euch hab‘ ich lange nicht mehr gesehen. Wie geht es Euch?«
»Man lebt«, sagte Thork kurz. »Kann ich dich für einen Augenblick sprechen? Ungestört, meine ich?«
»Aber natürlich. Hier entlang.« Farri, verwundert, aber eifrig, wies Thork den Weg in einen kleinen Aufenthaltsraum, der an die Schmiede angefügt und im Augenblick leer war, und schloss die Tür. Sie nahmen an dem großen Tisch in der Mitte des Raumes Platz.
»Sprecht«, sagte Farri neugierig. »Was kann ich für Euch tun?«
Thork atmete tief durch, verärgert darüber, dass er nun doch zögerte.
»Möglicherweise können wir beide etwas füreinander tun«, begann er. »Du warst immer ein talentierter Schmied, und mit den Jahren hast du dir überdies einiges an Erfahrung erworben. Ich denke, du könntest dich sehr gut selbständig machen. Hast du jemals daran gedacht?«
Farris Überraschung erneuerte sich.
»Nun ja«, sagte er und strich sich über den Bart, während Thork ihn über den Tisch hinweg ruhig ansah. »Daran gedacht habe ich durchaus, ich sah nur keine Möglichkeit, es zu tun. Es ist kein Bedarf in Hochstahl an einem weiteren Schmiedebetrieb. Ich habe Frau und Kind mittlerweile, ich muss an mein Auskommen denken. Außerdem – ich glaube nicht, dass meine Ersparnisse ausreichen würden. Warum fragt Ihr?«
»Es besteht Bedarf. Es hat sich