Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic
Worte klangen, als gehorchte ihm seine Zunge kaum.
»Das ist ein Anfang«, sagte Haldur. »Aber lange nicht genug«, fügte er nach einer Weile, die im Schweigen verstrichen war, hinzu. Thork schien nichts zu seiner Verteidigung vorbringen zu wollen, er saß stumm wie ein Verurteilter und starrte vor sich auf die Tischplatte.
»Du hast Weltenschmiede nicht mit uns verbracht«, sagte Haldur. »Wir hatten dich erwartet, aber dein Platz blieb leer. Es ist eine Sache, mein Sohn, wenn du dem Ruf deines Priors nicht folgst, aber eine andere, wenn du den Ruf deines Gottes missachtest.«
»Ich missachte ihn nicht«, widersprach Thork, nun etwas heftiger. »Ich ... konnte nicht. Ich war ... krank.«
»So krank wie an diesem Morgen?«, fragte Haldur ruhig. Thork schüttelte den Kopf, was ihm offenbar Schmerzen verursachte, denn er vergrub stöhnend das Gesicht in den Händen.
»Man spricht über dich«, fuhr Haldur fort. »Und es sind wenig schmeichelhafte Dinge. Ich wollte sie lange nicht glauben, tat sie als Geschwätz ab, das man über einen Außenseiter verbreitet, doch offenbar sind diese Dinge näher an der Wahrheit, als ich annahm. Sie sagen, du betrinkst dich oft. Sie verwenden hässlichere Worte dafür, die ich dir ersparen will. Sie sagen, du arbeitest nicht mehr. Man könne mit dir keine Geschäfte mehr machen, weil du deinen Teil der Vereinbarung nicht einhältst. Sie sagen, man ginge dir besser aus dem Weg.«
»Damit werden sie wohl recht haben«, erwiderte Thork dumpf und gleichgültig, ohne das Gesicht aus den Händen zu nehmen.
Der alte Zwerg seufzte tief. Das Gespräch entwickelte sich unerfreulicher, als er befürchtet hatte. »Es geht hier nicht nur um deinen persönlichen Ruf. Der kann dir egal sein, meinetwegen. Es geht aber auch um den des Ordens, von dem du ein Teil bist, auch wenn du das offenbar vergessen hast, und dafür trägst du Verantwortung. Ich kann es nicht zulassen, dass einer meiner Brüder ein Leben führt, wie du es augenblicklich tust.«
»Was ist so schlimm an meinem Leben? Es muss sich doch niemand damit befassen, der nicht will. Man könnte mich doch einfach in Ruhe lassen. Ich bin kein Randalierer. Ich schade niemandem.«
»Du schadest dir selbst«, widersprach Haldur sanft.
Zum ersten Mal in diesem Gespräch hatte Haldur für einen Augenblick den Eindruck, der andere würde aus seinem Nebel auftauchen und ihn wirklich zur Kenntnis nehmen.
»Und das wiederum ist meine eigene Angelegenheit«, wehrte er dann ab, und der Augenblick war vergangen. Haldur jedoch gab noch nicht auf.
»Ein Orden ist eine Gemeinschaft. Du gehörst ihr an, auch wenn du für dich diesen Sonderweg gewählt hast und nicht mit uns lebst. Wir kümmern uns um dich.«
»Natürlich«, pflichtete ihm der andere bitter bei. »Besonders seit ich den guten Ruf des Ordens schädige.«
Haldur strich sich mit der Hand über die Stirn. Er empfand immer noch Mitleid, aber seine Geduld schwand allmählich. Es war nicht üblich, dass ein Prior einen einfachen Ordensbruder aufsuchte. Allein dieser Umstand hätte Thork schon auf die Knie werfen müssen. Doch da war keine Spur von Reue, nicht die geringste Einsicht.
»Dein Urteil ist ungerecht«, wies er ihn zurecht. »Wir waren immer sehr bemüht um dich. Und nicht zuletzt deshalb möchte ich dir einen Vorschlag machen.« Haldur legte eine kleine Pause ein, um sich der Aufmerksamkeit des anderen zu versichern, der den Blick wieder auf die Tischplatte gesenkt hatte, er saß vornüber gebeugt und wirkte wie ein gebrochener Mann.
»Entscheide dich für ein Leben im Orden«, sagte er leise, aber eindringlich. »Schließe die Schmiede für eine Weile. Ein paar Jahre, vielleicht länger. Sieh dich doch nur an. Dein Sonderweg war eine Sackgasse.«
»Nein«, sagte Thork. Haldur seufzte tief.
»Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, dass Gròr dich in besonderer Weise ausgezeichnet hat«, sagte er. »Vor uns anderen, die wir ein Leben im Gebet und Studium verbracht haben. Meinst du nicht, es wäre an der Zeit, diesem Ruf zu folgen?«
»Ich höre keinen Ruf«, knurrte Thork. »Gròr hat diese Kräfte einem Schmied verliehen, keinem Gelehrten. Er wird schon gewusst haben, warum.«
Haldur atmete tief. Wut wallte in ihm auf, doch er kämpfte sie nieder. Er ließ ein wenig Zeit verstreichen. Er musste die Lage entspannen, wenn er Einsicht erzeugen wollte. Er betastete sein Priestersymbol und schöpfte Ruhe aus dem kühlen, glatten Metall, während sein Blick durch den Raum wanderte, in dem Bemühen, sich vom Anblick des zerschlagenen Mannes ihm gegenüber zu erholen. Zwischen schmutzigem Geschirr und einem achtlos zusammengeknüllten Hemd, dessen Ärmel in einem Teller hing, fiel sein Blick auf eine Zeichnung. Er zog sie hervor und betrachtete sie, über die Kunstfertigkeit staunend, mit der sie ausgeführt war. Sie stellte eine junge Frau dar, menschlich, vermutete Haldur, mit einem langen dunklen Zopf und hell schimmerndem Gesicht, ihr schön geschwungener Mund war ernst, doch in ihren Augen lag ein Lächeln.
»Wer ist das?«, fragte er.
Thork sah auf, griff über den Tisch und nahm Haldur die Zeichnung weg, fast riss er sie ihm aus der Hand, drehte sie dann zu sich und betrachtete sie seinerseits, seine Hand, die das Pergament hielt, zitterte, und Haldur erschrak zutiefst über den Schmerz, der in seinem Blick lag. Er hatte eigentlich nur ein wenig aus der angespannten Gesprächssituation ablenken wollen, die Rede auf etwas bringen, von dem er wusste, dass es Thork normalerweise Freude bereitete, doch schien dies eine unglückliche Wahl gewesen zu sein. Haldur beobachtete, wie der andere mit den Fingerspitzen über das Papier strich, den Linien der Zeichnung folgend, es nahm sich aus wie eine Liebkosung, und er versuchte vergeblich zu begreifen, was sich da vor seinen Augen abspielte.
»Ihr würdet es nicht verstehen«, sagte Thork schließlich leise, und Haldur erinnerte sich, dass seine Frage noch im Raum stand.
»Warum?«, gab er zurück. »Die Antwort auf eine so einfache Frage kann nicht sehr kompliziert sein.«
»Seht Ihr? Wie ich sagte. Ihr würdet es nicht verstehen.«
»Im Augenblick verstehe ich tatsächlich wenig. Du sitzt da und starrst auf die Zeichnung einer Frau – einer Menschenfrau, wenn ich es richtig erkannt habe...«
Thork nickte, ohne den Blick von der Zeichnung zu nehmen.
»Also kläre mich auf, was ich davon zu halten habe«, forderte Haldur ihn auf. »Ich gewinne den Eindruck, dass ich durch Zufall etwas Wichtiges auf den Tisch gebracht habe.«
Thork lächelte, ohne den Prior anzusehen, ein Lächeln, dessen Traurigkeit Haldur in die Seele schnitt.
»Wonach sieht es denn aus«, sagte er.
Haldur räusperte sich. »Nun, wenn es eine Zwergin wäre, würde ich sagen, du hättest... hm, dein Herz an sie verloren«, sagte er. Unbehagen stieg in ihm hoch. Man sprach nicht über solche Dinge. Schon gar nicht als Prior eines Ordens, der weltlichen Ablenkungen abgeschworen hatte. Er war ein Mann der Bücher, ein Schriftgelehrter, kein Seelsorger, und mit Gefühlsdingen kannte er sich nicht aus.
»Seht Ihr«, sagte Thork und hatte immer noch dieses Lächeln. »Ihr versteht es nicht. Niemand würde es verstehen. Ich versteh’s ja selber nicht. Aber es ist, wie es ist. Ich kann’s nicht ändern.«
Haldur bekämpfte den Impuls, aufzustehen und die Flucht anzutreten. Sein Gehirn weigerte sich strikt, eins und eins zusammenzuzählen, obwohl er das Ergebnis bereits kannte. Es war abnormal. Skandalös. Geradezu krank.
»Thork«, sagte er, »du hast doch nicht etwa ... Ich meine, du bist doch nicht ... Was ich sagen will, ist ...« Er unterbrach sich. Was er aussprechen wollte, war so ungeheuerlich, dass er davor zurückschreckte.
Das konnte doch wohl wirklich nicht sein.
»Doch«, sagte Thork erneut, seine Stimme blieb leise, wurde aber fester, während er sprach. »Ich habe, und ich bin, und ja, sie ist menschlich.«
»Aber«, sagte Haldur entsetzt und versuchte, die abstoßenden Gedanken zu vertrieben, die sich ungefragt hinter seiner Stirn einstellten.
»Nichts