STECKSCHUSS. Ernst Rabener
spazieren und ließ sie kraulen und streicheln, hinterm Ohr und gemütlich das Wänglein herunter…
So schwer war es nicht gewesen, mit ihr da zu landen, wo sie waren. Nach Dienstschluss hatte er sie noch ein bisschen aufgehalten und muntere Scherze gemacht und ihr im Flur aus dem Automaten ‚nen Espresso rausgelassen, doppelt wollt’ sie ihn. Und jetzt…
Ein Seufzerchen huschte gerade aus den spaltbreit geöffneten Lippen, ein leises, wie vorhin schon mal, als er bescheiden am linken Igelschnäuzchen züngelte. Schön langsam ließ er jetzt die Zungenspitze Richtung Nabel abwärtsgleiten.
Ihr munteres Nein, als er fragte, ob sie abends noch was vorhabe. Er tat, als müsst’ er groß überlegen, was sich hier in Hochwiel, dem Jammerstädtchen, groß anbiete. Sie wollte zum Italiener, ins Quattro Fontane.
Nun war abzusehen, dass in Kürze das letzte Textil den schlanken Körper verlassen wird, indem es von der Hüfte und abwärts über die Beine gleitet. Ein bisschen noch die Zunge rings um den Nabel schicken, dann zum Höschen hinunter. Möglich, dass die Zähne gleich ihren Einsatz hatten. Sieh an! Am schmalen Bund des grünen Slips ein Blümchen, ein winziges rotes Röschen aus Stoff, das einlud, mit behutsamen Zähnen das zarte Gewebe herunterzuziehen. Ein bisschen musste sie aber schon selber dazutun! Popochen und Beine heben… Für den beiderseitigen Lustgewinn war seinerseits alles in der nötigen Form und Verfassung: Das spannte und drückte und drängte längst heftig nach draußen ins Freie und wollte endlich hinein in den Born des Vergnügens…
Nach ihren ersten paar Tagen hier kannte die Lena natürlich noch nicht alle gängigen Sprüche und lachte auch da, wo der Kollege Karl längst abgewinkt hätte. Viel geplaudert, viel gelacht auch im Quattro Fontane, bei Carlones legendärer Carbonara und reichlich Chianti.
Ein weiteres Seufzerchen jetzt, als die Fingerkuppen der Rechten abwärts zum Höschenbund trippelten, um gemeinsam mit den Zähnen… Wenn der Eindruck nicht trog, würde das Röschen das schon aushalten, dass man dran ein bisschen mit den Zähnen zog, nach unten…
Einen hauchfeinen Kuss nochmal auf den Nabel, ohne das süße Trichterchen groß zu berühren… Und nun zurück zum Röschen: Beißt sachte zu, ihr Zähnchen! Und ihr, meine zarten Finger, helft ziehen am Bund, langsam, schön langsam…
Es summte. Drei Mal.
Das glaubte er jetzt nicht! Das konnte nur böse Täuschung sein! Paul, das Röschen zwischen den Zähnen, geriet außer sich, als das Handy summte: Böse Täuschung oder niederträchtige Gemeinheit! Ein gezieltes Attentat auf ein Liebespaar in Aktion, auf die Lena und ihn! Nur darum konnte sich’s handeln!
Dreimal nacheinander summte das Drecksding, kurze Pause, wieder dreimal, smm-smm-smm, Pause. Es war tatsächlich das Handy, sein verfluchtes Diensthandy, das ihn heraussummte, jetzt, um zwanzig nach eins, aus dem fast beendeten Vorspiel, kurz vor dem Hauptgang!
Was war zu tun?
Abbruch, Griff nach dem Shitphone, Aufschub des Liebesspiels. Neubeginn und Fortsetzung im Irgendwann, wenn überhaupt!
Die Stimme am anderen Ende kannte er: Kurt von der Notrufzentrale.
Bevor der ihn beschwallen konnte, maulte er zornig los:
»Was rufst denn nicht die Streife an, du Sakramenter? Ich bin…«
Rüde unterbrach ihn Kurt: »Hör mal zu, du Nachtwächter! Du hast ’nen Mord bei dir um die Ecke! Da fährst jetzt bittschön hin und holst den Harlander Karl dazu! Ich hab’ außer euch keine Leut’ mehr!«
Dann erfuhr Paul, was die Kollegen draußen, während er die Jungkollegin Lena hingebungsvoll bearbeitete, alles auszustehen und durchzumachen hatten: Die reguläre Streife sei zum Beispiel in Schongau in ’ne wüste Massenschlägerei verwickelt worden, bei der der dortige Stadtpfarrer eine zwielichtige Rolle spielte, »in Raisting, verstehst, ist ’ne Nichtabstiegsfeier von Sechzgerfans ausm Ruder gelaufen, zwei Fangruppen aufeinander los, Messerstecherei, zwei Schwerverletzte! In Magnetsried, das glaubst nicht!, ballern zwei Jungbauern, zwei Brüder, auf ’m Hof rum, die wollen ihren Vater in Schach halten, bis die Polizei kommt, hat angeblich die Mutter vergiftet, weil die’s nach der Ü-60-Party angeblich mit dem Nachbarsbauern in ’ner leeren Mülltonne getrieben hat! Stellt sich zwar raus, dass sie bloß ’ne Alkoholvergiftung hatte, aber zwei Mann natürlich! Muss auch da zwei Mann hinschicken, weil die Nachbarn mir was von ’ner Mordsschießerei ins Ohr brüllen! Und jetzt, Püschl Paul, zefix!, jetzt fährst bittschön los in die Schießstättstraße sieben, da is’ einer tot, ziemlich sicher, wie sich’s am Telefon angehört hat! Anders als vor zwei Stunden, wo zwei gestörte Alte ’s halbe Stadtviertel rebellisch gemacht haben wegen nix und wieder nix, sakra! Das junge Mädl grad eben war völlig verstört!«
Den letzten Satz hörte Paul nur noch zur Hälfte. Der mürrischen Lena, die im Halbschlaf raunzte, drückte er einen Flüchtigkeitskuss aufs Rosenwänglein und war auch schon aus dem Zimmer.
V
Hastig zog er sich an.
Auf der Treppe fluchte er in sich hinein und wählte Karls Nummer. Der sollte es, wenn schon ihm Liebesfreud und Nachtruhe geraubt waren, auch nicht besser haben, sondern mit ihm zusammen den Tatort begehen.
Nur die Mailbox war zu sprechen: »Polizeirevier Hochwiel, Polizeihauptmeister Harlander. Leider…«
Das kannte er, den restlichen Sermon auch. Er wollte es später nochmal probieren.
Immerhin war auf seinen Notruf-Spezi Kurt Verlass, der leitete alles Notwendige in die Wege: Der Erkennungsdienst würde so schnell wie möglich vor Ort sein, der Alfred vom Münchner EDI wohnte gottlob in Hochwiel. Und aus dem Krankenhaus war die Hallstein zu erwarten, die Rechtsmedizinerin. Die kannte er, wenn auch bisher nur flüchtig.
Kurz vor halb zwei betrat er das Haus Schießstättstraße sieben und wunderte sich über die unverschlossene Haustür. Vom Erkennungsdient war noch nichts zu sehen. Er entschied sich, die Sache fürs Erste allein in die Hand zu nehmen.
Am Ende des Flurs saß Fritz auf dem Boden, neben Georgs Zimmertür, wohin ihn Sissilissi verfrachtet hatten, lallte, die Beine gespreizt, vor sich hin und stierte auf das leere Display seines Smartphones, als erwarte er daraus erlösende Nachricht. Paul hatte er nicht bemerkt. Vor Suff und Müdigkeit fielen ihm ein ums andere Mal die Augen zu.
Auf Pauls »Hallo!« rührte er sich nicht, einzig ein täppischer Lacher entfuhr ihm. Dafür drang es von links aus dem Mädchenzimmer zaghaft und weinerlich: »Ja, hier!«
Als Paul in den Türstock trat, saßen ihm auf eng nebeneinander postierten Stühlchen die beiden gegenüber, in regenbogenfarbenen Bademäntelchen aus Seide, die Fersen auf der Sitzkante, die Arme um die Knie geschlungen, darauf das Kinn. Herzrührend schluchzten sie im Gleichklang und sahen, als sie Paul bemerkten, mit Unschuldsaugen zu ihm hin.
Sissi raffte sich zu einem halb geflüsterten »Da!« auf und zeigte mit den Augen nach gegenüber.
Paul drehte sich um und sah den Toten.
»Habt ihr was angefasst?«
Er versuchte, freundlich und rücksichtsvoll zu klingen.
Beide schüttelten synchron die Köpfchen mit den gleich langen, gleich braunen Haaren und schluchzten weiter. Sein mit unangemessener Strenge vorgetragener Befehl, sie sollten sich nicht rühren und weiterhin die Finger von allem lassen, wirkte nicht nur auf die armen Mädels befremdlich, sondern auch auf Frau Professor Hallstein: Die saß längst in Georgs Zimmer, in der Sitzecke rechts von der Tür, machte sich Notizen und krächzte rau:
»Schrei nicht rum wie ein Waldaff ’, Tölpel!«
Paul konnte sie bisher nicht bemerken, sie dagegen hatte ihn sofort gehört und rief ihm zu seinem jähen Schrecken, unsichtbar, wie sie für ihn war, mit ihrer Altweiberstimme aus dem Zimmer heraus zu:
»Herein, junger Mann, herein! Und frisch ’nen kühnen Blick gewagt ins Leichenschauhaus! Der Totenschein wartet auf dich!«
Ein