STECKSCHUSS. Ernst Rabener

STECKSCHUSS - Ernst Rabener


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Wort:

      »Sind wir total gar nicht, Angehörige und Freunde und so, wir heulen bloß, weil der so eklig ausgeschaut hat, weiß nich, und nicht, weil der irgendwie ’n Freund war!«

      »Sachte, sachte, Mädels, macht mal halblang!« Paul wechselte in polizeilichen Amtston: »Freunde oder nicht, neben dem Umnachteten da draußen seid ihr diejenigen, die dabei oder in der Nähe waren, als der junge Mann im Zimmer gegenüber verstorben ist: also!«

      Er war aufgestanden, hatte jeder ein Glas aus dem Wandregal in die Hand gedrückt und aus der Wasserflasche auf dem Tischchen eingeschenkt.

      »Und jetzt runter mit dem kleinen Ding! Hab’ keine Lust, mir euer Geflenne bis zum Morgengrauen anzutun!«

      Folgsam taten sie, was der strenge Polizist verordnete, und schluchzten tonlos weiter, während Paul in längerer Rede darlegte, was er von ihnen alles wissen müsse.

      Dann fiel ihm wieder ein, dass er den Karl an den Tatort hatte bestellen wollen. Der war schließlich, wenn Rosenheim schon kein Kripopersonal hierher beordern konnte, sein Dienstvorgesetzter, jedenfalls formal.

      Wieder nichts, nur die Mailbox. Und an den Festnetzapparat bei ihm daheim ging keiner, auch nicht sein Bub, der Gusti.

      Das Schluchzen und Schniefen ließ während der anschließenden Befragung bald nach, offenbar handelte es sich bei diesem Sedativum der Hallsteinhexe um eine kräftige chemische Keule, die ihm dabei half, einiges über die Verhältnisse im Hause zu erfahren:

      Zugesperrt hätten sie die Haustür seit einem Jahr nicht mehr, das sei megaspießig und Totalkack! Letzten Sommer seien sie durch Schottland getrampt, durch die Highlands, und da hätten sie überall total coole Leute getroffen, die überhaupt nie die Türen versperren. Das hätten sie dinogeil gefunden und dann hier durchgesetzt.

      Auf Pauls Fragen nach dem Verlauf des Abends ergab sich folgendes Bild:

      Die vier jungen Leute wohnen hier als WG, seit rund zwei Jahren. Alle gehören demselben Abiturjahrgang zwodreizehn an, alle studieren sie in München: Sie beide Kunstgeschichte, der Schorschi war Altsprachler, der Fritz will Arzt werden. In letzter Zeit hatten sie nicht selten, manchmal lang und laut, krassen Stress, vor allem der Fritz mit dem Schorschi. Diesen Abend gab’s, wieder mal, ’nen Schlichtungsversuch, mit ’ner Art Versöhnungsessen: Spaghetti Aioli, eine Zweiliterpulle Weißwein tranken sie dazu. Zwei davon hatte Schorschi noch kurz vor acht besorgt, die zweite nahm er nach dem Essen mit auf sein Zimmer, nachdem sie alle vier schon wieder wegen ’ner Nichtigkeit zu streiten begonnen hatten. Sie, Sissilissi, zogen sich gegen neun zurück, zum Studieren, die Jungs soffen in Schorschis Zimmer weiter und wurden gegen zehn so massiv laut, dass es durch beide Türen zu hören war. Schließlich machten sich die Jungs ins Fuchsbräustüberl davon, wo sie schon x-mal versuchten hatten, mit sich ins Reine zu kommen. Wenn sie’s früher gelegentlich hinbekamen, hielt’s nie lange vor.

      Vorhin tat’s an der Tür einen dumpfen Schlag. Als sie öffneten, fiel ihnen der Fitz vor die Füße, gegenüber entdeckten sie den verkrümmten Schorschi mit seinen toten Augen. Sissi rief sofort die Notrufnummer. Seltsamerweise war dann als Erste die Frau Doktor da, die gar nicht nett zu ihnen war und sie hier in ihr Zimmer daeinscheuchte. Sie sahen aber, wie sie an dem Toten und am Tisch herumschnupperte und sich in die Ecke verzog. Den Fritz setzten sie neben die Tür, seither sitzt er da und ist weggetreten.

      Wieder kam Paul sein abgängiger Kollege in den Sinn. Wieder rief er an, wieder nichts. Immerhin fiel ihm dabei ein, dass er unbedingt die Handys dieser schwer verdächtigen WG-Mitglieder einsammeln müsse. Lissi gab das ihre widerstandslos her. Auf die Idee, dass die Sissi ein eigenes haben müsse, kam er nicht, weil ihm die beiden die ganze dreiviertel Stunde über, die er sie befragte, wie eineiige Zwillinge vorgekommen waren.

      Anschließend nahm er Fritz das Smartphone aus der Hand, wobei der tatsächlich eine Art Widerstand erkennen ließ, indem er es nicht nur für ein, zwei Sekunden festzuhalten versuchte, sondern auch gegen die Maßnahme anmurrte. Dann zog er sich wieder in seine alkoholische Apathie zurück. Seine Stellung mit den zwei Armen neben den Beinen und den nach oben gekehrten Handflächen hätte der eines Yogakünstlers in vollgültiger Trance gleichen können, der in rechter Versenkung seinen Hosenlatz betrachtet, hätte er nicht damit begonnen, sich von einem enormen Schluckauf tyrannisieren zu lassen, der den Burschen ein ums andere Mal ganzkörperlich erschütterte und hob, so dass er nach und nach Gefahr lief, die bislang halbwegs stabile Haltung einzubüßen, an der Wand abzurutschen und, zuletzt flachliegend, die ganze Breite des Flurs einzunehmen.

      Als Paul sich wieder den Mädchen zuwenden wollte, winkte aus Georgs Zimmer, in dem noch immer rege Betriebsamkeit der Erkennungsdienstler herrschte, Alfred mit einem Asservatentütchen: Georgs Smartphone war darin.

      »Fingerabdrücke von anderen sind nicht drauf. Könnt ihr euch schon mal vornehmen, das Ding.«

      Warum er von »ihr« redete, verstand Paul rein gar nicht, schließlich stand er hier noch immer allein herum. Dieser Arsch von Karl war ja nicht zu erreichen.

      Er probierte es ein viertes Mal, nachdem er dem Alfred knapp gedankt hatte: Ergebnis wie gehabt.

      Der ist doch jeden Mittwochabend beim Karteln in München!, sagte er sich, da kommt er doch immer mit dem letzten Zug zurück und ist spätestens um halb zwei daheim! Sein Bub, der Gustav, schlief sicher längst und hörte das Festnetztelefon nicht, oder sie hatten es ganz abgeschaltet. Aber der Karl muss doch wenigstens sein Diensthandy eingeschaltet haben!

      Wie blöd von ihm, dass er das seine vorschriftsmäßig angelassen hatte, als er sich an der Lena fleischeslüstern zu schaffen machte! Und grad, als das Präludium so gut wie vorbei war…

      Er wollte gar nicht mehr daran denken. Und sich auch nicht vorstellen, wie das ausgehen würde, wenn er demnächst mit einem halben Notizblock voller Einträge in seine Wohnung zurückkommt und sie aufweckt, um das Liebesscharmützel von vorn anzufangen.

      Wahrscheinlich schlief sie längst tiefer als tief. Oder sie war gar nicht mehr da.

      Georgs Handy mitgerechnet, hatte er jetzt drei in den Jackentaschen und wusste nicht, wie und wo er mit seinen Ermittlerpflichten am Tatort weitermachen sollte.

      War es ein Anflug menschenliebenden Mitleids oder das Ergebnis praxisbezogener Überlegung?

      Er griff den Fritz unvermittelt unter den Achseln, versuchte vergeblich, ihn zum Aufstehen zu bewegen, und schleifte ihn ein Stück den Flur entlang ins Zimmer gegenüber der Küche, in der nach wie vor die umtriebigen EDLeute wurstelten. Mit geradezu rührender Sorgfalt legte er seine Fracht auf das Sofa, sorgte für stabile Seitenlage und deckte Fritz zu, ehe er den aberwitzigen Versuch unternahm, Antwort auf eine Frage zu bekommen:

      »Wo warst denn heut’ Abend?«

      Das konnte er noch so herrisch-fordernd vortragen – Fritz tat zwischen zwei Schluckaufattacken einen kurzen Lacher und würgte auf den hin so bedenklich, dass Paul sich auf den Laminatboden setzte, um ihn zu bewachen: Der war Zeuge, wenn nicht gar Verdächtiger, und es galt, alles zu tun, um ihn vor dem wahrlich nicht unwahrscheinlichen Erstickungstod zu bewahren. Wäre nicht der erste Besoffene, der an der eigenen Kotze draufgeht!

      Paul wurde ein wenig bange.

      Wahrscheinlich hätte er all das gar nicht gedurft: den Leuten die Handys wegnehmen, den besoffenen Fritz am Mordzimmer vorbei in das seine schleifen, und vermutlich schüttelte Alfred, obwohl er ihn gewähren ließ, ein ums andere Mal den Kopf, wenn er mitbekam, was er so alles trieb.

      Nachdem er eine Weile wie eine Kindsmagd Wache gehalten hatte, sah es endlich so aus, als wär’ der Patient eingeschlafen: Er atmete gleichmäßig und tief, würgte nicht und schnarchte barbarisch, mit kurzen Unterbrechungen.

      Wieder überkam Paul ein finsterer Gedanke: Was, wenn er soeben den Mörder notversorgt hatte? Der hier kam genauso infrage wie die Unschuldslämmlein nebenan, die womöglich großartig schauspielerten und in Wirklichkeit…

      Er stand auf und ging nochmals zurück zum SissilissiZimmer. Es war ihm noch was eingefallen, was es abzuklären galt: Auch Karls Sohnemann Gusti gehörte


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