STECKSCHUSS. Ernst Rabener

STECKSCHUSS - Ernst Rabener


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nicht betreten, ohne die hätte er vorhin vermutlich nicht mal den Gang entlang gehen dürfen.

      Er schob den Kopf nach vorne und sah die Frau Professor rechterhand in ihrem weißen Ganzkörperanzug mit Kapuze, unter der, nebst ein paar rostroten Haaren, ein geradezu satanisch grinsendes Runzelgesicht hervorschaute.

      Pauls zaghaftes »Guten Abend, Frau Professor!« konterte sie mit harschem Befehl:

      »Bleib, wo du bist, du Frischling! Und von wegen »guter Abend«, mit ’ner Leiche zur schönsten Nachtstunde! Kennste den? ›Mami, darf ich mit Opi spielen?‹ ›Nein, mein Kind, der Sarg bleibt heute zu!‹«

      Dazu lachte sie, während Paul sprachlos mit offenem Mund dastand, schrill auf, schüttelte den Kopf, als müsse sie sich über das Witzchen totlachen, und sank, so klein sie war, noch weiter in sich zusammen und ins Polster zurück.

      Das Schluchzen aus dem Sissilissi-Zimmer wurde lauter, offenbar empörten sich die beiden Mädels genauso wie Paul, der freilich auch keine Silbe herausbrachte, um von der da im Eck die angemessene Pietät einzufordern.

      Wieder zuckte er, als sie ihn plötzlich aus ihren kleinen Augen anblitzte und anherrschte:

      »Befragen, los! Frag, wer’s von den dreien war, wer ihm das Gift reingemischt hat in den Fusel!«

      Jetzt erst bemerkte Paul, dass Georgs tote Augen geradewegs auf ihn gerichtet waren, und erblickte die Zweiliterpulle billigen Soaves auf dem Tisch, daneben das umgekippte Glas in der ausladenden Weinlache über die halbe Glastischfläche.

      »Gift, meinen S’, Frau Professor?«, fragte er wie betäubt. Wieder verstörte sie ihn mit ihrer Reaktion: »Arzt zur Frau: ›Zweifellos sind Sie vergiftet worden, Gnädigste.‹ Sie: ›Teufel! Womit denn?‹ Er: ›Das sehen wir demnächst bei der Obduktion.‹ Passt prima, nicht?«

      Und schon ließ sie den nächsten gewaltigen Schwall hässlichen Gekichers los, das sie nur unterbrach, um erneut auf Paul einzuschimpfen:

      »Befragen sollste, junger Mann! Was stehste denn sinnund tatenlos hier rum?«

      Womit sie wieselflink ihr Schreibzeug verstaute, aufstand – sie war noch kleiner, als Paul vermutet hatte –, ihr Köfferchen packte und an ihm vorbeihuschen wollte.

      »Wie lang ist er denn schon…«

      »Nicht verwest, nicht mal in Teilen, kein Tierfraß…« Wieder schepperte kurz ihr abscheuliches Gelächter auf. »…keine witterungsbedingten Veränderungen: also ein bis drei Stunden.«

      Das folgende Gekicher galt Paul, den sie damit ein letztes Mal auf den Arm nahm, ohne dass er es ihr hätte heimzahlen können.

      Als sie sich an ihm vorbeidrückte, schaute sie ihm von schräg unten scharf und verstörend in die Augen, ganz kurz, und drückte ihm mit ihrem Einweghandschuh eine Schachtel Tabletten in die Hand:

      »Für die zwei Hühner da drüben auf der Stange! Erleichtert das Reden. Der alkoholvergiftete Jüngling da kriegt nichts, sonst stirbt er dir weg wie sein Freund! Adieu, Püschl Paul!«

      Als er verdutzt von der bunten Schachtel aufsah, war die Hallstein fort, im Zwielicht des Flurs jedenfalls nicht mehr zu erkennen: Lautlos musste sie auf ihren Plastiküberzügen davongehuscht sein.

      Von draußen glaubte er ein geradezu unmäßiges Gelächter zu hören.

      Hat wohl gleich noch ’nen Termin auf dem Blocksberg!, dachte er und stellte sich vor, wie sie dort unter lauten Verwünschungen und diabolischen Flüchen im weißen Ganzkörperanzug auftaucht, ihn wütend vom schrumpeligen Leib reißt und sich zu ihren schauerlichen, schlabberbusigen Mitschwestern gesellt, die dabei sind, über offenem Feuer in einem riesigen, rotglühenden Bronzetopf ein Hexenelixier zu brauen, während andere, Häme in den schwarzen Gesichtern, Hexensalben panschen und der Teufel es allen, die da vor sich hin werkeln, von hinten besorgt, einer nach der andern.

      Noch immer stand Paul wie traumverloren zwischen Georgs Leiche, dem unzurechnungsfähigen Fritz und den schluchzenden Mädchen. Die Vorstellung vom sexualaktiven Beelzebub führte seine Gedanken für einen Augenblick zurück zu Lena: Ob er sie aus dem Bett läuten und herbestellen sollte, damit sie auch mal mitbekommt, wie ein echter Tatort aussieht?

      Er freilich hatte bisher auch noch keinen gesehen.

      Der Erkennungsdienst kam, Alfred vorneweg. Die Hand konnten sie sich wegen der Handschuhe nicht geben.

      Alfred putzte Paul durch den Mundschutz hindurch erst mal kräftig herunter: Warum er hier in seiner Alltagskluft rumstehe? Hinterher sei wieder irgendwas kontaminiert, weil er gehustet oder gerotzt hab’! Und ob das der Täter sei?

      Mit der Fußspitze zeigte er auf Fritz, der nach wie vor seine anhaltend zähe Apathie pflegte, aber immerhin schon wieder, wenn auch im Zeitlupentempo, auf dem Smartphone rumdrückte, blindlings. Vermutlich suchte er gar nichts Bestimmtes.

      Alfred setzte den Alukoffer ab, nahm den FingerabdruckScanner heraus und machte sich damit über Fritz’ Hände her, er stellte sie willenlos zur Verfügung. Auch Sissilissi folgten brav und weinten danach noch ein klein wenig lauter. Um sich das Gejammer nicht weiter anhören zu müssen, vor allem aber, um den Mädchen den Anblick der nackten Leiche zu ersparen, zog Paul ihre Zimmertür zu. Inzwischen hatten nämlich drei aus der ED-Truppe Georgs sterbliche Hülle fasernackt ausgezogen.

      Als Paul den Alfred etwas betreten anguckte, klärte der ihn auf:

      »Solltest noch wissen aus deiner Ausbildung, du Dödel, dass man das mit jeder Mordoder Selbstmordleich’ macht!«

      »Die Hallstein war doch schon da und hat gemeint, dass er vergiftet worden ist«, erklärte Paul seine Verwunderung.

      »Was?!«

      Alfred zürnte erneut und noch heftiger, der sichtbare Teil seines Kopfs begann sich dunkel zu verfärben. Dumpf klang’s aus dem Mundschutz, er schnaufte hörbar.

      »Was wollte die denn vor dir, obwohl sie hier rein gar nichts verloren hat? Die hättste doch erst rufen sollen, wenn unklar ist, ob er sich selber kalt gemacht hat oder ’n anderer!«

      »Ja, und? Isses dir vielleicht klar? Mir nicht!«

      »Und was hat die schräge Vettel gemeint?«

      »Wenn ich ihren verqueren Witz richtig verstanden hab’: Vergiftet, kein Selbstmord.«

      »Und woraus hat sie das geschlossen, die Frau Professor?«

      »Frag mich nicht! War eh ganz komisch drauf, die Alte!« Alfred schüttelte den Kopf und ging in Georgs Zimmer, wo einer gerade die Leiche fotografierte. Zwei untersuchten den Tisch, die Flasche und das Glas, zwei weitere nahmen alle möglichen Kleinigkeiten in Augenschein und hantierten mit einem 3D-Laserscanner. Von draußen kamen, lautlos auf ihren Überschuhen, zwei weitere, die sich in der Küche zu schaffen machten, und direkt nach ihnen drei stämmige Kerle, ebenfalls ganz in Weiß, mit dem Aluminiumsarg.

      »Wer hat denn euch schon bestellt, sagt mal?!« In Alfred keimte noch heftigere Wut. »Womöglich die Hallstein?«

      Alle drei nickten wortlos und machten sich daran, den toten Georg in die längliche Alu-Kiste zu legen.

      Als sie verschlossen war, sah Paul dem Abtransport hinterher und stierte noch ins Leere, als Sarg und Träger schon im Freien waren.

      Dann verzog er sich ins Sissilissi-Zimmer: Die beiden wollte er nun doch mal befragen. Vielleicht war hinterher sogar mit dem Fritz was anzufangen.

      Mittlerweile saßen die Mädchen auf der Kante des breiten Betts gegenüber der Tür, in derselben Stellung wie zuvor auf den Stühlen. Von denen drehte Paul einen um und setzte sich, worauf Lissi so losheulte, dass Sissi sie in den Arm nahm, mit zwei Fingerchen hinterm Ohr streichelte und in dasselbe offenbar was ganz, ganz Schönes flüsterte. Jedenfalls beruhigte sich die liebe Freundin nach und nach und nahm widerspruchslos wie Sissi eine der Hallstein’schen Tabletten, die ihnen Paul weisungsgemäß hinhielt:

      »Die Frau Doktor sagt, das bekommen Angehörige und Freunde


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