Weise & gelassen älter werden. Christoph Morgner

Weise & gelassen älter werden - Christoph Morgner


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bei anderen.

      Der Schriftsteller Eugen Roth bringt es humoristisch auf den Punkt:

      Wir sehn mit Grauen ringsherum, die Leute werden alt und dumm. Nur wir allein im weiten Kreise, wir bleiben jung und werden weise.1

      Wenn das nur so leicht ginge! Auf jeden Fall möchten wir nach dem Eintritt in den Ruhestand einigermaßen fit und lebensfroh unsere letzten Lebensjahrzehnte angehen.

      Heute ist der Ruhestand glücklicherweise keine Restzeit mehr, in der unser Leben sachte austrudelt, sondern eine eigenständige Lebensphase von – statistisch gesehen – beachtlicher Länge, „oft die längste zusammenhängende Zeit in der Biografie eines Menschen“2. Die beruflichen Verpflichtungen liegen hinter uns. Weil wir über ein hohes Potenzial an Fähigkeiten und Lebenskraft verfügen, kann der Ruhestand zu einem Betätigungs- und Lernfeld eigener Art werden.

      Sprachlich kommt „alt“ übrigens vom lateinischen „alo“ bzw. „alere“, was so viel bedeutet wie „ernähren, wachsen und wachsen lassen“. „Altus“ ist das Gereifte, das Gewachsene. Es ist etwas „erwachsen“ geworden. Das Alte(r) hat somit einen hohen Wert. Aber diese Werte verschieben sich. Manches spitzt sich im vorgerückten Alter zu, denn „wir können den Nachmittag des Lebens nicht nach demselben Programm leben wie den Morgen“3.

      Neue Chancen

      Dass, wie Hermann Hesse einmal formuliert hat, „jedem Anfang ein Zauber“ innewohnt, versteht sich dabei nicht von selbst. Mancher wird widersprechen: „Von Zauber keine Spur!“ Warum? Mit dem Eintritt in den Ruhestand verschieben sich einige Rahmenbedingungen, die bisher selbstverständlich waren. Zwar wird der Leistungsdruck des Berufslebens vom Dauerurlaub abgelöst. Morgens kann länger geschlafen werden. Der lästige Wecker wird abgeschafft. Entspannung pur!

      Aber leider reduziert sich auch manches. Etwa der finanzielle Spielraum. Ob die Rente den gewohnten Lebensstandard sichern kann? Welche Einschnitte müssen verkraftet werden? Außerdem: Eheleute müssen sich daran gewöhnen, dass der Partner nun ständig zu Hause ist. Vieles im Miteinanderleben wird sich verändern. Die häuslichen Rollen werden neu verteilt: Wer findet morgens zuerst aus dem Bett und deckt den Frühstückstisch? Wer kauft ein? Hoffentlich wird die Arbeitsteilung zur beiderseitigen Zufriedenheit geregelt!

      Im Miteinander bleiben Missverständnisse nicht aus, wie die folgende Begebenheit zeigt:

      Ein Ehepaar feiert nach langen Ehejahren das Fest der Goldenen Hochzeit. Beim gemeinsamen Frühstück denkt die Frau: „Seit fünfzig Jahren habe ich auf meinen Mann Rücksicht genommen und ihm immer das knusprige Oberteil des Brötchens gegeben. Heute will ich mir endlich diese Delikatesse selbst gönnen.“ Sie schmiert sich das Oberteil des Brötchens und gibt das untere Teil ihrem Mann.

      Entgegen ihrer Erwartung ist dieser hocherfreut, küsst ihre Hand und sagt: „Mein Liebling, du bereitest mir die größte Freude des Tages. Über fünfzig Jahre habe ich das Brötchen-Unterteil nicht mehr gegessen, das ich vom Brötchen am allerliebsten mag. Ich dachte mir immer, du solltest es haben, weil es dir so gut schmeckt.4

      Wer mit seinem Ehepartner im lebendigen Gespräch bleibt, wer dazu viele Freunde und Bekannte hat, die eigenen Fähigkeiten kennt und nutzt, dem wird die neue Lage wenig Probleme bereiten. Denn sie eröffnet viele Chancen, das Leben in veränderter Weise auszugestalten. Der Alltag erweitert sich. Neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung tun sich auf. Nun ist mehr Zeit für Hobbys, für Reisen, für Fahrradtouren, aber auch für Konzert- und Theaterbesuche etc. Die Möglichkeiten sind Legion – je nach Vorlieben und finanziellen Möglichkeiten.

      Tatsache ist: Wie alt wir einmal werden, haben wir nur begrenzt in der Hand. Aber wie wir alt werden, unter welchen Umständen und in welchem Format, das können wir selbst beeinflussen. Das kommt nicht einfach über uns, sondern dafür sind wir zu hohen Teilen selbst verantwortlich. Das will gewollt und angestrebt werden und hat auch mit unserem Denken, mit unserem Verhalten und unserem Glauben zu tun. Darum geht’s: Altwerden mit Verstand und Gottvertrauen.

       Das Ehepaar feiert gemeinsam den 60. Geburtstag. Dabei überkommt die Frau der Wunsch, doch einmal etwas von der großen Welt zu sehen. Deshalb bittet sie Gott: „Jahrzehntelang habe ich mich für meine Familie abgearbeitet. Ich habe mich nicht geschont. Freizeit und Urlaub habe ich kaum gekannt. Nun habe ich den Wunsch, endlich einmal eine Weltreise zu unternehmen, eine Kreuzfahrt zu den schönsten Fleckchen der Erde.“

      Kaum hat sie ihren Wunsch ausgesprochen, liegen die ersehnten Papiere vor ihr: Flugtickets, Hotelbuchungen und vieles mehr. Alles, was für die große Reise nötig ist. Die Frau staunt, ist beglückt und dankt Gott für dieses Geschenk.

       Da wird ihr Mann neidisch. „Lieber Gott, darf ich dich auch um etwas bitten?“

      „Ja, natürlich“, kriegt er zu hören.

       „Ich wünsche mir eine dreißig Jahre jüngere Frau!“

      Man stelle sich vor: Auch dieser Wunsch wird augenblicklich erhört: Ab sofort ist der Mann – schwuppdiwupp – neunzig.

      2. Wir freuen uns über unser Alter und danken Gott

      Hurra, wir leben! Es gibt uns noch. Gott will uns haben. Es ist ein Geschenk, dass wir über dieses Thema nachdenken dürfen. Grund für Lob- und Dankgesänge! Als Reichskanzler Bismarck im 19. Jahrhundert die Rentenversicherung einführte, kam kaum einer in den Genuss dieser Altersversorgung: Sie wurde nämlich erst ab dem siebzigsten Lebensjahr ausgezahlt. Doch dieses Alter erreichten nur wenige.

      Anders geht es heute zu. Immer mehr Menschen werden immer älter. Wer heute siebzig Jahre alt ist und einigermaßen gesund, der hat statistisch noch rund zwanzig Jahre (Männer) bzw. rund dreiundzwanzig Jahre (Frauen) vor sich. Pfarrfrauen, so habe ich mir sagen lassen, werden besonders alt. Ein Drittel der Mädchen, die heute geboren werden, hat in unseren Breitengraden eine statistische Lebenserwartung von hundert Jahren.

      Insgesamt: Tendenz steigend. Gott sei Dank! Zivilisation und medizinischer Fortschritt ermöglichen uns ein Lebensalter, von dem unsere Vorfahren nur träumen konnten. Wir gehören zu den wenigen Menschen auf der Welt, die sich auf der Sonnenseite befinden. Indem wir Gott dafür danken, machen wir uns bewusst, wie gut wir dran sind. Das versteht sich nicht von selbst.

      Nur dieses eine Leben?

      Bei vielen ist die Sehnsucht riesig, sehr alt zu werden. Aber hier hat sich in den vergangenen Jahrhunderten viel verschoben. In früheren Zeiten lebte man vielleicht gut vierzig Jahre. Viel mehr gab die allgemeine Lebenserwartung nicht her. Aber man war überzeugt: Ich habe die Ewigkeit im Jenseits vor mir.

      Heute lebt man vielleicht achtzig, neunzig Jahre. Aber die meisten sind überzeugt: Das war’s dann auch. Darüber hinaus sieht man keine Perspektive und denkt: „Mit dem Tod ist alles aus und vorbei.“

      Das verändert natürlich die Lebenshaltung. Wer nur das Diesseits hat, muss hier und heute alles Glück erwerben und auskosten, so gut es nur geht. Das erhöht den Druck, den man auf sich ausübt.

      Auch deshalb sind die Erwartungen an Medizin und Wellness gigantisch geworden. Ärzte werden als „Halbgötter in Weiß“ mit Verehrung überhäuft und mit Erwartungen überfordert. Angebote lebensverlängernder Maßnahmen stehen hoch im Kurs. Weil man die Ewigkeit verloren hat, bleibt schließlich nur dieses eine Leben – und das muss dann „mit aller Gewalt“ alle Erwartungen erfüllen.

      „Erstmals seit Bestehen der Menschheit sind Menschen in Mitteleuropa nicht mehr so ganz sicher, ob nicht vielleicht doch mit dem Tod alles aus ist“, stellt Manfred Lütz fest.5 Und Dieter Hildebrandt schreibt: „Das Altern ist gerade noch erlaubt, aber man sieht es nicht gerne“6 – weder bei sich noch bei anderen. Warum? Manfred Lütz sagt es zugespitzt: „Eine ganze Gesellschaft ist in kopfloser Flucht vor dem Tod.“7


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