Weise & gelassen älter werden. Christoph Morgner

Weise & gelassen älter werden - Christoph Morgner


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kostbarer werden dann Augenblicke, in denen man das Leben genießt und die Zeit am liebsten anhalten würde. Das wusste bereits Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832): „Möcht ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön.“ Jeder weiß von Momenten, in denen er besonders glücklich war. Da möchte man am liebsten die Augen schließen und die Uhr anhalten: So soll es für immer bleiben. Ja nicht weiter, ja nicht verändern. Am liebsten das Rad der Zeit zurückdrehen: „Man müsste noch mal zwanzig sein …“ Kein Wunder, dass an keiner Grenze so geschummelt wird wie an der Altersgrenze.

      Doch hier lauert die Gefahr, dass wir nicht mit der Zeit gehen, sondern lediglich dem Vergangenen nachtrauern. Das wird dabei oft in ein goldenes Licht getaucht: alles hell, alles gut, alles freundlich. Die Gegenwart hingegen wird eher als bedrückend erlebt. Das Entscheidende fand in der Vergangenheit statt. Was für ein Jammer, dass man nicht wieder dorthin zurückgehen kann!

      Die Sehnsucht nach Entschleunigung – so sagt man heute – liegt dann besonders nahe, wenn wir älter werden. Langsamer soll die Zeit laufen. Doch dreht sie sich, je älter wir werden, nicht immer schneller?!

      Bei einer Veranstaltung Mitte September erinnerte ich daran: „In drei Monaten ist Weihnachten“, woraufhin ein leises Seufzen zu vernehmen war: „Tja, schon wieder. Haben wir nicht gerade erst die Weihnachtssachen weggeräumt?“

      Warum dieses Empfinden im Alter: Die Zeit vergeht schneller? Untersuchungen belegen, was wir selbst erleben: Die Abläufe und Handgriffe sind im Laufe der Jahrzehnte zur Routine geworden. Im Kinder- und Jugendalter dagegen hat vieles den Reiz des Neuen. Es muss erobert und gelernt werden: Zähneputzen, Einkaufen, schulisches Pensum etc. Da geht es oft mühevoll und zeitaufwendig zu. Das Leben wird als spannend und aufregend empfunden. Wir Älteren erledigen vieles mit der linken Hand. Unsere alltäglichen Abläufe sind eingespielt. Diejenigen Ereignisse werden selten, die wir zum ersten Mal erleben. Außerdem steht vielen nicht – oder nicht mehr – der Sinn danach, Neues auszuprobieren.

      Zugleich nimmt der Zeitdruck zu. Viele stehen wie unter Dampf. Davon wusste bereits Hiob: „Der Mensch lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe“ (Hiob 14,1). Warum? Wenn ich nur dieses eine kleine Leben habe, muss ich zusehen, nichts zu verpassen. Alles will ich mitkriegen und mitmachen.

      Erst recht dort, wo man keine Ewigkeit kennt, wird das Hier und Heute zum Ein und Alles. Der Tod gerät zum schieren Unglück, in dem uns alles genommen wird, was wir sind und haben. „Man könnte hierin eine Tragödie des modernen Menschen sehen. Während er den Eindruck hat, in einem unbarmherzigen Hamsterrad gefangen zu sein, wird sein Lebens- und Welthunger nicht befriedigt, sondern zunehmend frustriert.“8 Er findet nie das Maß an Erfüllung, das er ersehnt.

      Und am Lebensende ist man wirklich am Ende. So hat es ein Freund erlebt, der einen Anruf von einem älteren Ehepaar bekam. Das berichtete ihm von seinem Umzug in ein Seniorenheim und teilte die neue Adresse mit. Der Freund fragte: „Wie geht es euch jetzt?“ Die triste Antwort: „Wir sitzen hier und warten auf den Tod.“ So sieht es aus, wenn Menschen über ihren Tod hinaus nichts zu hoffen haben. Da gleicht das Leben im Alter einem Wartesaal auf den Tod.

      In Ewigkeit vollendet

      Anders geht es dagegen zu, wenn wir uns im Glauben geborgen wissen. In Gottes Händen aufgehoben zu sein, verhilft uns zu einem gelassenen und zugleich zielstrebigen Leben. Als Christ weiß ich: Gott hat mir mein Lebensmaß zugemessen. Daran kann ich nichts ändern. Und danach wartet auf mich ein ewiges Zuhause bei Gott.

      Deshalb muss ich in diesem Leben nicht alles haben, alles gewinnen und alles leisten. Auch dort, wo es bei mir bruchstückhaft zugeht und ich im Rückblick erkenne, was mir alles nicht gelungen ist: Mein Leben als Christ wird nicht hier auf diesem Erdboden vollendet, sondern in Gottes Ewigkeit. Weil ich heute zu Jesus gehöre, habe ich Zukunft ohne Ende. Der Tod ist mir keine Mauer mehr, an der alles zerschellt, sondern die Tür, die mir aufgeht zum Himmel.

      Das zu wissen, entlastet. Es nimmt den Druck heraus. Es entkrampft, was meine Glückserwartungen hier und heute betrifft. Unter einem offenen Himmel lebt es sich getroster und fröhlicher. Uns läuft auch im Alter die Zeit nicht weg – deshalb können wir alle Tage zuversichtlich leben.

      Als Christen nehmen wir alles aus der Perspektive des Glaubens wahr. Unser Glaube ist kein abgegrenzter Bezirk, den man betritt und wieder verlässt, sondern er ist das prägende Vorzeichen für alles, was wir tun und lassen. Alles will vom Glauben durchdrungen und eingefärbt sein. Ganz im Sinne des Apostels Paulus: „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus, und dankt Gott, dem Vater, durch ihn“ (Kolosser 3,17). Es gibt keinen Sektor, auf dem wir vom Glauben absehen könnten. Erst recht nicht, wenn’s ums Altern geht.

      Spätestens jetzt zeigt sich, ob unser Glaube nur schönes Wetter verträgt oder ob er auch dann lebendig und tragfähig ist, wenn sich Lebensumstände gravierend ändern und sich manches Gute nicht mehr von selbst versteht.

      3. Wir pflegen unsere Gottesbeziehung

      Glaube lebt davon: Gott begegnet uns und wir ihm. Glauben ist ein Kontaktgeschehen. Er liebt uns, wir lieben ihn, unseren Gott und Heiland.

      Gemeinschaft mit Gott

      Natürlich verstehen wir Glauben als ein Geschenk. Er wächst nicht in unserem Garten. Wir verfügen nicht über ihn. Aber wie das mit Geschenken so ist: Man muss sie auspacken, entdecken und pflegen. Schade, wenn sie still in der Ecke verstauben. Glaube will gelebt, bewahrt und gestaltet sein. So wie die Beziehung der Ehe: Da ist es nicht damit getan, dass man Ja zueinander sagt und sich gegenseitig die Ringe aufsteckt. Nein, danach geht’s erst richtig los. Nicht umsonst spricht der Apostel Paulus häufig vom „Wachsen im Glauben“ (u. a. 2. Thessalonicher 1,3).

      Das bedeutet praktisch: Es soll täglich ein paar Minuten geben, in denen Gott mit uns allein ist. Er redet, wir hören. Dafür gibt es unterschiedliche Modelle, die uns Gottes gute Worte nahebringen:

      •das Kleinformat der Herrnhuter Losungen,

      •die ökumenische Bibellese,

      •eine eigene Bibel-Leseordnung.

      Es kommt nicht auf die Menge an. Aber unsere Existenz als Christen hängt daran, dass Gott zu uns reden kann und wir zu ihm beten. Unaufhörlich hin und her. Das Ergebnis: Der Herr, mit dem wir umgehen, geht auf lange Sicht mit uns um. Er formt unser Verhalten und prägt uns. Deshalb sollten das Bibellesen und das Beten zu unserem Tagesablauf gehören wie das Zähneputzen. Beides hält uns frisch.

      Wo uns im Ruhestand nicht mehr der berufliche Stress den zeitlichen Takt vorgibt, wird es uns leichter möglich, den Kontakt mit Gott intensiver zu pflegen, dem Gebet und dem Bibellesen mehr Zeit einzuräumen, als das vorher denkbar war.

      Weil man bekanntlich im Alter meistens in unterschiedlichen Graden vergesslicher wird, kommt es vor, dass man bereits nach wenigen Stunden vergisst, was man gelesen hat. Manche schämen sich deshalb. Aber das ist nicht nötig. Denn das Wort Gottes wirkt in uns auch dann, wenn wir es nicht mehr bewusst intus haben. Dabei verhält es sich wie mit dem Wasser, nachdem es geregnet hat. Es ist auf dem Rasen sichtbar. Bald aber nicht mehr. Warum? Das Wasser ist in den Boden eingezogen und reichert am Ende sogar den Grundwasserspiegel an. So auch das Wort Gottes, das wir aufnehmen. Es geht nicht verloren, sondern dringt in unser Inneres ein. Es prägt uns, ohne dass wir das immer bemerken.

      Das wird durch eine schlichte Begebenheit unterstrichen:

       Die Oma war alt geworden. Ihr Gedächtnis war nicht mehr das beste. Dennoch ging sie Sonntag für Sonntag zum Gottesdienst. Hinterher fragte man sie zu Hause: „Na, Oma, wie war’s im Gottesdienst, worüber hat der Pfarrer gepredigt?“ Da fiel der Oma nichts mehr ein: „Das hab ich vergessen.“

       „Aber Oma, wozu gehst du denn zur Kirche, wo doch dein Gedächtnis wie ein Sieb ist?“

       „Ja, mit dem Sieb, das stimmt“, gibt die Oma


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