Behemoth. Franz Neumann

Behemoth - Franz Neumann


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Armee.

      Die Nationalsozialisten standen somit einer Anhäufung staatlicher, bei einer Bürokratie mit hoher Qualifikation und langjähriger Erfahrung zentralisierten Macht gegenüber. Ihr Versuch, neben dem bürokratischen Staatsapparat einen konkurrierenden und sämtliche Staatsaktivitäten umfassenden Parteiapparat aufzubauen, führte zu nichts. Zunächst hatte die Partei ein eigenes Außenministerium (Alfred Rosenberg), ein Justizministerium (Hans Frank), ein Arbeitsministerium (Hierl) und ein Kriegsministerium (Röhm). Hitler selbst setzte diesen Versuchen am 30. Juni 1934 ein Ende.

      Die Lehre von der Oberhoheit des Staates mußte in Deutschland verworfen werden, weil die Ansprüche der Partei mit denen des Staates konfligierten. Wäre das nicht der Fall gewesen, dann hätte nichts Hitler daran hindern können, an der Theorie des totalitären Staates festzuhalten. Heute sind die staatsverherrlichenden Lehren, vor allem der Hegelianismus, über Bord geworfen worden.

      Vielleicht trifft es zu, daß Hegels Verherrlichung des Staates – wie Hobhouse nachzuweisen versuchte – der für den preußischen Militarismus und den Ersten Weltkrieg am meisten verantwortliche ideologische Faktor war.45 Aber man kann Hegel nicht für die politische Theorie des Nationalsozialismus verantwortlich machen. Eine ganze Reihe von Hegelianern ist nach wie vor in der nationalsozialistischen Bewegung aktiv; einige von ihnen versuchen sogar, Hegels Theorie der neuen nationalsozialistischen Ideologie anzupassen.46 Aber ihre Bemühungen sind lächerlich; denn niemand kann bezweifeln, daß Hegels Staatsidee mit dem deutschen Rassenmythos grundsätzlich unvereinbar ist. Hegel schrieb dem Staat die »Verwirklichung der Vernunft« zu, und verglichen mit den Theorien von Haller und den angeblich liberalen Lehren der Burschenschaften (den von dem Philosophen Fries angeführten Studentenverbänden) war seine politische Theorie fortschrittlich. Hegel verachtete sie beide, denn Haller repräsentierte einen reaktionären politischen Vorstoß, die politische Macht der rückschrittlichsten Gesellschaftsschichten zu rechtfertigen, während die »liberale« Doktrin der Burschenschaften – wie selbst Treitschke erkannte47 – den Keim des Rassismus, Antisemitismus und teutonischer Selbstüberhebung in sich barg. Hegels Theorie ist rational; sie hält zudem am freien Individuum fest. Sein Staat verkörpert sich in einer Bürokratie, die die bürgerlichen Freiheiten garantiert, weil sie auf der Grundlage rationaler und berechenbarer Normen tätig wird.48 Diese Betonung des rationalen Verfahrens der Bürokratie, Hegel zufolge die Voraussetzung einer guten Regierung, macht seine Lehre für den nationalsozialistischen »Dynamismus« unannehmbar.

      Einige wenige Worte sind nötig, um den Begriff der »rationalen« Bürokratie, wie Hegel ihn verstand, und sein Verhältnis zu einem demokratischen System zu klären. Heute werden Übergriffe der Bürokratie in fast allen Ländern als eine Bedrohung der Freiheit des Individuums verdammt.49 Und wenn wir Demokratie ausschließlich als ein Organisationsmodell definieren, nach dem die politische Macht unter frei gewählten Volksvertretern aufgeteilt wird, so läßt sich ohne weiteres feststellen, daß eine Bürokratie, die dauerhaft, hierarchisch gegliedert und einer eigenmächtigen Befehlsgewalt unterworfen ist, als Widerspruch zur Demokratie erscheinen muß. Demokratie ist aber nicht ein bloßes Organisationsmodell; sie ist auch ein Wertsystem, und die von ihr verfolgten Ziele können sich verändern. Der Konkurrenzkapitalismus zielte einzig und allein darauf ab, die Freiheit der Gesellschaft vor staatlicher Einmischung zu schützen. In der Ära des Kollektivismus, der den Konkurrenzkapitalismus als Resultat tiefgreifender ökonomischer Wandlungen ablöste, und in dem die Massen die Berücksichtigung ihrer materiellen Lage verlangen, erweist sich das durch die liberale Demokratie repräsentierte Wertsystem als unangemessen. Arbeitslosen-, Kranken- und Invalidenversicherung, Wohnungsbauprogramme werden zur Notwendigkeit und müssen als unverzichtbarer Teil der Demokratie akzeptiert werden. Darüber hinaus muß eine gewisse Kontrolle des ökonomischen Handelns eingeführt werden. Offensichtlich bieten sich zur Verwirklichung dieser neuen Ziele zwei Methoden an: Eine, als pluralistische Lösung, enthält die Selbstverwaltung durch die privaten interessierten Parteien; die andere, eine monistische Lösung, bedeutet bürokratische Bevormundung. Die Wahl zwischen diesen beiden Methoden fällt nicht leicht, um so weniger, als das Maximum an bürokratischer Macht nur dann erreicht wird, wenn staatliche und private Bürokratien einander durchdringen. Die Bevorzugung der Selbstverwaltung folgt nicht unbedingt aus dem Wesen der Demokratie. Das wäre der Fall und in der Tat die Ideallösung, wenn die privaten Bürokratien in allen wichtigen Punkten eine Einigung erzielen könnten, ohne die Interessen der Gesellschaft insgesamt zu verletzen. Aber diese Erwartung ist utopisch. Wann immer private Gruppen zu einer Einigung kamen, geschah es auf Kosten der Gesamtgesellschaft; gewöhnlich hatte der Verbraucher zu leiden, und ein Eingreifen der Regierung erwies sich als unabdingbar. Unsere Gesellschaft ist nicht harmonisch, sie ist antagonistisch, und der Staat wird immer die ultima ratio sein. In Deutschland zwang das pluralistische System privater Verwaltung – wie ich zu zeigen versuchte – die Regierung früher oder später zur Intervention; als Folge davon wuchs die Macht der Staatsbürokratie. Hinzu kommt die Tendenz der betroffenen Parteien wie Gewerkschaften, Kartelle, Unternehmerverbände und politische Gruppen, selbst bürokratische Einrichtungen zu werden50, deren Zweck entweder darin besteht, ihre Organisationen funktionsfähig oder sich selbst an der Spitze zu halten. Die spontanen Wünsche der breiten Masse werden dabei unweigerlich geopfert.

      Konfrontiert mit der Wahl zwischen zwei Arten von Bürokratie, mag die Bürgerschaft die öffentliche der privaten Bürokratie vorziehen; denn private Bürokratien verfolgen egoistische Gruppeninteressen, während öffentliche Bürokratien, selbst wenn sie von Klasseninteressen beherrscht werden, dem Allgemeinwohl eher zuneigen. Das ist darin begründet, daß Staatsbürokratien festgesetzten und nachprüfbaren Regeln gehorchen, während private Bürokratien geheime Anweisungen befolgen. Der Staatsdiener wird nach einem Laufbahnsystem ausgewählt, das auf dem Prinzip der Chancengleichheit für jeden Bewerber beruht, wenngleich dieses Prinzip in der Praxis häufig pervertiert wird. Private Bürokratien kooptieren ihre Mitglieder, und dieser Vorgang entzieht sich der Kontrolle durch die Öffentlichkeit.

      Max Webers soziologische Analyse der Bürokratie hat, obwohl sie von einem Idealtypus ausgeht, einen gewissen Wahrheitsgehalt, der auf alle bürokratischen Institutionen zutrifft. Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Verläßlichkeit und Rationalität kennzeichnen danach den Beamten, der »unpersönlich« seines Amtes waltet, d. h.: »sine ira et studio, ohne Haß und Leidenschaft … unter dem Druck schlichter Pflichtbegriffe; ›ohne Ansehen der Person‹, formal gleich für ›jedermann‹«.51 Zwar kann die Bürokratie durchaus zu einer antidemokratischen Kraft werden, aber ob das tatsächlich geschieht, hängt in viel größerem Maße von der Stärke der demokratischen Kräfte als von den ihr innewohnenden Tendenzen ab. Selbst wenn sie reaktionär werden sollte, wird die Bürokratie dazu neigen, ihre Maßnahmen auf gesetzlichem Wege durchzuführen, in Übereinstimmung mit den festen Regeln, an die sie sich halten muß. Sie wird ein Minimum an Freiheit und Sicherheit bewahren und so die Auffassung stützen, daß jedes rationale Gesetz, gleich welchen Inhalts, eine unbestreitbare Schutzfunktion hat.

      Aus den genannten Gründen erscheint das rationale Verfahren der Bürokratie als unvereinbar mit dem Nationalsozialismus. Die Ablehnung der staatlichen Obergewalt ist daher mehr als ein ideologisches Mittel, das den Verrat der Partei an Armee und Beamtentum verbergen soll; sie ist Ausdruck der realen Notwendigkeit des System, sich der Herrschaft des rationalen Gesetzes zu entledigen.

      Wir dürfen uns indes nicht dazu verleiten lassen anzunehmen, daß die Zentralisierung des bürokratischen Apparates in Deutschland in irgendeiner Weise geschmälert wurde, die Existenz der NSDAP die Macht der Bürokratie in irgendeiner Weise beschränkt hat. Im Gegenteil: Aufrüstung und Krieg haben die autoritäre Kontrolle der Bürokratien in Reich, Ländern und Gemeinden spürbar verschärft.

      Wir haben es also mit zwei gleichzeitig auftretenden Entwicklungen zu tun: einerseits dem enormen zahlen- und funktionsmäßigen Wachstum der staatlichen Bürokratien, andererseits der ideologischen Verteufelungskampagne, die sich gegen die Bürokratie richtet und von einer Kampagne zur Machtstärkung der Partei begleitet wird. Die Partei selbst stellt eine riesige Bürokratie dar; der Kampf der NSDAP


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