Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien. Mareike Bröcheler
21. Jahrhunderts durch das adult worker model (mit Fokus auf Paarbeziehungen auch dual earner model) ersetzt, welches geschlechtsunabhängig allein Erwerbspersonen definiert. Der Fokus auf die Erwerbsarbeit zeugt dabei jedoch von einer „Reproduktionsblindheit“ (Gottschall und Sehröder 2013: 167) des Doppelverdiener-Modells. Ebenso zeigt die Realität weiblicher Erwerbsverläufe der letzten Jahrzehnte, dass in der Bundesrepublik vielmehr ein sog. Zuverdiener-Modell gelebt wird, welches sich weiterhin durch einen männlichen Hauptverdiener und eine – spätestens ab Zeitpunkt der Familiengründung – weibliche Zuverdienerin in geringfügiger oder Teilzeitbeschäftigung auszeichnet.56 In zwei Dritteln aller Familienhaushalte sind heute beide Elternteile erwerbstätig, wobei die Verantwortung für die Haus- und Sorgearbeit bei den Frauen verbleibt, sodass sich wiederum eine Traditionalisierung der Rollenverhältnisse einstellt – mit dem bekannten Risiko einer schlechteren Existenzsicherung für Frauen und einem erhöhten Armutsrisiko, insbesondere im Alter (vgl. BMFSFJ 2012a; Gottschall, Schröder 2013; Wanger, Bauer 2015; BMFSFJ 2017).
Die Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung betont daher die Notwendigkeit eines integrierenden Leitbildes, in dem die Organisation der Sorgearbeit in enger Verbindung mit der Organisation der Erwerbsarbeit zu sehen ist. Das Erwerb-und-Sorge-Modell (earner carer model) verfolgt die bereits im Ersten Gleichstellungsbericht erarbeitete Zielstellung, „dass eine gleichstellungsorientierte Gestaltung der Erwerbs- und Sorgearbeit allen Menschen unabhängig vom Geschlecht ermöglichen muss, während ihres Lebensverlaufs Erwerbs- und Sorgearbeit gleichberechtigt zu verbinden“ (BMFSFJ 2017: 101). Damit einher geht die Aufforderung, Sorgearbeit gesamtgesellschaftlich zu organisieren und nicht mehr allein in privater Verantwortung zu belassen, sodass schließlich auch „Zweiverdiener-Arrangements ohne Überforderung gelebt werden können“ (ebd.). Um dies realisieren zu können, ist schließlich nicht nur ein Umdenken in Politik, Gesellschaft und Unternehmen erforderlich, sondern es braucht vielmehr entsprechende Rahmenbedingungen, die diese selbstbestimmten Lebensverläufe ermöglichen. Neben verschiedenen gleichstellungsorientierten politischen Maßnahmen ist dabei auch „eine gute Infrastruktur der privaten Haushaltsführung (…) sowohl für die Integration der Beschäftigten in existenzsichernde Arbeitsverhältnisse als auch für die gleichstellungsorientierte Organisation von Erwerbs- und Sorgearbeit von Bedeutung“ (ebd.: 170). Schließlich wird mit dieser Forderung auch die Relevanz haushaltsnaher Dienstleistungen für die Realisierung wohlfahrtsstaatlicher Leitbilder deutlich.
51 Die Kategorie „Wohlfahrtsstaat“ ist abzugrenzen vom Terminus des „Sozialstaates“, der die rechtlich-normative Dimension der entsprechenden Politikbereiche betont (vgl. Schmid 2011).
52 Die Realität weicht also stets – in mehr oder minder großen Anteilen – von diesen Typen ab, Reinformen treten praktisch nicht auf (vgl. Esping-Andersen 1997).
53 Ostner (2011) verweist ausdrücklich darauf, dass sich die skandinavischen Länder, die in den wohlfahrtsstaatspolitischen Diskursen häufig als Vorbild angeführt werden, untereinander ebenfalls stark unterscheiden. Dies wird deutlich, wenn etwa Leitbilder und Strategien der Familienpolitik verglichen werden: „Norwegen und Finnland sind Abweichler im nordeuropäischen Cluster: Lange Zeit investierte Norwegen wenig in die öffentliche Kinderbetreuung; Finnland bietet Eltern kleiner Kinder wiederum ein Betreuungsgeld, Dänemark vor allem Alleinerziehenden kaum Zeit und Geld, um die Kinder selbst zu betreuen. All dies legt nahe, dass von einem einheitlichen nordeuropäischen care regime nicht die Rede sein kann […].“ (Ostner 2011: 471) Auch Heintze hebt in ihrer vergleichenden Analyse der Pflegesysteme in Skandinavien und Deutschland eine Sonderstellung von Finnland, aber auch Island hervor (vgl. Heintze 2013; 2015).
54 Die beiden Termini gehen auf Bosch und Lehndorf (2005) zurück, die damit unterschiedliche Formen der Dienstleistungsökonomie beschreiben. Heintze (2013) definiert aufgrund dessen die Highroad als „Konfiguration […], bei der ein durch hohe Produkt- resp. Dienstleistungsqualitäten geprägter Output auf einem Arbeitsregime basiert, das durch hohe Qualifikationsanforderungen bei gleichzeitig hohen Arbeitsstandards und guter Entlohnung geprägt ist. Die Lowroad bezeichnet die gegenteilige Konfiguration mit stark schwankenden Dienstleistungsqualitäten auf der Basis eines Arbeitsregimes, das für die meisten Beschäftigten wenig attraktive Bedingungen bietet (hoher Leistungsdruck, schlechte Entlohnung, weniger Weiterbildungsmöglichkeiten).“ (Heintze 2013: 33)
55 Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch Bröcheler 2018.
56 Der Trend zu diesem Erwerbsmuster bei Paaren mit Kindern hat in Westdeutschland zu einem Rückgang des traditionellen Ernährermodells geführt, in Ostdeutschland hingegen zu einem Rückgang des bis dato vorherrschenden Zweiverdiener-Arrangements (vgl. BMFSFJ 2017).
3.3 Leitbilder der Familien- und Gleichstellungspolitik
Leitbilder und Geschlechterrollenbilder werden nicht nur sozial entwickelt und geformt, sondern durch Politik und Rechtsprechung maßgeblich beeinflusst. Der Erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung mahnt daher „[d]ie Herstellung konsistenten Rechts und die Abstimmung von Rollenerwartungen über den Lebensverlauf“ (BMFSFJ 2012a: 53) als wichtige Aufgabe der (Familien- und) Gleichstellungspolitik an, da es gerade juristische Neuerungen zugunsten von Partnerschaft und Familie sind, die Rahmenbedingungen für Familienleben mitbestimmen oder gewisse Normen vorgeben (vgl. ebd.). In enger Wechselwirkung mit politischen Interessenlagen ebenso wie sozialen und demografischen Veränderungen (Geburtenrate, Wandel der Lebensformen oder Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern) verändern sich auch familienpolitische Paradigmen. Nachdem in den Nachkriegsjahrzehnten vor allem die Unterstützung der bürgerlichen Normalfamilie nach dem Konzept des Ernährermodells vorgesehen war, ist auch die deutsche Familienpolitik nach der Jahrtausendwende von einem partnerschaftlichen Familienleitbild geprägt, welches die Etablierung familien- und gleichstellungspolitischer Maßnahmen fokussiert, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Erwerbs- und Sorgearbeit zu ermöglichen. Die Einführung des einkommensabhängigen Elterngeldes 2007 stellt hier den ersten Meilenstein dar, gefolgt von der Einführung eines gesetzlichen Anspruchs auf U-3-Betreuung für mindestens 35 % aller Kinder ab 2013.57 Seit 2015 ermöglicht das Elterngeld-Plus zudem einen längeren Leistungsbezug und damit weitere Unterstützung bei Teilzeiterwerbstätigkeit beider Elternteile. Die neue Familienpolitik zeichnet ein modernes Bild von Elternschaft, in der traditionelle, geschlechtsdifferenzierte Arbeitsteilungsmuster nicht mehr selbstverständlich sind und eine Wahlfreiheit für alle Partnerinnen und Partner gegeben sein soll. Rechtlich wird diese Entwicklung einerseits mitgetragen, wie das Veto des Bundesverfassungshofes gegen das Betreuungsgeld („Herdprämie“) verdeutlicht. Andererseits weisen Expertinnen und Experten aus Familien- und Gleichstellungsforschung auf zahlreiche Unstimmigkeiten und Inkonsistenzen in Politik und Rechtslage hin. So konterkariert das nach wie vor unangetastete Ehegattensplitting im Steuerrecht (Unterstützung der „Versorgerehe“) Bemühungen um wirtschaftlich möglichst unabhängige Biografien von Männern und Frauen in Ehen und Lebensgemeinschaften, diese werden wiederum durch andere Gesetze, etwa das Unterhaltsrecht nach seiner Reform 2007, nicht nur gefördert, sondern gefordert (vgl. BMFSFJ 2012a; Gerlach 2017).58 Die Aufforderung zur Abschaffung derartiger Inkonsistenzen lebenslaufbegleitender Institutionen ist daher eine Kernbotschaft des Ersten und Zweiten Gleichstellungsberichtes (vgl. BMFSFJ 2012a, 2017). Eine, wie im Siebten Familienbericht definierte, nachhaltige Familienpolitik soll als Lebenslaufpolitik die Bewältigung verschiedener Lebensphasen jenseits der Rushhour des Lebens (siehe Kapitel 4.2) und tradierter Rollenmuster ermöglichen (vgl. BMFSFJ 2006). Der Zweite Gleichstellungsbericht verweist gleichermaßen