Ein Weihnachtshund auf Probe. Petra Schier
Vater zu beruhigen. Sie sah ihn, der mehr als einen Kopf größer war, mit schräg gelegtem Kopf von unten an und setzte dabei ihr schönstes Lächeln auf. Das half normalerweise immer. »Wir haben nur vergessen, die Tür zuzumachen, das kann doch mal vorkommen. Und schau, ich habe Otter ganz sauber gewaschen und sogar gefönt.« Sie wies auf den Verursacher der Teppichflecken, der adrett und nach Fichtennadelshampoo duftend im Flur stand und ihnen freundlich zuwedelte. Auch er legte den Kopf auf die Seite und klimperte zwei-, dreimal mit den Augenlidern.
Das Bad war wirklich toll Nur dieser Schaum ist blöd, der juckt in den Augen.
Karl stieß gereizt die Luft aus. »Also gut, er scheint ja wirklich einigermaßen sauber zu sein. Seht zu, dass es so bleibt. Beim nächsten Mal ...« Er vollendete den Satz nicht, sondern ging hinüber ins Wohnzimmer. Doch alle wussten, was er damit für das nächste Mal androhte.
Andrea zuckte mit den Schultern, als sie Emmas und Tommis unglückliche Blicke sah. »Er hat nicht ganz Unrecht. Wenn der Hund nicht bald aufhört, das Haus in ein Chaos zu verwandeln, ist er schnell wieder im Tierheim.«
»Otter, er heißt Otter!« protestierte Tommi. Er kniete sich neben dem Hund in den Flur und umarmte ihn. Otter stupste ihn mit der Nase an und leckte ihm übers Ohr.
Ich mag, dich, Junge. Komm, lass uns spielen!
Tommi lachte. »Das kitzelt!«
Andrea verdrehte amüsiert die Augen. »Los, nehmt ihn mit nach oben! Tommi, noch eine halbe Stunde, dann musst du ins Bett!«
3. Kapitel
»So ein Mistkerl! Shit!« Emma knallte die Haustür ins Schloss und stürmte an ihrer erstaunten Mutter vorbei die Treppe hinauf. Otter, der sie freudig hatte begrüßen wollen, bellte aufgeregt hinter ihr her.
Hey, was ist denn los? Kriege ich keine Streicheleinheiten zur Begrüßung? Da stimmt doch was nicht.
Auch ihre Zimmertür schlug Emma mit lautem Knall hinter sich zu, drehte ihre Stereoanlage beinahe bis zum Anschlag auf und warf sich aufs Bett.
Himmel, war sie wütend! Und sauer und ... enttäuscht. Mit einem Wutschrei presste sie ihr Gesicht in das kleine herzförmige Kuschelkissen mit dem weichen roten Samtbezug. Ihr Herz pochte heftig. »Ich hasse ihn, hasse ihn, hasse ihn!« grollte sie dumpf und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die ihr langsam aber sicher in die Augen stiegen.
Der Rocksong, der aus den Lautsprechern dröhnte, war ohrenbetäubend, doch auch das half ihr im Augenblick nicht. Verzweifelt boxte sie auf ihr Kopfkissen ein, drückte aber gleich darauf ihr Gesicht wieder in das Kuschelherz. Das leise Klopfen an der Tür vernahm sie nur, weil der Song gerade zu Ende war.
»Geh weg!«, brüllte sie gegen den Trommelwirbel an, der das nächste Lied ihrer Lieblingsband einläutete. Dennoch öffnete sich die Tür, und Andrea trat in das Zimmer. Gemächlich ging sie zur Stereoanlage und drehte die Lautstärke aufs Minimum zurück.
»Kannst du mich nicht einfach in Ruhe sterben lassen?«, brummte Emma genervt in ihr Kissen.
Andrea lächelte fein und setzte sich auf die Bettkante. »Ich bin auch mal mit einem Jungen zum Schlittschuhlaufen gegangen. Er war schon achtzehn und sah so toll aus, dass ich dachte, alle würden mich um ihn beneiden.«
Emma rührte sich nicht und tat, als höre sie gar nicht zu.
»Wie Recht ich damit hatte, merkte ich, als ich in der Eissporthalle ankam. Die Mädchen aus den höheren Klassen haben uns dermaßen belagert, dass ich mich gar nicht mehr mit ihm unterhalten konnte, geschweige denn ... du weißt schon.« Andrea verstummte. Ihr Lächeln wurde bei der Erinnerung breiter. »Das stärkste Stück aber war, als seine Exfreundin kam und mit ihm eine Bahn nach der anderen durch die Halle gezogen hat.«
Emma merkte auf, hob den Kopf und sah ihre Mutter an. Ihre Wangen waren gerötet und fühlten sich heiß an. »Und dann?«, fragte sie.
»Dann kam er zu mir und sagte, er würde seine Exfreundin rasch nach Hause fahren, weil sie sonst keine Fahrgelegenheit hätte, und danach würde er wiederkommen.« Andrea zuckte mit den Schultern. »Er kam natürlich nicht wieder.«
»Echt? Und was hast du dann gemacht?« Emma setzte sich auf und sah ihre Mutter neugierig an.
»Ich bin zu Fuß nach Hause gegangen, in mein Zimmer gestürmt, habe die Türen geknallt und meine Nena-Platte bis zum Anschlag aufgedreht, dass meiner Mutter die Ohren geplatzt sein müssen.« Andrea nahm das Herzkissen auf, drehte es in den Händen und reichte es dann Emma, die es fest an sich drückte. »Andy?«, fragte sie sanft.
Emma nickte unglücklich. »Erst sind wir ganz lange zusammen gefahren, aber dann kamen ein paar Leute aus meiner Parallelklasse. War eigentlich ganz witzig. Nur die Elke und die Jenny haben ihn dann immer aufgezogen, er würde sich nicht trauen, mit ihnen beiden um die Wette zu fahren. Hat er dann natürlich doch gemacht. Und danach ist er nur noch mit Elke gefahren und hat schließlich zu mir gesagt, er würde mit den beiden noch auf einen Cappuccino zu Ernesto’s gehen. Das ist das Cafe in der Eishalle.«
»Ich weiß.«
Emma kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Mich hätte er doch einladen müssen! Aber ich wollte sowieso nicht mit denen gehen. Die Elke ist total hinter Andy her. Das hat auch Stefan gesagt.«
»Stefan?«
»Aus der Parallelklasse. Er hat gesagt, so was hätte Andy schon mal gemacht.« Jetzt traten Emma doch wieder die Tränen in die Augen. Diesmal ließ sie sie laufen. »Stefan wollte, dass ich trotzdem noch bleibe, aber ich konnte nicht. Dieser Mistkerl!«
»Stefan?«
Emma zog eine Grimasse. »Andy! Der ist ein ... Egal. Stefan ist nur ... Stefan.«
Andrea nickte verstehend. »Ich geh mal wieder runter. Tommi kommt gleich vom Fußball. Musik wieder laut?«
Emma schüttelte den Kopf. »Musik leise«, murmelte sie und hatte sich bereits wieder in ihr Kopfkissen gewühlt, noch bevor ihre Mutter den Raum verlassen hatte. Erst jetzt konnte sie sich so richtig ausweinen.
Ihr Herzkissen war schon ganz durchnässt, als Emma plötzlich ein Kratzen an der Tür und dann leises Pfotentapsen hörte.
Hey, ich will reinkommen!
Otter stupste sie mit seiner feuchtkalten Nase an und winselte leise.
Was ist denn los mit Emma? Sie weint ja, das bedeutet, sie ist traurig. Das mag ich aber gar nicht.
Als Emma sich umdrehte, saß er neben dem Bett, den Kopf schräg gelegt, und sah sie aufmerksam an.
Sag mir, wie ich dir helfen kann.
»Hallo Otter.« Emma lächelte kläglich und strich ihm über den Kopf. Daraufhin legte er eine Pfote auf die Bettkante und stupste sie wieder an.
Soll ich zu dir raufkommen? Ich kann dich bestimmt trösten. Und dein Bett ist so schön weich und kuschelig.
»Okay, komm rauf. Aber nur, solange Papa nicht da ist.« Mit einer auffordernden Geste rutschte sie ein Stück zur Seite, und Otter sprang zu ihr aufs Bett. Er streckte sich neben ihr aus, den Kopf auf das Kissen gebettet, und schnaufte leise.
Sehr gut. Das mag ich.
Emma legte ihren Arm um den Hund und kuschelte sich eng an ihn.
Als Andrea eine halbe Stunde später ins Zimmer spähte, wollte sie schon empört losschimpfen. Doch Emma schlief, die Musik war inzwischen aus, und Otter hob den Kopf und machte ein Gesicht, als wolle er Andrea zur Ruhe mahnen.
Kopfschüttelnd ging sie ans Bett und breitete die Tagesdecke über Emma aus.
Otter schnaufte wieder und legte seinen Kopf zurück auf das Kissen.
Einen Moment betrachtete Andrea die beiden noch sinnierend, dann verließ sie leise das Zimmer und schloss die Tür bis auf einen Spalt.
4. Kapitel