Illustrierte Kindergeschichten. Louise Anklam
sie für das ganze Leben die treueste Freundschaft: sie besuchten sich oft und teilten jede Freude, jeden kleinen Kummer miteinander.
Den Wald, ihren schönen, grünen Wald, liebte Röschen noch ebenso wie als Kind, da sie mit den Vögelein um die Wette gesungen hatte und wie ein Häslein darin herumgesprungen war. Ich glaube, sie ist auch eine Frau Oberförsterin geworden. Soviel aber weiß ich gewiß, daß sie immer so hold und rein, der Sonnenstrahl des Hauses geblieben ist.
So, meine kleinen Freunde, nun ist die Geschichte vom Waldröschen zu Ende, und wenn sie euch gefallen hat, so will ich euch nächstens wieder eine erzählen. –
Für heute lebt wohl und seid ebenso artig wie die beiden kleinen Mädchen und habt euch ebenso lieb untereinander.
Der Weihnachtsabend
Weihnachten ist die schönste Zeit des ganzen Jahres, so denkt ihr lieben Kinder alle! –Und ihr habt auch recht, lange vorher werden wir daran erinnert, daß das Fest der Freuden naht. –Überall auf freien Plätzen und auch in den Straßen sind große und kleine Weihnachtsbäume aufgestellt, und wie herrlich sind die Schaufenster mit ihren prächtigen Puppen und schönen Spielwaren.
Neugierig seht ihr Kleinen auf, wenn eure liebe Mama mit Paketen beladen nach Hause kommt und damit in die Weihnachtsstube eilt, oder die geheimnisvollen Einkäufe sorgfältig in ihren großen Wäscheschrank verschließt. Wie schade, denkt ihr, wenn wir nur das Papier ein klein wenig auseinandermachen und sehen könnten, ob für uns etwas darin ist? –
Geduld, ihr kleinen Neugierigen! Es ist genug, wenn ihr wißt, daß ihr gütige Eltern habt, die von Herzen gern bemüht sind, euch zu erfreuen und zu überraschen.
Arbeite du nur fleißig an deinen Weihnachtsarbeiten, Trudchen oder Gretchen, oder wie du sonst heißt, damit du fertig wirst. Dadurch kannst du deinen lieben Eltern beweisen, daß du eine dankbare und fleißige Tochter bist. Auch deinem lieben Großmamachen und den Tanten, allen willst du ja zeigen, daß du ihrer freundlich gedacht und ihnen so ganz heimlich, ohne daß sie es merkten, kleine Wünsche abgelauscht hast. –Ich werde dir eine Weihnachtsgeschichte von einem kleinen, mitleidigen Mädchen erzählen, und dabei wird die Arbeit noch einmal so schnell gehen. So höre denn: »Ach, wie herrlich, daß nun in wenig Tagen Heiligabend ist!« Fröhlich tanzend und so jubelnd kam Klärchen nach Hause und in das Zimmer ihrer Mama. »Unterwegs sah ich so viele grüne Bäume, und die hellerleuchteten Schaufenster sind doch gar zu prächtig. Ich mußte stehen bleiben und sie mir erst ordentlich ansehen, darum bin ich auch etwas später gekommen. Sei nicht böse darüber, liebes Mamachen! Sieh, Weihnachten ist doch nur einmal im Jahr, und dazu ist es das schönste Fest, auf welches sich ein jeder schon lange vorher freut.«
»Jeder wohl nicht«, unterbrach die Mutter ihr fröhliches Töchterchen. »Wie viele arme Leute gibt es, die keine Weihnachtsfreude haben und hungern und frieren müssen, während in den Häusern der Reichen und Wohlhabenden Glanz und Freude herrscht.« –Bei diesen Worten war Klärchen plötzlich ganz ernst geworden; daß nicht alle zu Weihnachten froh sein konnten, daran hatte sie bis jetzt noch nicht ein einziges Mal gedacht. Aber dennoch hatte sie ein warmes Herz, und ganz traurig sagte sie nun: »Ach ja, mein Mütterchen, wie schlecht ist es von mir, daß ich immer nur an meine Freude denke. Bitte, sage mir, welche Armen ich erfreuen und welchem Kinde ich ein Bäumchen aufputzen könnte. Erlaube mir, daß ich es von meinem ersparten Gelde tun darf; bitte, liebes, einziges Mamachen, erlaube es mir!«
Die Mutter war eine edle, gute Natur, welche selbst viel Gutes in der Stille tat. Sie war sehr beglückt über das mitleidige Herz ihres Töchterchens und erteilte ihr gern die erbetene Erlaubnis. »Aber sieh dich nur selbst um, mein Kind, es wird dir noch größere Freude machen, wenn du selbst ein armes Kind oder sonst Bedürftige findest, die du erfreuen kannst. Es sind noch einige Tage bis Weihnachten, und wer Gutes tun will, der findet stets und überall Gelegenheit dazu.« Auch Kläre fand diese ungesucht und schon am anderen Tage. Als sie gegen Mittag von einem Besuch bei einer kleinen Freundin zurückkehrte, überlegte sie, daß sie doch auch für ihr altes, treues Mädchen eine Kleinigkeit kaufen könne. Vielleicht sollte sie eine hübsche Schürze, oder ein Andachtsbuch, was diese sich schon lange gewünscht hatte, wählen? Schnell griff sie dabei in die Tasche nach ihrem Portemonnaie, aber –o Schrecken! es war nicht zu finden! Ratlos und mit den Tränen kämpfend, stand sie eine Weile still. Was sollte sie tun? –Heute, wo die Straßen von Menschen überfüllt waren, würde sie es wohl schwerlich wiederfinden.
Als sie noch überlegte, ob sie vielleicht dennoch lieber umkehren sollte, bemerkte sie in kurzer Entfernung ein kleines Mädchen mit einem großen Korb am Arm, das schnell auf sie zugelaufen kam. »Ach, liebes Fräuleinchen,« rief das Kind schon von weitem, »Sie haben etwas verloren.« Dabei holte sie aus ihrem Korb ein Portemonnaie, Klärchens Portemonnaie, hervor. –»Ich sah, wie es Ihnen entfiel, und rief, aber Sie hörten es nicht. Ich konnte Ihnen nicht sogleich nacheilen, weil mir gerade eine Frau etwas von meinen Sachen abkaufte.« Mit diesen Worten legte sie den glücklichen Fund in Kläres Hand und wollte sich schnell wieder entfernen. Das kleine Mädchen aber, welches vor Freude über den wiedergefundenen Schatz bis jetzt ganz stumm dagestanden hatte, hielt sie zurück. »Laß dir doch erst danken und nimm dieses«, sagte sie, und dabei öffnete sie ihr Geldtäschchen und drückte der Kleinen ein Geldstück in die Hand. »Was hast du denn alles in dem großen Korb, der für dich viel zu schwer zu sein scheint?« –Mitleidig betrachtete sie dabei das dürftig gekleidete Kind, das bei der grimmigen Kälte in seinem dünnen Röckchen ganz blau gefroren war und gar jämmerlich aussah.
»Weihnachtssachen, Sterne und Papierblumen sind es, die ich verkaufe«, antwortete die Kleine. »Meine Mutter ist schon so lange krank und kann nur mühsam diese Sachen im Bett machen. Wir müßten in den Feiertagen hungern, wenn ich davon nichts los würde. Der liebe Gott wird mir gewiß noch Käufer schicken, bis zum Abend ist es ja noch lange Zeit.«
Bis zum Abend noch wollte die Arme so frierend und hungernd an den Ecken stehen? –Das war doch zu traurig. –Ja, viel Elend und Not gibt es wohl in der Welt, so dachte auch unsere Kläre. Nachdem sie das Kind noch nach ihrem Namen und nach ihrer Wohnung gefragt hatte, eilte sie von Mitleid beseelt nach Hause und sogleich zu ihrer Mutter. Die zu jeder Zeit hilfsbereite, gute Mama hörte mit größter Teilnahme von dem traurigen Geschick der Kleinen und ihrer Mutter und war sogleich bereit, sich noch heute nach der armen Familie zu erkundigen. Am Abend begab sich die Frau Rat, Kläres Mutter, in die Wohnung der Witwe, die auf einem engen Hof vier Treppen hoch in einem kleinen, niedrigen Dachstübchen wohnte. Welch elender Anblick bot sich hier dar! –Auf einem erbärmlichen Strohlager lag die Kranke in der kalten Stube mit den kahlen Wänden. Zwei Stühle, ein alter, wackliger Tisch, eine Ofenbank und ein Brett mit zerbrochenem Kochgeschirr, das war die ganze Einrichtung des düsteren Raumes.
Erstaunt richteten sich die Blicke der kranken Frau auf die eben eintretende, vornehme Dame. Diese näherte sich dem Bett und sagte freundlich: »Ich habe gehört, daß Sie schon lange krank und in Not sind, und ich bin gekommen, Sie zu trösten und Ihnen zu helfen.« Teilnehmend erkundigte sie sich nun nach den näheren Verhältnissen und erfuhr sie denn, daß der Mann, der ein fleißiger und geschickter Handwerker gewesen sei, die Familie zwar bescheiden, aber anständig ernährt habe. Aber seine lange Krankheit, sein Tod und sein Begräbnis hatten alle Ersparnisse aufgezehrt, und die Frau habe sich und ihr Kind dann mit ihrer Hände Arbeit ernähren müssen. Bald zwei Monate lag sie nun schon krank danieder und hatte gar nichts verdienen können, und alles Entbehrliche an Hausgeräten und Sachen hatte sie daher verkaufen müssen.
»Ach,« jammerte die Kranke, »ich wäre ja von allem Leid erlöst, wenn mich der liebe Gott zu sich nähme, aber was sollte aus meiner armen Käthe werden? Die ist erst zehn Jahr und muß schon über ihre Kräfte arbeiten. Das Kind ist so brav und gut. Mit Freuden ergreift sie jede Gelegenheit, wenn sie ein paar Groschen verdienen und mir eine Erleichterung schaffen kann.«
»Vertrauen Sie auf Gott, liebe Frau, der will, daß allen denen geholfen werde, die auf ihn ihre Hoffnung setzen. Der gute Vater aller Menschen wird auch Sie nicht verlassen«, so tröstete mit frommer Zuversicht die gute Frau Rat.
»Ich werde Ihnen, soviel ich vermag, beistehen, und ich finde wohl noch mitleidige Herzen, welche