Illustrierte Kindergeschichten. Louise Anklam
wollte, trat Käthe mit ihrem großen Korb am Arm ein. Diese sah nicht wenig verwundert aus, einen so feinen Gast in ihrem armseligen Stübchen zu finden.
»Nun, Kleine, hast du gute Geschäfte gemacht und alle deine Weihnachtssachen verkauft?« so redete die Dame das Kind an, indem sie seinen höflichen Gruß freundlich erwiderte.
»Ach, nein, ich bin nur sehr wenig los geworden; es sind so viele und schönere Sachen in den Weihnachtsbuden, darum wollte mir wohl niemand etwas abkaufen, so viel ich auch bat«, erwiderte Käthe traurig. »Wenn mir nicht ein hübsches, kleines Fräulein 50 Pfennig geschenkt hätte, dann könnte ich der armen, kranken Mutter auch morgen noch keine warme Stube machen, bevor ich fortgehe.«
»Das war mein Töchterchen, liebes Kind, das mir auch von dir erzählt hat. Meine Kläre will das Christkindchen bitten, daß es am heiligen Abend auch zu dir kommt und dir ein Bäumchen beschert. Komme nur alle Tage zu mir und hole für dich und deine Mutter etwas zum Mittagessen.«
Voll inniger Dankbarkeit küßte Käthe die Hand der Wohltäterin.
»Nun aber muß ich nach Hause eilen!« sagte die Frau Rat, und entzog sich schnell weiteren Dankesbezeigungen von Mutter und Tochter.
Sehr beglückt war Klärchen, als die Mutter sagte: »Dieses Kind hat dir wirklich der liebe Gott in den Weg geführt. Not und Armut sind da groß, und die kranke Frau hätte gewiß bald dem Elend erliegen müssen, wenn nicht, vielleicht noch zur rechten Zeit, Hilfe gekommen wäre! Ich werde nun für die Kranke sorgen, und du, mein Klärchen, denkst an eine Weihnachtsbescherung der Kleinen. Geh, und suche unter deinem Spielzeug und deinen Kleidungsstücken, und was du herausgefunden hast, das bringe mir zur Ansicht.« –Glückselig eilte Kläre fort und hatte bald eine Anzahl netter Sachen beisammen. Unter diesen ein Kleid und ein Mäntelchen, das ihr zu klein geworden war; das paßte gewiß der viel kleineren Käthe, und sie hüpfte damit seelenvergnügt zur Mama, die ihre Auswahl billigte. Nun fehlte aber noch ein Bäumchen, das wollte sie von ihrem ersparten Gelde besorgen. Sie fand auch am anderen Morgen bald eine recht niedliche Tanne, die sie mit bunten Lichten und Zuckerzeug schmücken wollte. Mit ihren Schätzen beladen, eilte sie nach Hause, als sie beim Vorbeigehen in einer Bude schöne, warme Schuhe erblickte. Ja, warme Schuhe und Handschuhe für die blau gefrorenen Hände müßte Käthe auch noch haben, dachte sie und zählte ihr Geld. Drei Mark waren es noch, die würden wohl daraufgehen. Das überlegte sie hin und her, näherte sich bald der Bude und kehrte auch wieder um. –Der Entschluß wurde ihr zu schwer! All ihr so lange erspartes Geld sollte sie opfern? Wenn sie noch dazu sparte, so könnte sie doch die schöne, große Puppe kaufen, welche sie neulich mit der Mutter an einem Schaufenster gesehen hatte. Der Weihnachtsmann brachte ihr diese sicher nicht. Sie wäre schon zu groß für eine Puppe, hatte damals die Mama gesagt. Aber ihr brachte doch das Christkindchen so viele reizende Sachen, und sie hatte alles und weit mehr, als sie brauchte, wahrend der armen Käthe das nötigste fehlte. Und –ihr gutes Herz siegte: schnell entschlossen trat sie an die Bude, kaufte Schuhe und Handschuhe, und gab ihr ganzes Geld hin. –Sagt, meine kleinen Freunde, war das nicht schön von unserer lieben Kläre? Immer hatte sie seither an die Puppe gedacht und nachgerechnet, wann sie wohl so viel beisammen haben könnte, um diese zu kaufen. Nun hatte sie tapfer auf ihren sehnlichsten Wunsch verzichtet und mit Freuden ihre Ersparnisse geopfert. –Einen fröhlichen Geber hat der Herr lieb, und er blickte auch mit Wohlgefallen auf das Opfer der kleinen Kläre und verzeichnete ihre gute Tat in dem großen Buch des Lebens. Was wir dem geringsten unserer Mitmenschen getan, das haben wir dem lieben Gott getan. Er will, daß wir uns alle wie Brüder und Schwestern untereinander helfen sollen, und nicht früh genug können wir das lernen. Nicht nur vom Überfluß, auch von wenigem müssen wir geben können.
»So, mein Herzensmütterchen, habe ich mich noch nie auf den heiligen Abend gefreut«, sagte Kläre. »Ich weiß nun, wie wahr der Spruch ist, den wir neulich in der Schule gelernt haben: ›Geben ist seliger denn nehmen‹.« –Gerührt streichelte und küßte die Mutter ihren Liebling und dankte Gott, daß das Samenkörnlein der Menschenliebe in dem Herzen ihres Kindes einen so fruchtbaren Boden gefunden hatte.
In dem Stäbchen der armen Witwe sah es heute am Christabend so ganz anders aus, als vor wenigen Tagen. Die gute Frau Rat hatte nicht nur für Speise und Feuerung gesorgt, sie hatte auch für die Kranke ein Bett, einen bequemen, altmodischen Stuhl, und was ihr irgend noch entbehrlich war, geschickt. Die fleißige Käthe hatte es so sauber und nett geputzt, daß das Stübchen einen ganz wohnlichen Eindruck machte. Die kranke Frau saß im Bett und las in einem Gesangbuch. Sie sah wohl noch sehr elend, aber lange nicht mehr so kummervoll aus.
Es dunkelte schon, als Käthe heimkehrte; sie hatte noch mit Gängen für die Nachbarsfrau ein paar Groschen verdient und freute sich, nun endlich zu Hause bei der Mutter zu sein.
»Ach, du liebes Mütterchen,« sagte sie, diese zärtlich begrüßend, »wie freue ich mich, daß du heute viel wohler und nicht mehr so traurig aussiehst. Wie gut ist doch die liebe Frau Rat, die so freundlich für uns gesorgt hat. Alle Tage bete ich auch für sie und das kleine Fräulein; hätte diese nicht bei ihren guten Eltern für uns gebeten, wie schlimm würde es heute um uns aussehen. Was hätte ich wohl für die eine Mark, die ich eingenommen habe, laufen können?«
»Ja, Gott segne sie und vergelte alles, was die edle Dame an uns getan hat. Die liebe Kleine ist der Weihnachtsengel, den hat uns Gott geschickt«, sagte die Mutter mit einem dankbaren Blick zum Himmel. »Der liebe Gott, der heute seinen Sohn für uns alle auf die Erde gesandt, hat sich auch unserer Not erbarmt. Nie dürfen wir vergessen, ihm dafür zu danken, und wir wollen nie wieder kleinmütig verzagen, wenn die Hilfe nicht gleich da ist. Vielleicht kommt nächstes Jahr auch das Christkindchen zu dir und brennt auch dir ein Bäumchen an.«
»Wenn du nur gesund wirst, mein Mütterchen, mehr wünsche ich gar nicht, geht es uns jetzt doch schon so gut«, entgegnete das an Not und Entbehrung gewöhnte Kind. »Als ich von meinen Gängen zurückkam, sah ich schon so viele Weihnachtsbäume brennen, daran habe ich mich schon genug freuen können.«
»Stille Nacht, heilige Nacht!« sangen auch hier im armseligen Stübchen mit dankerfülltem Herzen Mutter und Tochter so andächtig und feierlich, daß sie es nicht einmal hörten, wie die Tür geöffnet wurde. Klärchen mit einem Bäumchen in der Hand und ihr Mädchen, das einen großen Korb am Arm trug, traten leise ein.
Beide standen still an der Tür und lauschten gerührt dem feierlichen Gesang bis zu Ende. Dann trat Kläre freundlich zu Mutter und Tochter, reichte ihnen die Hand und fagte: »Das Christkindchen schickt mich her, hier zu bescheren; du, liebe Käthe, kennst mich ja schon; jetzt mußt du aber schnell so lange hinausgehen, bis ich fertig bin und dich rufe.« –Sprachlos vor freudigem Erstaunen entfernte sich Käthe. Daß für sie ein Bäumchen aufgeputzt werden sollte, konnte sie noch gar nicht begreifen.
Schnell rückte nun Kläre mit Hilfe des Mädchens den alten, wurmstichigen Tisch an das Bett, damit die Kranke auch an der Bescherung teilnehmen konnte. Dann holte sie ein weißes Tischtuch aus dem Korb, deckte es über den Tisch und stellte das Bäumchen in die Mitte. Darauf füllte sie zwei Teller mit Pfefferkuchen, Äpfeln und Nüssen, legte auf jeden Platz ein warmes Kleid von sich und der Mutter, und auf den der Kranken ein warmes Tuch, Schuhe und Strümpfe. Auch eine Flasche stärkenden Wein für diese und eine Christstolle fehlten nicht. Einen Mantel, eine Schürze, auch ein warmes Unterröckchen, die bewußten Schuhe und Handschuhe, Bücher, Federn und Spielsachen baute sie nun für Käthe auf. Inzwischen hatte das Mädchen schon das Bäumchen angesteckt, und jetzt konnte sie Käthe rufen. –Da gab es von beiden Seiten eine Freude und ein Glück, worüber sich die Engel im Himmel auch gefreut haben.
Die glückliche Käthe konnte noch gar nicht verstehen, daß ihr alle diese Herrlichkeiten gehören sollten. –Kläre war glücklich über das verklärte Gesicht der Kleinen; sie probierte ihr jedes Stück an, und alles paßte so gut, als wenn es für sie gemacht worden wäre. Mutter und Tochter vermochten nicht Worte zu finden, um das auszusprechen, was ihr dankbares Herz empfand.
»Gott segne Sie, Engel der Barmherzigkeit, und vergelte Ihnen und Ihren edlen, guten Eltern alles, was Sie mir und dem Kinde getan«, stammelte unter Tränen der Rührung die Kranke.
Überlassen wir nun