Die Todesstrafe I. Jacques Derrida

Die Todesstrafe I - Jacques  Derrida


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in Sicherheit gelebt, und sein Leben ist nicht mehr nur eine Gabe der Natur, sondern ein bedingtes Geschenk des Staates“++]: um nicht selbst das Opfer eines Meuchelmörders zu werden, ist man einverstanden zu sterben, wenn man einer wird.+++ Weit entfernt davon, über sein eigenes Leben zu verfügen, versucht man durch diesen Vertrag nur, es sicherzustellen, und es ist nicht anzunehmen, daß dabei einer der Vertragschließenden die Absicht hat, sich hängen zu lassen.35

      1. Erster Vorbehalt: Er macht aus der Todesstrafe [peine de mort] ein Verdikt, das sich dem Zivilrecht entzieht und de facto auf dem Kriegsrecht beruht, so als ob es im Zivilrecht für die Todesstrafe [peine capitale] keinen Platz gäbe. Kriegsrecht, weil der Missetäter, indem er das gesellschaftliche Recht bricht, zu einem Verräter am Vaterland wird; er ist kein Glied des Staates mehr und wird, Rousseaus Wortlaut gemäß, zu einem „Staatsfeind [ennemi public]“: „Denn solch ein Feind ist keine sittliche Person, er ist nur irgendein Mensch; und unter diesen Umständen ist es Kriegsrecht, den Besiegten zu töten.“36 Was nur eine bestimmte Art und Weise ist, die Todesstrafe aus dem internen zivilen Strafrecht zu verdrängen, man könnte sogar sagen, sie a priori aufzuheben, um sie nur als Kriegsrecht zuzulassen. Ein Gestus, der umso seltsamer [étrange] anmutet, als die Frage der „Außenpolitik [politique étrangère]“, insbesondere des Kriegsrechts, aus dem Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen ist beziehungsweise nur mittels Auslassung behandelt, auf später verschoben wird, in den letzten Absatz des Schlusses (sieben Zeilen über „diesen neuen, für meinen beschränkten Gesichtskreis zu ausgedehnten Gegenstand; stets hätte ich meinen Blick auf das mir Näherliegende richten sollen“37).

      2. Zweiter Vorbehalt: Rousseau trennt, er ist bereit – eine in der Tradition noch nie da gewesene Geste –, die Ausübung der Souveränität und die Ausführung der Verurteilung, jeglicher Verurteilung, voneinander zu trennen; er anerkennt, dass die Verurteilung eines Verbrechers nicht der allgemeine Akt des Souveräns ist, sondern ein partikulärer Akt; und er fügt, ziemlich verlegen hinzu:

      Aber, wird man einwenden, die Verurteilung eines Verbrechers ist ein einzelner Akt. Einverstanden; deshalb steht diese Verurteilung nicht dem Souverän zu; sie ist ein Recht, das er zwar übertragen, aber nicht selbst ausüben kann. Meine Vorstellungen hängen alle zusammen, aber ich kann sie nicht alle auf einmal vorbringen.38 [Kommentieren.39]

      3. Dritter Vorbehalt: Man kann den Schuldigen immer rehabilitieren oder bessern, die Idee der Strafe als Exempel ist ungerechtfertigt (womit sich Rousseau von vornherein der hartnäckigsten aller Argumentationen zugunsten der Todesstrafe entgegenstellt: ihrem exemplarischen Charakter, ihrer Wirkung durch das Exempel). Trotz dieses Einwands und dieses Vorbehalts erhält Rousseau das Prinzip der Todesstrafe im Falle einer im Prinzip unabwendbaren Gefahr aufrecht, was zum Beispiel des Staatsfeinds und des Kriegsrechts zurückführt. Er schreibt: „Es gibt keinen Bösewicht, den man nicht für irgend etwas tauglich machen könnte. Man hat nicht das Recht, jemand zu töten, nicht einmal zur Abschreckung [pour l’exemple], ausgenommen jemand, den man ohne Gefahr nicht erhalten kann.“40

      Der langen Liste derer, die die Todesstrafe für Mörder legitimieren, wie Gott es im Buch Exodus tut, könnte man, um in Frankreich zu bleiben, auch Diderot und Montesquieu hinzufügen (aber wir werden noch auf diese Geschichte zurückkommen), Diderot, der sagte (ich finde die Referenz nicht mehr, das wird wiederkommen): „Es ist natürlich, dass die Gesetze die Ermordung der Mörder angeordnet haben“44, oder Montesquieu, der, zurückhaltender und restriktiver in der Aufzählung der Fälle der Todesstrafe, in Vom Geist der Gesetze dennoch nicht für deren Abschaffung war, wie der große Beccaria, über den wir noch sprechen werden, der die Todesstrafe durch lebenslange Gefängnishaft ersetzen wollte und dem es gelang, Voltaire, Jefferson, Paine, La Fayette zu überzeugen, und selbst Robespierre, der, bevor er seine Meinung änderte, im Moment der Abfassung des Code pénal im Jahre 1791, und es gilt daran zu erinnern, erfolglos die Thesen zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe unterstützte. Später wird er die Hinrichtung Ludwigs XVI. fordern, den er als einen „Verbrecher gegen die Menschheit“45 beschreibt, ein Umschwung, den Thomas Paine für einen Verrat am Ideal der Abschaffung der Todesstrafe hält, das er zunächst mit Robespierre geteilt hatte. Allerdings ist der die Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe leitende Geist aus der Revolution nicht verschwunden, denn nach der Hinrichtung Robespierres hat der Konvent auf seiner letzten Sitzung beschlossen, ich zitiere: „Mit Datum des Tages der allgemeinen Verkündung des Friedens, wird die Todesstrafe in der Französischen Republik abgeschafft sein“ (4. Brumaire des Jahres VI).46 Es wird nötig gewesen sein, auf diesen „Tag“ und dieses „Datum“ zu warten [„Mit Datum des Tages der allgemeinen Verkündung des Friedens“], beinahe zweihundert Jahre lang, damit die Todesstrafe in Frankreich abgeschafft wird (September-Oktober 1981 – keine Hinrichtung mehr seit dem 17. September 197747). Zwei Jahrhunderte, das ist eine Unendlichkeit an Ewigkeiten, und das ist ein Bruchteil einer Sekunde in der Geschichte der Menschheit. Alles und nichts.

      Ich führe diese wenigen Beispiele nur an, um Ihnen eine erste begrenzte Vorstellung zu geben von der quälenden Komplexität dieser Geschichte,


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