Der Tatzelwurm. Ulrich Magin

Der Tatzelwurm - Ulrich Magin


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gezeichnet waren, und schier wie Silber glänzten. Wenn er Athem holete, so war es als wenn er seufzete und zuweilen erschütterte er die Flügel. Der Mann gieng aber zurück, so bald er ihn gesehen hatte. Zwey Tage hernach erfolgte ein Ungewitter mit Hagel.“

      Scheuchzer meinte, der Drache sei vielleicht ein Wetteranzeiger wie die Molche und Salamander. Das zeugt erneut davon, wie sehr der Schweizer Naturforscher versuchte, den Drachen der Alpen als reales Tier aufzufassen, von dem er sämtliche Eigenschaften „vernünftig“ erklären wollte, ohne auf Aberglauben zurückzugreifen.

      1707 und erneut im Mai 1716 sah der Bauer Caspar Gilg Drachen bei Bonstetten im Kanton Zürich. Er bezeugte dem Pfarrer Butschlin, sie seien „vier Schuhe lang [gewesen], mit vier Füssen, welche fast zwey Finger lang und breit, deren Halß ungefehr eines Arms dick und mit einem gelben Ring umgeben war. Das Thier war sonst schwarz, und hatte eine gelbe Crone auf dem Kopf.“62 Im Sommer 1717 stieß Joseph Scherer aus Nefels am Fuß des Glärnisch-Bergs, knappe zwei Kilometer von Glarus entfernt, auf ein Tier,

      „welches einen Katzen-Kopf, und in demselben hervorragende Augen hatte; es war einen Schuh lang, mit einem dicken Leib, hatte vier Füsse, und etwas wie Brüste an den Bauch herunterhangen; der Schwanz war auch einen Schuh lang; sonst war der ganze Leib schuppig und bunt gefärbet. Der man hat dasselbe mit einem spitzen Stock durchstochen, es soll ganz weich und voll giftigem Blut gewesen seyn, so daß ihm von einigen Tropfen das Bein so angeschwollen, daß er einen ganzen Monat lang damit zu thun hatte.“

      Die Gebeine wurden einem Herrn Tschudi übergeben, der Teile an Scheuchzer weitergab und ihm meldete, dass „auf der Alpenweyde Roßmair eine Art grosser Eidexen sich befinde“63.

      Zu diesen breit dargestellten Meldungen kommen viele weitere: Scheuchzer erwähnt eine Schlange, „welche A. 1680 zu Anfang des Frühlings von Bauren bey Lausanne ist gesehen worden, und so dick gewesen, als das dünnere und dickere Bein bey einem Menschen, auch, welches sehr ausserordentlich ist, Ohren gehabt hat“64, und einen Drachen bei Weinigen, nämlich „die vierfüssige Bestie […], welche vor einigen Jahren in Bittenloo im Wellenberg bey dem Dorff Weinigen, schön gefärbt, mit einem Katzenkopf und Busch, im übrigen aber schlangenförmig, auf dem Stamm eines alten umgefallenen Baums ist gesehen worden“65.

      Dass Scheuchzer durchaus nicht nur naiv kopierte, beweist ein letzter Bericht seines Buchs:

      „Der dritte [Drache] ist jezt noch am Leben, wenn die Erzehlung wahr ist, daß er unlängst zu Ostergau auf dem Blutten-Esel, ungefehr eine Stunde von Willisau, von vielen sey gesehen worden. Er soll zweyfüssig seyn, ungefehr einen halben Schuh dick, schuppicht, grünlichter Farbe, und mit einem dicken Kopf. Ich habe mir Mühe gegeben, die Sache gründlich zu erforschen, habe aber erfahren, daß das Gerücht ganz ungegründet gewesen; wovon ich also der Nachwelt habe berichten wollen.“66

      Wo möglich, versucht Scheuchzer, sich selbst ein Bild zu machen. Bekannt ist der Schweizer Naturforscher vor allem für seine paläontologischen Arbeiten. So veröffentlichte er mehrere Bücher mit lithografischen Abbildungen von Tier- und Pflanzenfossilien auf der Grundlage seiner umfangreichen Sammlung von Versteinerungen und Mineralien. In der Deutung war er ein Kind seiner Zeit, sah diese als Überreste der Sintflut und deutete so auch das Skelett eines ausgestorbenen Riesensalamanders fälschlicherweise als das eines in der Sintflut ertrunkenen Menschen. Es verwundert daher nicht, dass Scheuchzer als Belege für Drachen Funde von riesigen Gerippen in den Alpenhöhlen anführte. Eines sei nach Athanasius Kircher „auf dem Berg Staffelwand in einer tieffen Höle, in dem Jahr 1602. gefunden worden, nachdem der Drach durch einen von einem Erdbeben erregten Bergfall umgekommen“67, ein weiteres „Beingerüst ist an dem Pilatus-Berg, an der Unterwalder-Seite, aus einem Loch hervorgegraben worden, wie der Dr. Jacob von Sarnen, der es selbst gesehen, an Wagnern berichtet hat“68.

      Besagter Johann Jakob Wagner meldete eine Reihe weiterer Drachenreste:

      „In dem Jahr 1689. den 9. Julii, wurden mir einige ausgegrabene Drachen-Gebeine zugebracht, welche folgendergestalt beschaffen waren: 1) Der halbe Kiefer des Drachen mit einem sehr grossen Vorder-Zahn, seine Länge war 1 ½. viertel Ellen und einen halben Zoll, das Gewicht 7 ½. Unze. 2) Ein Vorder-Zahn besonders, […] seine Länge ist 1 ½. viertel Ellen, die Dicke ½. Viertel, das Gewicht 2. Unzen, 3. Drachmen; sie waren weiß und glänzend, wie die Pferde-Zähne. 3) und 4) Zwey Stock-Zähne, […] die Wurzel dieser Zähne ist gelb, die Crone aber weiß. 5) und 6) Zwey Klauen von den Füssen, welche stumpf und aschfarben waren, ein jeder wog 1. rachm. 7) Das Schenkel-Bein, gelblichter Farbe, seine Länge war 1 ½. Viertel einer Elle, es hatte aber die beyden End-Knochen nicht mehr, sein Gewicht war 2. Unzen, 3. Drachm.“

      Scheuchzer übernimmt Wagners Bericht, glaubte selbst aber, „daß diese Ueberbleibsel nicht von einem Drachen, sondern von einem Bären seyen“69. Ebenso berichtet er „vom dem 1728ten Jahr, in welchem in einer Höle eines sehr hohen Bergs, die Ober-Urner-Schwendi genannt, einige Knochen gefunden, und vor Ueberbleibsel eines Drachen ausgegeben worden, welche aber meines Urtheils nichts anders sind, als die Ueberbleibsel eines Bären“70.

      Trotz aller Skepsis gegenüber einzelnen Sichtungen und Funden hielt Scheuchzer die Existenz der Drachen für erwiesen. In seinem Buch verwendet er größte Mühe auf den Versuch, die Beinzahl des Drachen herauszufinden: Hat er vier, zwei oder gar keine Beine? Scheuchzer kam zu keinem sicheren Ergebnis und vermutete mehrere Spezies von Riesenreptilien in den Alpen:

      „Dessen ungeachtet halte ich davor, daß aus den angebrachten Schweizerischen Drachen-Exempeln und deren Vergleichung mit ausländischen, klar sey, daß es solche Thiere gebe, sie mögen nun eine besondre Art der Thieren ausmachen, oder, wie viele wollen Mißgebuhrten von Schlangen seyn; denn man siehet, daß nicht alle von einerley Art sind; einige sind geflügelt, andre ohne Füsse, welche zu den Schlangen gehören, und noch andre haben Füsse, welche man mit besserm Recht mit den Eidexen vergleicht. Sie sind auch an der Farbe, Schuppen, und der Figur der Theilen verschieden.“71

      Sie wurden selten gesehen, weil sie sich in Höhlen verbargen: „Ich habe oft bey mir gedacht, ob nicht die füßigen Drachen ohne Flügel vor eine Art von unterirdischen Eidexen könne gehalten werden, welche die meiste Lebenszeit in unterirdischen Grüfften, mit weniger Nahrung und vielleicht von blossem Erden-Saft lebend zubringen.“72

      Vom Tatzelwurm verfolgt: erste Meldungen aus Österreich

      Bislang haben wir vor allem die Ansichten der Gelehrten kennengelernt, nicht die der einfachen Leute, und die Meldungen stammten fast ausschließlich aus der Schweiz. Mitte des 18. Jahrhunderts meldet sich Österreich zu Wort, zunächst mit einer etwas fischigen Geschichte, dann mit einer der berühmtesten Darstellungen des Tatzelwurms. Dies ist auch der Zeitpunkt, an dem der Eigenname des Tatzelwurms zum ersten Mal auftaucht, denn anders als in der Schweiz gilt die beobachtete Spezies nicht mehr allgemein als „Drache“.

      Die erste Begegnung ergab sich bei einem frühen Rekordversuch, der aber gleich international Wellen schlug. So berichtete das britische „Gentleman’s Magazine“, eine damals monatlich in London erscheinende Zeitschrift, darüber. Am 22. Juli 1750 hatte sich nämlich ein Fischer in den Kopf gesetzt, in der Donau bei Linz in Oberösterreich zum tiefsten Punkt zu tauchen:

      „Als er nach einiger Zeit nicht wieder hochkam, warfen seine Kameraden ihre Netze nach ihm aus. Nach vielen vergeblichen Versuchen brachten sie letztlich doch seinen Körper nach oben, von dem ein Arm und ein Bein sich in einem verrotteten Baumstamm verfangen hatten. Als sie daran gingen, den Körper aus den Maschen zu lösen, um ihn ins Boot zu legen, erblickten ihre Augen eine Schlange von gewaltigen Ausmaßen, die sich an seine linke Brust geheftet hatte. Sie erschraken darüber so sehr, dass sie aufschrien; da ließ das Ungeheuer von seiner Beute und warf sich, nachdem es sie in furchterregender Weise angezischt hatte, in den Fluss zurück.“73

      Die zweite oben angesprochene Meldung betrifft die wohl berühmteste Darstellung des Tatzelwurms, nämlich auf einem Bildstock in Unken, einem Ort im Bundesland Salzburg, gleich an der Grenze zu Deutschland. Doch es gibt zwei Überlieferungen


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