Mörderklima. Stefan Schweizer

Mörderklima - Stefan Schweizer


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sind wir!“, meinte der Schwabe und deutete auf einen schlauchartigen Flur.

      Die Wohnung bestand aus zwei Zimmern und zwei Abzweigungen in Bad und Küche mit Esszimmer.

      Es schmerzte Georg, dass auch hier nichts, aber absolut nichts von Individualität zu spüren war. Austauschbare Möbel, das Ganze ohne Charme und jeglicher persönlichen Note. Frieda hatte offensichtlich keinen allzu großen individuellen Fußabdruck in ihrem Leben hinterlassen.

      „Das Arbeitszimmer interessiert mich besonders“, behauptete Georg, „da ich für meine Karriere viel zu Hause arbeite und schreibe. Da müssen das Ambiente und die Aussicht stimmen.“

      „Solche Mieter sind uns natürlich am liebsten“, kicherte der Schwabe. „Der Unfall ihrer Vormieterin ist schon bizarr“, fuhr er fort. „Das Fräulein Frieda war ja so eine liebenswerte Person. Äußerst solide und zuverlässig. Überwies die Miete immer pünktlich. Es ist wirklich ein Jammer. Sie machte keinen Lärm, empfing kaum Besuch und erledigte ihre Kehrwoche hervorragend. Sie wissen doch, dass Sie hier Kehrwoche machen müssen?“

      „Sauberkeit und Ordentlichkeit sind zwei meiner größten Tugenden“, goss Georg Wasser auf die Mühlen des Häusle-Besitzers.

      Auf dem weißen Schreibtisch lag ein in schwarz gebundenes Kalenderbuch, das beim Datum des 6. Oktober aufgeschlagen war – lediglich ein einziger Eintrag um 19 Uhr.

      Windforschungsanlage Bremerhaven.

      Nicht mehr und nicht weniger. Georg biss sich sanft auf die Unterlippe.

      „Die Eltern Ihrer Vormieterin wollen bald die Wohnung ausräumen lassen, also stören Sie sich bitte nicht an den Möbeln“, hakte der Vermieter nach, um die Sache unter Dach und Fach zu bringen. „Da sind Sie natürlich völlig frei. Ganz nach Lust und Laune. Wie Sie wollen.“

      Georg überlegte kurz, ob es irgendwie möglich sein würde, den Kalender einzustecken, spürte aber intuitiv die stechenden Blicke des Schwaben in seinem Rücken. Er gab sich weiterhin als interessierter Nachmieter, um die Wohnung nach Verdächtigem abzusuchen. Er fand aber nichts. Rein gar nichts. Beinahe war es so, als habe Frieda überhaupt nie gelebt.

      9.21. Oktober 2020, Bremerhaven

      In Bremerhaven herrschte im Gegensatz zu Stuttgart, wo sich die Luft häufig im Talkessel staute, ein energischer Wind, der Georg sprichwörtlich neues Leben einhauchte. Er stand unter dem sich behände drehenden Windrad, das Forschungszwecken diente und vom Forschungsverbund ClimateSave, der Forschungsverbünde und privatwirtschaftliche Akteure umfasste, betrieben wurde. Er fand es für moderne Zeiten vielsagend, dass Frieda ihr Büro und ihren Arbeitsplatz in Stuttgart hatte, sich das Versuchsfeld des Forschungsprojekts aber im hohen Norden befand. In solchen Momenten war er manchmal froh, dass er sich auf theoretische Forschung fokussierte, was keine Feldforschung erforderte. Seine Welt bestand aus Archiven, alten und neuen Büchern, zunehmend auch Texten aus dem Internet. Aber er musste nicht wie Frieda und die meisten anderen an den Universitäten oder in Forschungseinrichtungen arbeitenden Konsorten reisen, um die Forschungsobjekte live zu sehen.

      Erneut blickte er an dem gigantischen Windrad empor. Ohne Wolken am Firmament bemerkte er den Wind nur durch das Drehen des Rades und auf seiner Haut. Die Aussichtsplattform sah von unten gut gesichert aus. Es war ihm völlig unverständlich, wie hier ein Unfall hätte passieren sollen. Das warf eine Menge Fragen auf.

      - Was hatte Frieda am 6. Oktober hier gesucht?

      - Hatte sie sich mit jemandem getroffen?

      - Was war der Grund dafür, warum Frieda hier zu Tode gekommen war?

      Georg verlangsamte seine Atmung. Er versuchte sich zu konzentrieren und seine ganze Energie auf diesen Ort zu fokussieren. Obwohl er die Augen geschlossen hielt, war alles recht hell, da er direkt im Sonnenlicht stand. Doch plötzlich verdüsterte sich alles. Er spürte negative Schwingungen. Es lag eine Energie in der Luft, die nichts Gutes verhieß. Dann wurde es wieder hell. Dunkel. Hell und wieder dunkel.

      Inzwischen wurde ihm durch den drastischen Wechsel der Lichtverhältnisse beinahe schwindelig. Er öffnete wieder die Augen und blickte in den Himmel. Weit und breit war keine Wolke zu sehen. Es gab also keine natürliche Erklärung dafür, weshalb sich Dunkelheit und Helligkeit in seinem Inneren abwechselten. Er schloss daraus, dass an diesem Ort viele positive und negative Energien gespeichert waren. Wenn er es recht überlegte, konnte das auf Frieda durchaus zutreffen. Sie war eine Person, die sowohl über eine Menge an positiver als auch negativer Energien verfügt hatte. Er war sich aber nicht sicher, ob das die alleinige Erklärung für den rapiden Wechsel seiner inneren Befindlichkeiten war. Vielleicht war Frieda nicht alleine gewesen. Ihr Kalender hatte allerdings keinen Anhaltspunkt dafür gegeben und auch sonst waren keine Indizien für die Anwesenheit einer fremden Person existent. Das war also reine Spekulation.

      Georg blickte sich sorgfältig um. Nichts, nur Felder um ihn herum und in der Ferne einige Bäume. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Frieda an dem Unglücksabend beobachtet hatte, lag zwar nicht bei null, sie war aber doch recht gering. So etwas ging heute allerdings sehr schnell. Georg weigerte sich anzunehmen, dass Frieda den Freitod gewählt hatte, denn das entsprach ihr nicht. Allerdings konnten sich Menschen im Laufe der Zeit ändern. Ihr Besuch bei ihm hatte aber nicht den Eindruck geweckt, dass sie verzweifelt oder lebensmüde war. Zerrissen, zerfressen, von irgendetwas unbändig getrieben – ja, aber nicht bereit, das eigene Leben aufzugeben.

      Georg beschloss, dass er hinter dieses Thema einen Punkt setzen musste. Für ihn stand fest, dass er in Erwägung ziehen musste, dass jemand am Tag des Unglücks bei ihr gewesen war. Ob diese mögliche Person Frieda umgebracht hatte, konnte nur Spekulation bleiben. Aber Frieda war auf keinen Fall alleine hier gewesen. Georg stieg die wenigen Stahlnetztreppen hinauf, die zum Eingang des Windrads führten. Dabei musste er das rot-weiße Absperrband der Polizei nach oben drücken. Die an die runde Form des Turms angepasste Tür wies am Schloss keine auffälligen Merkmale auf. Also war es logisch, dass Frieda die Türe regulär mit dem ihr zur Verfügung stehenden Schlüssel geöffnet hatte. Er beugte sich zum Schloss herunter und schaute ganz genau hin. Nichts zu finden, nicht einmal bedeutungslose Kratzer.

      Enttäuscht kreuzte Georg die Hände hinter seinem Rücken, nachdem er die Polizeiabsperrung ein weiteres Mal überwunden hatte. Er blickte sich sorgfältig um und versuchte sich zu orientieren, aus welcher Richtung Frieda wohl gekommen war. Im Prinzip war jede Richtung denkbar. Er tippte aber, dass Frieda so nah wie möglich bei der Windkraftanlage geparkt hatte. Das entsprach ihrem Charakter, da sie zwar körperlich fit war, jedoch immer unnötige Anstrengungen vermieden hatte. Also setzte er sich in Bewegung. Der Kiesweg lag zwei Kilometer von der Windkraftanlage entfernt. Georg lief etwas parallel versetzt zu der Strecke, die er auf dem Hinweg genommen hatte. Aber auch dieses Mal schien er kein Glück zu haben. Weder war etwas auffällig noch verdächtig. Es musste doch einen Hinweis geben. Wenn er nur wüsste, wonach er suchen musste. Doch Fehlanzeige. Nichts. Kurz bevor er den Kiesweg erreichte, sah er zwei kleine rote Kreise auf dem Boden. Er bückte sich danach. Es handelte sich um zusammengeknüllte Schokoladenpapiere. Eine Sorte, die bevorzugt Kinder gerne aßen. Seine Stimmung besserte sich. Ein Lächeln umspielte sein Gesicht. Frieda würde diese Schokolade nie im Leben angefasst habe. Vorsichtig verstaute er die weggeworfenen Verpackungen in einer kleinen Plastiktüte und setzte seinen Rückweg fort.

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