Der Immun-Kompass. Imre Kusztrich
sind, werden Effekte erleben.
Davon abgesehen, schicken Präventionsmediziner ausgewählte Vitalstoffe immer mit Blick auf ein oder mehrere Zielorgane durch den Körper. Überwiegend sind es pflanzliche Bestandteile, die wir theoretisch mit einem Einkauf auf jedem gut sortierten Wochenmarkt erwerben können.
Ihre Befürworter sind optimistische, informierte, einfallsreiche Wissenschaftler. Jeder Entdeckung oder Bestätigung einer günstigen Wirkung folgt die naheliegende Frage: Was kann dieser Mikronährstoff noch?
Substanzen interagieren. Sie verstärken die Effekte anderer Stoffe und machen sie vielleicht überhaupt erst möglich. Das ist die vorrangige Rolle der essenziellen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Oder sie haben einen eher bremsenden Effekt, weshalb Chronobiologen es für richtig halten können, bestimmte Stoffe etwa acht Stunden voneinander zu distanzieren.
Ihre Eigenschaften sind jetzt besonders gefragt. Bereits am 12. März 2020 publizierte die angesehene Wissenschaftszeitschrift „The Lancet“ eine erste Analyse aus 191 Erkrankungen an dem COVID-19 und warnte: Patienten mit hohem Blutdruck, Diabetes und Herzerkrankung erleben das neue Coronavirus besonders schwer. 54 Menschen starben, und zwei Drittel hatten mindestens einen hohen Risikofaktor und nahmen ein oder mehrere Medikamente dagegen ein: 26 litten an Bluthochdruck, 17 hatten Diabetes, 13 waren wegen eines Herz-Kreislauf-Leidens in Behandlung und nur vier waren konkret lungenkrank.
Bald kristallisierte sich eine besonders stark durch den Sars-CoV-2 gefährdete Risikogruppe heraus: Menschen mit erheblichem Übergewicht. Dabei schien auch das Alter eine Rolle zu haben. Unter an COVID-19 Erkrankten mussten fettleibige Patientinnen und Patienten bis zu 65 Jahren mit höherer Wahrscheinlichkeit künstlich beatmet werden, und sie repräsentierten auch die Gruppe mit dem größten Sterberisiko. Nicht-Mediziner wunderten sich: Und danach sanken die bedrohlichen Faktoren? Keineswegs. Allerdings hatten stark Übergewichtige im weiteren Verlauf ihres Lebens bereits gravierende andere chronische Erkrankungen, die am Ende die negative Rolle von Sars-CoV-2 noch übertrafen und schließlich als führende Todesursache in Coronazeiten verzeichnet wurden.
Das wiederum belegt, dass Immunkräfte mit zunehmendem Alter immer mehr Schicksal spielen, häufig jedoch mit enttäuschendem Ausgang (Quelle: „Obesity Ups Odds for Severe COVID-19, But Age Matters“. Health Day. 05. August 2020).
Alle in diesem EBook genannten Substanzen müssen dem Organismus entweder unmittelbar mit der Nahrung zugeführt werden, das gilt ausnahmslos für Vitamine, oder unser Essen muss jene Substanzen erhalten, aus denen im Körper die dringend notwendigen Vitalstoffe, Aminosäuren, Hormone und Enzyme mit gewünschten biochemischen Wirkungen gebildet werden können. Das gelingt nur unter günstigen Bedingungen, für die wiederum andere Mikronährstoffe die Voraussetzung sein können.
Eine einleuchtende Videografik mit einer Streichholzreihe zur Unterbrechung einer Ansteckungskette durch das Sars-CoV-2 verdeutlichte die Realität eindrucksvoll. Nach Entzündung verbreitete sich das Feuer rasch von einem mit Phosphor bestückten Zündkopf zum nächsten … bis es an ein einziges Streichholz mit abgeknicktem Köpfchen ankam. Das Feuer setzte sich nicht fort. Sofort war die Entzündungskette unterbrochen.
Ähnliches ereignet sich im Immunsystem, sobald ein Mangel an kooperierenden und verstärkenden Substanzen aufgetreten ist.
Das gilt insgesamt für alle Organsysteme im menschlichen Körper. Sie beeinflussen sich untereinander. Fällt eine Funktionsgruppe aus, sind die anderen oder Teile davon nicht unberührt.
Der Organismus verlässt sich auf ein doppeltes Schutzsystem
Für unsere neun Organsysteme eine Rangliste ihrer Wichtigkeit zu erstellen, ist überflüssig. Das Überleben braucht jedes einzelne, vom Atmungssystem bis zur Fortpflanzung. Während ein gesunder Körper alle fünf Sekunden einen Atemzug tätigt, absolviert das Immunsystem der Krankheitsabwehr in jeder Millisekunde Abermillionen Prozesse der Erkennung, der Bewertung und der Bekämpfung.
Begabte Medizinprofessoren erklären ihren Studentinnen und Studenten, dass die Krankheitsabwehr auf einem Sicherheitssystem beruht, das „ich“ von „nicht-ich“ unterscheidet und dann jede Anstrengung unternimmt, um alles nicht-ich zu zerstören. Alle Eindringlinge und ebenso krankhaft veränderte oder sogar krebsige Zellen sind Ziele der Abwehrzellen.
Wie komplex dieser Verbund ist, wird erst nach und nach begriffen. Letztlich entscheidet die Qualität der weißen Blutkörperchen über die Immunkompetenz. Im Augenblick differenziert die Wissenschaft elf Arten von weißen Blutkörperchen, vor allem Fresszellen, T-Lymphozyten, B-Lymphozyten, und Killerzellen. Sie wiederum produzieren 53 verschiedene Eiweiße mit der Fähigkeit, zu informieren und zu steuern.
Ohne diese Mammutleistung wären wir schutzlos. Diese Armee ist lebenswichtig und schläft deshalb nicht. Im Gegenteil. Während wir uns nachts durch das Herunterfahren unserer Wachsamkeit in höherem Maße gefährden, gleicht die Körperpolizei unser Schwächen durch erhöhte Sensibilität aus. Menschen mit Asthma erleben im Schlaf jeden nervigen Reiz stärker. Die daraus resultierende Krankheitsabwehr kann unangenehmer als bei Tag werden, mit Fieber, Schwellung, Entzündung und auch Schmerz als Warnung. Aber es geht ums Überleben, nicht um Wohlbefinden.
Keine Apparategruppe von Organen kann unabhängig von den anderen agieren. Die Systeme werden mit Blut versorgt, von Nerven gesteuert, sie bedienen sich der Funktion von Drüsen und setzen Muskeln ein. Zwischen ihnen bestehen Wechselwirkungen und Überschneidungen, das gilt für Mehrfachfunktionen der Sinnesorgane ebenso wie für das Zentrallabor Leber.
Zweifellos unterliegt aus diesen Gründen auch das Prinzip der Verhinderung von Gewebeschädigungen durch Krankheitserreger in allen Bereichen den Prozessen der Alterung. Es handelt sich um die zeitbezogene Verschlechterung der die Lebensvorgänge betreffenden Funktionen, die für das Überleben notwendig sind.
Jeder Mensch möchte sie verlangsamen. In Bezug auf das Immunsystem wäre dies besonders ratsam.
Je später also in Ihrem Leben Sie sich das dazugehörige Wissen einholen und anwenden, umso dringlicher.
Es handelt sich um einen komplexen Verbund aus mehr als 50 Zellfamilien und Substanzen zum Schutz des Organismus vor Pathogenen auf zellularer Ebene. Seine Agenten reisen durch den Körper mit dem Auftrag, Krankheiten erregende Mikrolebewesen oder Stoffe in der Luft oder in soliden Stoffen mit der Absicht, uns Schaden zuzufügen, von den Organen fernzuhalten. Ziel ist es, solche Risikostoffe aus dem Körper zu schaffen oder zu töten. Einige sehr aggressive Prozesse bilden sich auch im Organismus selbst, zum Beispiel die Anhäufung von Zellschädigungen durch hochreaktive Moleküle, die als freie Sauerstoffradikale bezeichnet werden.
Beinahe drei Viertel der aktiven Immunzellen üben ihre Funktionen im Darmtrakt aus.
Der Organismus verlässt sich auf ein doppeltes Schutzsystem.
Das erste entwickelt sich bereits während der Schwangerschaft im Mutterleib und gilt deshalb als angeboren Anpassung. Hinzu kommt eine raffinierte bakteriologische Ausstattung bei einer Entbindung durch den Geburtskanal. Die Natur sieht vor, dass mit dem Kopf, der dicksten Stelle des Neugeborenen, durch die Darmwände aus der Mutter Stuhl herausgequetscht wird und das Baby dieses-Darm-Mikrobiom mitnimmt.
Dieser natürliche Schutz entfällt beim Kaiserschnitt. In einigen Kliniken werden zuvor Kolibakterien der Mutter besorgt, um das Neugeborene sofort nach der Geburt damit zu versorgen.
Die Erstausstattung des Immunsystems reagiert grundsätzlich auf alles Fremde, innerhalb von Minuten, und unser Leben lang gleich auf dieselbe, von den Erbinformationen festgelegte Weise. Wir können sie nicht verändern. Sie wird jedoch durch unseren Lebensstil gestärkt, etwa durch Bewegung und klug gewählte Mikronährstoffe, oder geschwächt, zum Beispiel durch Dauerbeschäftigung mit Umweltgiften.
Eine wichtige Funktion haben intelligente Barrieren wie die mehrlagigen Zellschichten zur Bedeckung aller inneren Körperoberflächen und der Haut. Ihre Zellen sind durch eine Art chemisch-physikalischen Reißverschluss widerstandsfähig miteinander verbunden und lassen nur ausgewählte solide Stoffe