Der Immun-Kompass. Imre Kusztrich

Der Immun-Kompass - Imre Kusztrich


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Augen produzieren eine Flüssigkeit mit Enzymen zur Bekämpfung von Kleinstorganismen.

      In den Atemwegen wegen Pathogene durch Schleimgebunden.

      In der Mundhöhle hat Speichel eine große Rolle.

      Oberflächenbeläge können Materialien aufnehmen., zum Beispiel die Schleimhäute im Darm.

      Die Magensäure enthält Salzsäure und zerstört gemeinsam mit Enzymen die Mehrzahl von Bakterien.

      Im Darm entscheidet die Zusammensetzung der Bakterien des Darm-Mikrobioms fast alles. Eine direkte Verbindung zum Lymphsystem besteht ebenfalls.

      Die Netzhaut des Auges, die Haarzellen innerhalb des Ohres, die Riechschleimhaut und unsere Geschmackszellen der Zunge – sie alle sind mit eigenen Beiträgen an der Krankheitsabwehr beteiligt.

      Schließlich ist der Verdauungstrakt wie auch der Harntrakt ein essenzielles Abtransportsystem der Krankheitsabwehr.

      Ähnliche Aufgaben der Beförderung übernehmen auch die Nierenkanälchen und die Gallenkanäle. Für die Funktion der Entsorgung sind auch zusätzliche Flimmerhärchen zu nennen, beispielsweise in der Luftröhre, die mit einem kräftigen Schlag fremde Partikel aus dem Körper entfernen können.

      Im Verbund mit einer Drüse produzieren die Deckschichten Sekrete wie Speichel und Schweiß. Einschichtige Lagen ermöglichen einen Austausch von Gasen wie zum Beispiel die Bläschen der Lunge.

      Die besondere Schutzfunktion der Innenauskleidung der großen Blutgefäße steht seit 50 Jahren im Zentrum heftiger Diskussionen über ihre Rolle im Verhindern oder Verursachen von Herz-Kreislauf-Gefäßerkrankungen.

      Weitere etwa 40 spezielle Molekülgruppen stehen in den Körperflüssigkeiten Blut und Lymphe und an den Oberflächen der Zellen zur Bekämpfung jeden in den Körper eindringenden Feindes zur Verfügung. Es sind chemisch wirkende Substanzen mit zahllosen Fähigkeiten, zum Beispiel andere Stoffe aufzuspalten. Das genügt vielleicht schon, um Erreger zu töten. Aktiviert werden diese körpereigenen Enzyme durch jede Anwesenheit eines Pathogens auf verschiedene Weisen. Einige Immunhelfer steuert die Leber bei.

      Falls diese ersten Maßnahmen nicht ausreichen, rufen diese Abwehrkämpfer ihre Kollegen von der Entzündungspolizei zum Tatort. Vitale entzündlichen Reaktionen gegen Auslöser von Krankheiten sind besonders typisch für das angeborene Immunsystem. Ihr idealer Einsatz ist aktuell und zeitlich befristet. Sichtbare Symptome sind die Rötung der Haut, Schmerz, Schwellung, Wärme und eingeschränkte Funktionen. Auch Fieber, Herzrasen und das vermehrte Erscheine von weißen Blutkörperchen und weiterer Eiweiße im Blut sind ebenfalls diagnostisch messbare Veränderungen.

      Mehr als ein halbes Dutzend verschiedener Zelltypen sind als Kämpfer für unsere Gesundheit mit der Waffe Entzündung in den Lymphbahnen, im Blut und in Geweben unterwegs.

      Neben dem fast stur und automatisch agierenden angeborenen Abwehrsystem entwickelt der einzelne Körper eine individuell ausgestaltete Anpassungsfähigkeit an neue, veränderte oder bisher unbekannte Krankheitserreger. Diese zweite Immunabwehr arbeitet mit der Körperpolizei der ersten Stunde zusammen und ergänzt sie durch spezielle Fähigkeiten.

      Eine zentrale Aufgabe unter allen Substanzen üben dabei spezielle weiße Körperchen im Blutstrom aus. Sie werden B-Zellen und T-Zellen genannt, wissenschaftlich B-Lymphozyten und T-Lymphozyten.

      Beinahe die Hälfte der Immunzellgruppen können im Gefahrenfall die Blutbahnen und das Lymphsystem verlassen und sich auch in den Geweben aufhalten. Sie können durch Aufnahme und Verdauung Erreger selbst vernichten.

      Das B steht für Bone, im Englischen Knochen, da sie im Knochenmark entstehen und dort auf ihren Einsatz über das Lymphsystem warten. Das T steht für Thymus.

      Auch weiße Zellen, aus denen später T-Zellen werden, entstehen ursprünglich innerhalb der Wirbelsäule. Sie wandern jedoch in die Thymusdrüse hinter dem Brustbein, die auch als das Gehirn der Krankheitsabwehr bezeichnet wird. In dieser Drüse werden diese weißen Blutkörperchen der Kategorie Lymphozyten für ihre Fähigkeit, Fremdstoffe zu erkennen, verändert.

      Dabei erhalten die jetzt als T-Lymphozyten eingestuften Zellen an ihrer Oberfläche eine Andockstelle, einen Rezeptor. Durch Kontakt gibt sich daran ein möglicherweise gefährlicher Stoff zu erkennen. Diese Gruppe der Störer wird als Antigene bezeichnet. Es ist beispielsweise ein Virus oder auch der Abfallrest eines von der Körperabwehr vernichteten Eiweißmoleküls, beispielsweise von einer geschädigten Zelle im Begriff, zu einer Krebszelle zu mutieren. Auf Grund einer Alarmsituation durch die T-Zellen werden Eiweiße gebildet, die in der Lage sind, Antigene zu killen oder zu zerstören. Diese Kämpfer im Dienst des Immunsystems heißen Antikörper.

      In dieser Rolle ist die Thymusdrüse in den ersten Lebensjahren wesentlich am weiteren Aufbau des Immunsystems beteiligt.

      Das Ergebnis einer Studie aus der chinesischen Stadt Wuhan belegte im Juni 2020: Patienten mit einer geringen Zahl dieser bestimmten T-Zellen haben das wesentlich größere Risiko, schwere Erkrankungen wie eine Lungenentzündung oder eine zu starke Blutgerinnung zu entwickeln (Quelle: „EBioMedicine“).

      Diese spezielle Form von Killerzellen agiert im Idealfall optimal mit der größten Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die sich tatsächlich in der Blutbahn befinden. Durch Erreger oder Fremdkörper oder zerstörte Körperzellen werden sie – neutrophile Granulozyten genannt – in die bedrohten Gewebe gelockt, wo sie als Fresszellen – Phagozyten genannt - tätig werden.

      Im Idealfall funktioniert das optimal. Bei bestimmten Erkrankungen ist die Anzahl der „Neutros“ jedoch so sehr erhöht, dass sie die Menge an total wichtigen T-Zellen verringern oder deren Potenziale unterdrücken. Das muss vermieden werden. Denn danach haben es Viren und andere Pathogene leichter, ihren Weg der Zerstörung fortzusetzen.

      Ein gefährliches Übergewicht an neutrophilen Granulozyten wird beispielsweise bei Herzinfarkt, Übersäuerung des Körpers, Schilddrüsenüberfunktion oder bei Chemotherapie ermittelt.

      Auch altersbedingt, bei schwerem Übergewicht und unter Medikamenten zur Abwehrunterdrückung nach einer Transplantation sinkt die Zahl der T-Zellen.

      Spätestens im Verlauf des vierten COVID-19-Monats 2020 wurde erkannt, dass Übergewichtige eine Gruppe mit den höchsten SarsCoV-2-Risiken bilden, unabhängig von ihrem Alter. Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Infektionsverlaufs mit hohem Body Mass-Index ab 30 war vergleichbar mit einem stark geschwächten Immunsystem oder einer chronischen Erkrankung der Lunge oder der Nieren. Das setzt in den U.S.A. etwa 40 Prozent der Bevölkerung einer erhöhten Gefahr aus.

      In einer britischen Studie, die auf 17 Millionen Bürgerinnen und Bürger blickte, stellte sich heraus, dass die Sterblichkeit bei COVID-19 bei schwerem Übergewicht etwa doppelt so groß war wie bei Menschen mit Normalgewicht. Die Bedrohung stieg mit höherem BMI immer weiter an.

      Ähnliche Zusammenhänge wurden bei Grippeepidemien in den 1950er und 1960er Jahren und in der H1N1-Pandemie 2009 ermittelt.

      Erst waren reine körperliche Atembeschwerden bei schwerem Bauch als Ursache vermutet worden. Inzwischen stehen Fettzellen im Blickpunkt. Sie produzieren und sie regulieren Hormone, sie vermehren Eiweiße mit der Eigenschaft, Blut zu verklumpen, und sie reduzieren ein Hormon, das Lungengewebe vor Entzündungen schützt. Schon der letzte Punkt könnte erklären, warum bei Übergewichtigen die Lunge versagt. Blutklumpen können Herzattacken, Schlaganfälle und Lungenprobleme verursachen – alles Probleme, die sich bei Patientinnen und Patienten mit COVID-19 häufen.

      Außerdem weisen Menschen mit Übergewicht mehr Andockstellen der Kategorie ACE2 für das Virus Sars-CoV-2 auf, und zwar noch mehr als Lungengewebe. Es sind offene Tore für das Eindringen eines Virus und der Start seiner unkontrollierbaren Vermehrung. Es könnte schlicht bedeuten, dass Übergewichtige mehr Viren in sich tragen, mit denen das Immunsystem fertig werden muss (Quelle: „Why Does Obesity Increase Your COVID Risk?“ WebMD. 20. Juli 2020).

      Mediziner aus Wuhan, Virologen an der Uniklinik Essen und Wissenschaftler der Gesellschaft für Virologie,


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