Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath

Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen - Annerose Matz-Donath


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verboten, selbst in die Küche zu gehen. Die Milch wurde nun gebracht und vor der Türe der Mütterzelle abgestellt. Auch der letzte bescheidene Kontakt zu anderen Kameradinnen war den Müttern damit genommen. Nun waren sie völlig von allen abgeschnitten – in der Isolierung noch einmal isoliert! Darunter litten alle:

       „Es war zwar immer beim Milchholen Polizei dabei gewesen, aber immerhin – doch immer mal ein paar Schritte heraus aus der Enge und ein paar andere Gesichter sehen. Nun waren wir in der Mütterstube ganz eingesperrt!“

      Kamen sie überhaupt je aus ihrem Raum heraus, etwa zum Rundgang auf den Hof, an die freie Luft, mit oder ohne Kinder? Margot Schlieker kann sich beim besten Willen heute daran nicht mehr erinnern. Die quälenden Eindrücke jener Zeit sind zu übermächtig geblieben – vor allem die Sorge um die Ernährung der Kinder:

       „Zu der verdünnten Milch gab es immer einen Brei, einen grauen Brei. Süßlich war er, wahrscheinlich aus Hirse oder gemahlenem Reis. Obst oder mal Gemüse, eine Möhre vielleicht – nein, das gab es überhaupt nicht. Von Mohrrübensaft oder irgendwelchen Saftgetränken für Kinder oder Mütter haben wir nicht einmal geträumt! Was wir hatten? Irgendwelches miese Trockengemüse, Kartoffelschalen praktisch – und Wasser.“

      Soweit man weiß, haben alle Kinder diese Mangelernährung überlebt. Ob sie Spätschäden – und wenn, dann welche – verursacht hat, hat niemals jemand zu erforschen versucht. Von einem „beth-lehemitischen Kindermord“ mit modernen Mitteln ist also nicht zu berichten. Doch auch der übliche „Hohenecker Kinderraub“ schlug Müttern und Kindern tiefe Wunden. Zum ersten Male fand er in besonders perfider Form im April 1950 statt. Das jüngste Kind war, als es der Mutter entrissen wurde, gerade sechs Wochen alt. Auch die Säuglinge und kleinen Kinder, die in Sachsenhausen geboren und im Januar des Jahres mit ihren Müttern nach Hoheneck gekommen waren, gingen mit auf diesen Transport. Später, vor allem nach 1950, wurden die Gepflogenheiten etwas milder. Schwangere SMTerinnen konnten nach Lage der Dinge allerdings nun kaum noch davon profitieren.

       „Ja, die Mütterstube …! Das war ein einziges Elend! Bis sie uns die Kinder überhaupt weggenommen haben! Da hatten sie uns alle in die Ambulanz geholt – zu einer Untersuchung oder irgend so einer Sache. Und als wir zurückkamen, waren die Bettchen alle leer …

       Danach haben wir nichts gehört vier Jahre lang! Gar nichts gehört! Erst kurz vor der Entlassung im Januar 1954 – einige schon ein halbes Jahr vorher – haben manche – nicht alle! – Bescheid gekriegt, dass die Kinder in Leipzig im Heim sind. Und es gab ein Foto. Aber wir waren drei, wir haben nichts gekriegt, kein Bild, rein gar nichts. Man wußte überhaupt nicht, ob man nach den Jahren sein Kind noch erkennen würde! Sie hatten es uns doch weggenommen, als es noch in den Windeln lag!

      Ich weiß es noch genau, wir waren fast die letzten von denen, die in der Mütterstube gewesen waren. Da hieß es, es wird ein Sammeltransport gemacht, nach Leipzig, wo das Kinderheim war. So sind wir mit der grünen Minna dahin gebracht worden, um die Kinder von da gleich mitzunehmen.

       Wir sind dann mit den Kindern nach Leipzig zum Bahnhof gebracht worden. Die eine Frau – so eine Schwarzhaarige war sie, aber ich will ihren Namen nicht nennen, es war eine Kriminelle, keine von uns – die hat dort ihren Jungen einfach stehen lassen!

       Ich sehe den Jungen noch vor mir… Sie war keine böse Frau – nein, das war sie eigentlich nicht. Vielleicht war sie so verzweifelt – selber gerade aus der Haft, ohne Geld und ohne Bleibe – und nun noch das Kind. Da hat sie vielleicht Angst gekriegt vor der Verantwortung? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist der Zug ab … wir waren alle zusammen in einem Abteil. Der Zug ist abgefahren. Und das Kind stand am Bahnsteig. Es hat so auf eine Art geschielt. Sie kam nicht mehr ins Abteil zurück. Und das Kind stand da. … – Die waren alle egal angezogen, die Kinder.“

      Auch Rabenmütter in Hoheneck also? Wer sich, wie die „Politischen“, jahrelang nach seinem Kind verzehrt hatte, hätte es um keinen Preis wieder hergegeben wollen. Aber Hoheneck war nicht nur berüchtigtes Zuchthaus für politisch Verfolgte. Seit den frühen 50er Jahren und später immer häufiger wurden auch Kriminelle dort eingeliefert – zur Plage und oft sogar handgreiflich-handfesten physischen Pein der politisch verurteilten Frauen.

      Seit 1951 gab es überhaupt keine schwangeren SMTerinnen mehr. Nur noch Kriminelle kamen jetzt in Hoheneck in die Mütterstube, die diesen Namen inzwischen – fast! – verdiente. So erinnert sich Gisela Britten. Sie war im Krankenbau von Hoheneck lange als Schwester eingesetzt.

       „Ich habe mal nachgerechnet, ungefähr sechzig Geburten habe ich mitgemacht, darunter ein Großteil Kriminelle, die ja nach Hoheneck oft nur zur Entbindung kamen, dablieben, bis sie abgestillt hatten, und dann kamen sie wieder weg. Aber da waren Leute dabei …!

       Wir haben die Kinder ungefähr bis zum vierten, fünften Monat behalten. Manche sogar länger, einige konnten schon laufen. Wir hatten immer so fünf, sechs, manchmal auch sieben in den Betten. Die Kinder kriegten alles, was nötig war. Die Oberrätin hat sich sehr eingesetzt für die Kinder …

       Diese Oberrätin war eine kräftige, stramme Person, ihre dunkelblaue Uniform war stets auffallend gepflegt. Sie verhielt sich immer sehr distanziert und kühl. Doch sie blieb immer korrekt. Für die Kinder hat sie sich also sehr eingesetzt. Von Hoheneck kamen die dann nach Meusdorf und anschließend nach Leipzig. Sie waren gesund und munter, wenn sie weggingen von uns. Den Kindern hat nichts gefehlt. Wir haben sie betreut, gefüttert und so.“

      Das waren ja nun auch nicht mehr die „Verbrecherkinder“ der hart verfemten SMTerinnen, die weit unter jeder Schwerkriminellen rangierten – nach dem Motto: „Jeder Mörder ist uns lieber als Sie!“

      Doch auch in der Schilderung dieser scheinbar inzwischen so freundlichen Baby-Welt verbirgt sich kalte Unmenschlichkeit: Die Mütter, die ihre Kinder im Hause ganz nahe wußten, waren und blieben streng von ihnen getrennt. Nur wer stillen konnte, sah sie wenige Monate lang dabei für wenige Minuten am Tag. Die Freude, die kleinen Wesen zu betreuen, ihre Körperchen zu streicheln, das erste Lallen zu hören und sie zum ersten Male lächeln zu sehen, blieb den fremden Frauen vorbehalten, denen die Anstaltsleitung die Pflege der Kleinen anvertraut hatte.

      Auch wegen krimineller Delikte Bestrafte waren und blieben ihren Familien, ihren Kindern natürlich oft liebevoll verbunden. Kriminelle Personen waren aber auch für jede Überraschung gut, wie nicht nur Gisela Britten erfahren mußte:

       „Eine von diesen Kriminellen hat es dann fertiggebracht, als sie entlassen wurde, mit ihrem Sohn, den ich betreut hatte, zu meinen Eltern zu gehen. Da hat sie dann abgesahnt – aber wie! Sie hat erzählt, sie wäre mit mir sehr befreundet und ich hätte ihren Sohn so gut betreut. Das stimmte ja. Aber das habe ich ja nicht ihr zuliebe getan. Sie hat meine Eltern regelrecht ausgenommen und ist auch noch zu den Eltern von zwei anderen SMT-Kameradinnen gegangen, die sie aus Hoheneck kannte.“

      Noch heute wundert sich Margot Schlieker leise, wenn sie an das Wiedersehen in Leipzig denkt, dass die Kinder freiwillig mit diesen unbekannten Frauen, die ihre Mütter ja für sie geworden waren, einfach mitgegangen sind:

      „Wir waren doch völlig Fremde für sie! Aber es lag wohl daran, dass es da im Heim sehr, sehr streng gewesen sein muß. Ja, furchtbar eingeschüchtert ist er brav mit mir mitgegangen. Weil er sich gar nicht getraut hat … Er hat kein einziges Wort gesprochen. Ordentlich angezogen waren sie ja – für die damalige Zeit. Alle hatten einen dunkelblauen Trainingsanzug an, einen Schal, eine blau-rote Mütze dazu. Denn es war ja Januar, als wir sie holten.

       Mein Junge hat sich lange kaum zu weinen gewagt. Wenn etwas war, dann hat er nur so ganz, ganz leise geweint und immer die Hand vor dem Mund. Die durften wahrscheinlich dort nicht weinen oder schreien und nur ganz leise sprechen. Es hat lange, ach, ich weiß gar nicht mehr, wie lange gedauert, noch ewig, bis er sich wie ein normales Kind benahm. Das war dann wohl endlich, als er so sechs war. Und vier war er, als ich ihn wiederbekam … immerhin zwei Jahre, bis er das Schlimmste überwunden und vergessen hatte.“


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