Mann werden – Mann sein. Josef van Scharell

Mann werden – Mann sein - Josef van Scharell


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trüb und klar,

      Hänschen in der Fremde war.

      Da besinnt sich das Kind,

      ziehet heim geschwind.

      Doch, nun ist’s kein Hänschen mehr,

      nein, ein großer Hans ist er;

      schwarz gebrannt Stirn und Hand.

      Wird er wohl erkannt?

      Eins, zwei, drei geh’n vorbei,

      wissen nicht, wer das wohl sei.

      Schwester spricht: Welch’ Gesicht!

      Kennt den Bruder nicht.

      Kommt daher die Mutter sein,

      schaut ihm kaum ins Aug hinein,

      ruft sie schon: Hans! Mein Sohn!

      Grüß dich Gott, mein Sohn!

      Beim ersten Hinsehen könnte man meinen, dass der Text der Originalfassung ein Aufruf zum Mannwerden ist, zur freien Selbstverwirklichung des Mannes, der seine Wildheit leben kann und darf. Die Loslösung vom Elternhaus und von der Mutter wird hier thematisiert. Es ist die Welt des Biedermeiers, die dem Lied als Grundlage dient. Auffallend ist, dass es darin keinen Vater gibt. Familie und Haus sind der Ort der Mutter und Schwester. Junge Männer dürfen zwar eine Zeitlang in der Wildheit der Welt leben. Sie dürfen sich »ihre Hörner abstoßen«, sollen sich dann aber in die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft einfinden. Sie sollen eine Zeit der Loslösung durchmachen und dann den ihnen zugewiesenen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Noch ist in dieser Gesellschaftsform der Mann Oberhaupt der Familie. Die Erziehung des Jungen zum Mann liegt aber schon zu großen Teilen in den Händen der Frauen.

      Zum Ende des 19. Jahrhundert macht das Lied eine Veränderung durch. Nun ist nicht mehr die Rede davon, dass der Junge sieben Jahre in der Welt umherzieht, um dann als Mann zurückzukehren. Jetzt geht er gar nicht mehr weg, sondern bleibt nach kurzem Versuch, sich zu lösen, unter dem emotionalen Druck der Mutter (»Aber Mutter weinet sehr«) zu Hause. Es ist das Bild des Jünglingsgeliebten, auf das später noch genauer eingegangen wird. Eine Initiation zum Mann wird hier von der Mutter verhindert.

      In beiden Textvarianten fällt aber auf, dass hier ein Prozess zwischen Mutter und Sohn beschrieben wird. Der Vater taucht nicht auf. Mit dem Beginn der bürgerlichen Gesellschaft war die Mutter die vorherrschende Kraft bei der Erziehung der Kinder. Mag diese Entwicklung am Anfang noch für die eher begüterten Familien gegolten haben, so setzt sich dieses Denken immer weiter durch. Es wird zum Ideal der Gesellschaftsordnung in Europa. Mit dem Beginn der Industrialisierung wird dieser Prozess dann von der Mutter an die »Fabrik« übertragen: Männer gehen hier zur Arbeit. »Die Fabrik« nährt den Mann, erwartet aber als Gegenleistung Unterwerfung. »Die Fabrik« weint nicht mehr, sondern bestraft durch Verweigerung der notwendigen Nahrung. Es ist eine der großen Entfremdungen, die die moderne Industriegesellschaft mit sich gebracht hat. Mit ihr begann die große Krise der Männer. Der Vater und sein Segen werden immer seltener und sind für ein Genährtwerden – im körperlichen wie im psychischen Bereich – nicht mehr so entscheidend.

      »Darauf rief Jakob seine Söhne und sprach: Versammelt euch, dann sage ich euch an, was euch begegnet in künftigen Tagen. Kommt zusammen, ihr Söhne Jakobs, und hört, auf Israel hört, auf euren Vater! Ruben, mein Erster, du meine Stärke, meiner Zeugungskraft Erstling, übermütig an Stolz, übermütig an Kraft, brodelnd wie Wasser. Der Erste sollst du nicht bleiben. Du bestiegst ja das Bett deines Vaters; geschändet hast du damals mein Lager. Simeon und Levi, die Brüder, Werkzeuge der Gewalt sind ihre Messer. Zu ihrem Kreis mag ich nicht gehören, mit ihrer Rotte vereinige sich nicht mein Herz. Denn in ihrem Zorn brachten sie Männer um, mutwillig lähmten sie Stiere. Verflucht ihr Zorn, da er so heftig, verflucht ihr Grimm, da er so roh. Ich teile sie unter Jakob auf, ich zerstreue sie unter Israel. Juda, dir jubeln die Brüder zu, deine Hand hast du am Genick deiner Feinde. Deines Vaters Söhne fallen vor dir nieder. Ein junger Löwe ist Juda. Vom Raub, mein Sohn, wurdest du groß. Er kauert, liegt da wie ein Löwe, wie eine Löwin. Wer wagt, sie zu scheuchen? Nie weicht von Juda das Zepter, der Herrscherstab von seinen Füßen, bis der kommt, dem er gehört, dem der Gehorsam der Völker gebührt. Er bindet am Weinstock sein Reittier fest, seinen Esel am Rebstock. Er wäscht in Wein sein Kleid, in Traubenblut sein Gewand. Feurig von Wein funkeln die Augen, seine Zähne sind weißer als Milch. Sebulon wohnt nahe dem Strand, am Gestade der Schiffe, mit seinem Rücken nach Sidon hin. Issachar ist ein knochiger Esel, lagernd in seinem Pferch. Er sieht, wie die Ruhe so schön ist und wie so freundlich das Land; da neigt er die Schulter als Träger und wird zum fronenden Knecht. Dan schafft Recht seinem Volk wie nur einer von Israels Stämmen. Zur Schlange am Weg wird Dan, zur zischelnden Natter am Pfad. Sie beißt das Pferd in die Fesseln, sein Reiter stürzt rücklings herab. Auf deine Hilfe harre ich, Herr. Gad, ins Gedränge drängen sie ihn, doch er bedrängt ihre Ferse. Ascher, fett ist sein Brot. Königskost liefert er. Naftali, die flüchtige Hirschkuh, versteht sich auf gefällige Rede. Ein junger Fruchtbaum ist Josef, ein junger Fruchtbaum am Quell, ein junger Zweig an der Mauer. Man erbittert und reizt ihn, die Schützen stellen ihm nach. Sein Bogen sitzt sicher; gelenkig sind Arme und Hände. Das kommt vom Starken Jakobs, von dort kommt der Hirt, Israels Fels, vom Gott deines Vaters, er wird dir helfen. Gott, der Allmächtige, er wird dich segnen mit Segen des Himmels von droben, mit Segen tief lagernder Urflut, mit Segen von Brust und Schoß. Deines Vaters Segen übertrifft den Segen der uralten Berge, den man von den ewigen Hügeln ersehnt. Er komme auf Josefs Haupt, auf das Haupt des Geweihten der Brüder. Benjamin ist ein reißender Wolf: Am Morgen frisst er die Beute, am Abend teilt er den Fang. Sie alle sind die zwölf Stämme Israels und das war es, was ihr Vater zu ihnen sagte, als er sie segnete. Einen jeden bedachte er mit dem Segen, der ihm zukam« (Genesis 49,1–28).

      Für mich ist der Jakobssegen so etwas wie ein Urmodell des väterlichen Segens, der den eigenen Kindern nicht einfach nur gute Worte mit auf den Weg gibt. Jakob sieht hier in aller Offenheit und Liebe auf seine Söhne mit all ihren Stärken und Schwächen und nimmt jeden so an, wie er ist.

      In den Begleitungen von Männern erfahre ich häufig, dass es zwischen Vätern und Söhnen wenig Gespräche gab – oder dass man über alles gesprochen hat, aber nicht über Gefühle, über Erwartungen, über die eigenen Stärken und Schwächen. Das Schweigen zwischen Vätern und Söhnen, das ich oben schon angesprochen habe, ist eher die Regel als die Ausnahme. Väter und Söhne sprechen oft nicht die gleiche Sprache und trauen sich nicht, ehrlich und offen miteinander zu reden. In der schon zitierten Liedzeile »Warum nur bleibt ein Schweigen zwischen Vater und Sohn?« aus dem Lied »Vater und Sohn« von Udo Jürgens beschreibt er in einer für mich sehr klaren Sprache diese Sprachlosigkeit.

      Jakob, der diesen großen Segen über seine Söhne spricht, hat nicht diese Sprachlosigkeit. Er ist bereit, seine Kinder mit all dem, was sie ausmacht, mit all ihren guten und schwierigen Seiten anzunehmen. Sein Segen ist wahrhaftig. Das unterscheidet den Segen, den Jakob an seine Söhne weitergibt, von dem, den er selbst von seinem Vater erhalten hat (siehe oben). Er hatte ihn sich von seinem Vater erschlichen, nun gibt er ihn ehrlich und offen an seine eigenen Kinder weiter. Und noch etwas ist Jakob wichtig: Er lässt Berührung zu. »Leg deine Hand unter meine Hüfte« heißt es in Genesis 47,29. Das beschreibt geradezu eine Zärtlichkeit in der Begegnung zwischen Jakob und Josef. Wie anders klingt es in dem oben schon erwähnten Lied von Udo Jürgens! Da heißt es in einer Zeile: »Wir hatten Scheu, uns zu berühren. Denn Zärtlichkeit war ein Tabu.«

      Anselm Grün sieht in seinem Buch »Kämpfen und Lieben« Jakob als den Archetyp des Vaters und Isaak als Archetyp des vaterlosen Mannes. Damit Jakob selbst zum Vater werden konnte, musste er sich aus den Strukturen, in denen er aufgewachsen war, befreien, sich von der Mutter und damit vom Weiblichen lösen. Die Mutter nutzte Jakob für ihre Zwecke, sie war es, die ihn zum Betrug um den Segen angestiftet hatte.

      Jakob musste sich aber auch von seinem Vater und seinen Vorstellungen vom Mannsein, die er selbst nie gelebt hatte, befreien. Um die Frau, die er liebte, musste er kämpfen, denn ihm geschah am Anfang dasselbe, was seinem Vater Isaak passiert war: Nicht er suchte sich eine Frau, sondern Abraham suchte die Frau für Isaak aus. Man könnte daher sagen, der »Jakobs-Weg« weg von zu Hause war ähnlich


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