SoloVan. Susanne Flachmann
sollte die Batterieladung mal knapp werden. Manchmal lasse ich sie an, wenn es nachts zu dunkel ist oder ich „außer Haus“ bin und das Gefühl vermitteln will, dass der Bus gerade bewohnt ist.
3. Abschied
ins Neue
Das Setzen der Segel,
nicht die Richtung des Windes bestimmt,
welchen Weg wir einschlagen.
Jim Rohn
Unterwegs nach Griechenland | Die traumhafte Landschaft Italiens duckt sich unter der dichten Regenwolke. Ich habe das Gefühl, mit dem Dach an den Wolken entlangzuschrammen, tanze auf meinem Lkw-Sitz, gröle und singe – heule und schluchze. Und ich lache und bin so glücklich und so unfassbar traurig zugleich. Es ist meine Abschiedsfahrt aus dem alten Leben. Körperlich und seelisch: Ich spüre so sehr, dass ich HIER bin, im JETZT, und dass das Alte hinter mir liegt. Es ist beängstigend und tieftraurig! Ich spüre mich mit jedem weiteren Kilometer immer weiter von meiner alten Hülle entfernen, spüre es körperlich. Ich denke intensiv an die letzten Jahre, an all das Schwere und Traurige – und hole mich immer wieder zurück in den beglückenden Zustand der Vorwärtsbewegung. ICH sitze am Steuer! Ich bewege mich – auf meinen Wunsch! – von dort hinten weg nach vorne. Aus der Vergangenheit in die Zukunft. Geradewegs ins Neue! Ich bestimme, wohin meine Reise geht! Das ist heilsamer und einprägsamer, als jede Therapiestunde es jemals sein könnte: mit eigener Kraft das eigene Sein „weg von …“ und „hin zu …“ bewegen. Bildlich, körperlich.
Ganz weit hinten sehe ich die Wolken aufbrechen; es strahlt aus dem Dunkel, und ich spüre die Wirklichkeit einmal mehr als Sinnbild meines Seins: Es wird werden. Es wird hell und schön und warm; gleich dort hinten; ich kann es sehen!
Und ich fahre, fahre, fahre … Franz schnurrt die Kilometer ab. Ich merke, dass es bergab zum Meer geht, denn er läuft fast wie von allein. Die Wolken nehmen ab, es wird warm: Fenster auf – Luft rein – Musik laut, laut, laut!
… SO MANY PEOPLE TURN ME ONE WAY.
SO MANY PEOPLE TURN ME TO STAY.
NEVER HAD TIME
TO HAVE MY MIND MADE UP.
CAUGHT IN A MOTION
AND I DON'T WANNA STOP …
„BURNING” VON THE WHITEST BOY ALIVE
Italiens Campingwelt begrüßt mich mit großen Schildern zum Pool-Benutzungs-Reglement in allen Weltsprachen. Und obwohl ich die einzige Camperin auf diesem Platz bin, darf ich zehn Minuten nach Ende der offiziellen Öffnungszeit auch auf meine charmante Bitte hin nicht in das kühle Wasser springen. Regel ist Regel und bedingt Achselzucken auf beiden Seiten. Egal: dann halt heiß duschen. Aber schon am nächsten Morgen stehe ich mit den Füße n im erfrischenden Nass – leider allerdings im Bus. Zum Glück finde ich rasch das Problem: Die neu eingebaute Wasserpumpe leckt. Dankbar freue ich mich, dass ich mich am Abend mit barscher Rede zurückgehalten habe, denn so kann ich den Campingplatz-Chef um Werkzeug und Hanffasern für die Wasserleitung bitten. Er steht mit verschränkten Armen neben mir und sieht mir interessiert, wenn auch leicht ungläubig über die Schulter, während ich das kleine Problem löse. Als ich uns beiden stolz die funktionierende und gedichtete Wasserleitung präsentiere, kann er seine Neugierde nicht mehr bremsen: Warum ich alleine unterwegs sei? Was soll ich ihm sagen? Weil mein Mann und ich uns getrennt haben und ich mein Glück nun alleine finden muss/will? Weil ich fliehen wollte vor dem Leben? Weil ich Boden unter meinen Füßen suche? Weil ich nur mit Abstand einen Neuanfang finden kann? Schwierig, in wenigen Sätzen auf Englisch so zu antworten, dass es verstanden werden kann. Ich entscheide mich für eine glatte Lüge: dass mein Ehemann in Ancona auf mich wartet. Meine Schwindelei ist ein fairer Ausgleich für seine engstirnigen Poolbenutzungs-Regeln, finde ich und grinse ein bisschen über meine Logik.
In Ancona tauche ich das erste Mal in den Stadtverkehr ein, um zum Hafen zu gelangen. Ich weigere mich, das geliehene Navi einzuschalten, denn es ist einfach herrlich: Ich sitze weit oben, bin total entspannt, genieße meine optische (Bus-)Größe, habe Zeit, und keiner kann mir etwas tun … und schließlich: Der Hafen kann ja nur irgendwo am Meer liegen.
Überpünktlich reihe ich mich in die Reihe der Wartenden ein und stehe inmitten großer Lkw, denen ich mich irgendwie sehr verbunden fühle. Sie verkörpern mein schönes Lebensgefühl, denn auch wenn ich weiß, dass dieser Job wahrlich Knochenarbeit ist, romantisiere ich alle Lkw-Fahrer zu coolen, gut aussehenden, entspannten Typen. Während ich mich also langsam bei lauter Musik mit meinen „Lkw-Kollegen“ Richtung Rampe bewege, fühle ich mich stark, stolz, obercool. Der arme Einweiser ist völlig baff, als ich ihn mit meinem allerstrahlendsten Lächeln einhülle! Das hat er hier sicher noch nie zugeworfen bekommen … Aber er weist mir den perfekten Platz zu, denn ich darf direkt neben dem offenen Bullauge stehen! Freier Blick aus meinem Franz auf das Meer – welch wunderbares Geschenk!
Beim Ablegen der Fähre sitze ich mit dem Rücken zur Fahrtrichtung an Deck. Ich sehe zu, wie sich Ancona, dann Italien und gleichzeitig mein bisheriges Leben langsam verabschieden, und hinter meiner verspiegelten Sonnenbrille rinnen ungehindert die Tränen. Es ist ein neues Bild, dessen Bedeutung urplötzlich und mit Wucht in mein Bewusstsein einschlägt: Ich verlasse den festen Boden, ich verlasse bekanntes Gebiet. Es ist wieder ein so deutlich spürbarer Abschied von meinem alten Sein, dass ich mich unsäglich klein und allein fühle … ein furchtbarer Moment.
Ich flüchte in meinen Van. Franz gibt mir den Raum, mich auszuweinen und selbst zu bemitleiden. Als alle Tränen endlich versiegt sind, setze ich mich mit einem griechischen Bier in die Bar. Ich wähle bewusst den Sitz in Fahrtrichtung, mit Blickrichtung nach vorne!
Sanft schaukelnd brummt uns die Fähre durch die Nacht. Frische Meeresbrise weht durch meine offenen Fenster, aber ich kann nicht schlafen. Immer wieder stehe ich auf und sehe durch das Fähren-Bullauge auf die uns begleitenden Sterne und das dichte Schwarz. Immer wieder schaudern mich die starken Gefühle der Verlassenheit und des Vermissens. Mit jedem Moment entferne ich mich weiter von meinem Leben, von meinen Kindern. Ich quäle mich mit dem Gedanken, dass doch alles falsch ist, was ich hier veranstalte …Tiefste Dunkelheit im Herzen, Traurigkeit, Verzweiflung – bis mir endlich der Tipp eines Freundes einfällt, der „Zweifellisten“ führt: Ich schreibe auf, was ich gerade glaube, mit meiner Reise falsch zu machen. Wem ich damit schade, was ich damit verpasse. Und fülle die andere Seite mit Zielen, die ich suche. Mit Wünschen, die ich erfüllen möchte. Mit Fragen, die ich klären will, und Dingen, die ich erleben, sehen, spüren möchte. Und ich bin überrascht, wie viel unbändige Sehnsucht in mir steckt und wie überzählig die positiven Gedanken gegenüber meinen Ängsten sind.
Als die Sonne endlich ihren allerersten Gruß über den Horizont schickt, der Himmel sich über mir in eine pastellblaue Symphonie wandelt, weiß ich: Ich bin vom Leben beschenkt. Ich darf meiner Sehnsucht nicht nur gewahr werden, sondern ihr zudem einfach auch noch folgen. Das erste Mal in meinem Leben.
Kalimera, Griechenland! Im Morgengrauen trinke ich meinen Kaffee im Franz sitzend und sehe der Küste zu, wie sie sich in den ersten Sonnenstrahlen an uns vorbeischiebt. Sanft, warm und einladend! Ihr möchte ich einfach folgen, das Meer immer linkerhand im Blick, einmal rund um den Peloponnes. Stehen bleiben, wenn es sich gut anfühlt. Wenn ich es will.