Alte Bräuche neu erleben. Waltraud Ferrari

Alte Bräuche neu erleben - Waltraud Ferrari


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über lange Zeit das Siedlungsgebiet keltischer Stämme. So gehörte ein Teil des südlichen Österreichs dem keltischen Königreich Noricum an. Neueste Theorien besagen, dass eines der Ursprungsgebiete der Kelten in einer Region nördlich von Etrurien in Oberitalien liegt. Von dort erfolgte die Ausbreitung über den Alpenraum bis nach Irland und Großbritannien, wo die indigene Bevölkerung die Kultur der Kelten übernahm. Die Christianisierung Europas erfolgte später zu einem Gutteil von Norden her durch Wandermönche der iro-schottischen Kirche, die auch als keltische Kirche bezeichnet wurde und viele Elemente der alten Kultur in sich trug. Im Jahr 664 fand in Whitby (im Nordosten Englands) eine Synode statt, auf der die römische Kirche ihre Dominanz bezüglich Inhalten und Riten durchsetzte.

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      Aus den genannten Gründen findet man über viele Regionen Europas verstreut Bräuche und Brauchtumsgestalten, die sich in vielem erstaunlich ähneln.

      Brauchtum hängt naturgemäß auch immer mit dem Weltbild der jeweiligen Kultur zusammen, den Jenseitsvorstellungen und religiösen Ideen. Das religiöse Bestreben des Menschen ist wohl älter als jede uns derzeit bekannte Religion. Bei den folgenden Betrachtungen geht es nicht um eine Wertung der jeweiligen Ideen, sondern um ein Aufspüren der zugrunde liegenden Kräfte, die sich bis heute auf vielfältige Weise mitteilen können. Es scheint, dass Brauchtum quer durch die Jahrtausende im bildhaft-mythologischen Bewusstsein ein Wissen bewahrt hat: in Form von bunten, lebendigen Gestalten und den damit verbundenen rituellen Handlungen, die letztlich überdauert haben. Dies könnte bedeuten, dass wir tief in uns diese Kräfte immer noch erkennen und uns ihnen verbunden fühlen.

       Brauchtum und Landschaft

      Warum entsteht in einer Gegend ein bestimmter Dialekt, warum spezielle Trachten, warum spielt ein Brauch in einer Region eine bedeutende Rolle, während oft schon im nächsten Tal ein anderer wichtiger scheint? In Sprache, Tracht und Brauch bilden sich unterschiedliche Faktoren ab. Unter anderem das, was in der alteuropäischen Überlieferung als natürliches Ergebnis des „Bundes mit der Erde“ angesehen wurde: das Zusammenspiel von Boden, Mensch, Tier und Pflanze, den Gewässern und dem sich darüber spannenden Himmel mit seinen Gestirnen.

      Um dies verständlicher zu machen, möchte ich hier ein Beispiel geben: Das aufsteigende Licht einer Morgendämmerung wirkt deutlich anders als das Flirren der sommerlichen Mittagshitze oder die Sanftheit eines anbrechenden Abends. So weist auch jede Landschaft ein für sie spezifisches Licht auf, das von all den oben genannten Faktoren bestimmt wird. (Berühmte Maler verschiedenster Epochen haben das immer schon wahrgenommen.) Es lohnt sich, diesen Beobachtungen nachzugehen, da man sich damit die eigene Umgebung auf neue Weise erschließen kann.

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      Natürlich ist eine Landschaft als solche schon prägend: Weite Ebenen inspirieren den Menschen auf andere Weise als enge Gebirgsschluchten und hohe Berge, schon allein deshalb, weil die Anforderungen des Überlebens jeweils andere sind. Hinzu kommt das Klima, da sich im Brauchtum häufig die Betonung einer bestimmten Jahreszeit findet. So sind in den inneralpinen Regionen besonders viele Winterbräuche (zum Beispiel die Perchtenläufe) erhalten geblieben, weil der Winter in diesen Gebieten meist sehr lang und daher die dominante Phase für die Bewohner war. In nicht allzu großer Entfernung, weiter südlich, etwa in der Weststeiermark, die ein nahezu mediterranes Klima mit Weinanbau aufweist, sind die wichtigsten Bräuche mittlerweile um Ostern und Fronleichnam angesiedelt, da hier der Frühling als dominante Jahreszeit erlebt wird.

      Im Brauchtum lässt sich meist auch ablesen, was die Lebensgrundlage für die Menschen einer Region darstellte. So finden wir in manchen Gegenden Bräuche, die sich vorrangig um Tiere (zum Beispiel Pferde und Rinder) ranken, in anderen dreht sich vieles um den Ackerbau, wieder anderswo erinnert einiges an den Bergbau (Barbarafeiern), und selbst bedeutende geschichtliche Ereignisse haben ins Brauchtum Eingang gefunden und werden nachgestellt. Die immer wieder wachgerufene Erinnerung an eine überstandene Gefahr wie eine gemeinsam geschlagene Schlacht oder das Überwinden einer Hungersnot, festigt den Zusammenhalt der Gemeinschaft.

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       Die Gliederung des Jahres

      Eine der ältesten Gliederungen des Jahres, die sich in den darauf folgenden Epochen erhalten hat, geht in unseren Breiten auf das frühzeitliche Ackerbaujahr zurück. In manchen Gegenden kannte man Ende der 1970er Jahre im bäuerlichen Kalender immer noch die Begriffe „Einwärts“ und „Auswärts“ als Unterteilung für das Jahr in eine dunkle, kalte Hälfte der Ruhe und des Rückzugs sowie eine lichte, warme Hälfte von Aktivität, Wachstum und Ernte. Diese Teilung fußt auf ganz konkretem Geschehen in der Natur. Die Ruhephase dauerte von Anfang November bis Ende April. In der Zeit des Einwärts wurden die Tiere im Stall betreut, sämtliche Arbeiten im Haus erledigt, von kleinen Reparaturen bis hin zu verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten, also dem Herstellen von Werkzeugen, aber auch Schnitzen, Weben, Spinnen, Sticken etc. Und es war die Zeit des Erzählens, der Spiele und Lieder, der Gesänge und Überlieferungen bis hin zu Orakelbräuchen, mit denen man die Zukunft vorhersehen wollte.

      Die aktive, lichte Phase begann im Mai und endete mit dem letzten Oktobertag. Das war die Zeit aller Arbeiten im Zusammenhang mit Ackerbau, Fischfang, Jagd und Viehzucht, und es war auch die Zeit, in der man bestimmte Plätze wie Heilquellen, heilige Berge und Kirchen aufsuchte, also die Phase der bis heute gepflegten Wallfahrten und Pilgerwanderungen.

      Hinter diesen irdischen Gegebenheiten, einer Natur, in der andauernd ganz real geboren und gestorben wird, sah man jedoch noch einen geistig-mystischen Aspekt. Man glaubte, dass die Dunkelheit das Licht hervorbringe, dass aus dem (vorerst) Unsichtbaren das Sichtbare erwachse. Daher galt die Nacht als jener „Zeit-Raum“, aus dem alles hervorging. Ursprünglich zählte man früher in Nächten und nicht in Tagen (was im Zusammenhang mit der Beobachtung des Mondes stand, da der Mondkalender der ältere Kalender war). Daher stammen auch Begriffe wie Walburgisnacht, Christnacht (oder Heiligabend) und Raunacht. Und bis heute fragen kleine Kinder: „Wie oft muss ich noch schlafen gehen?“, wenn sie einen Zeitraum, den sie noch nicht berechnen können, für sich erfassen möchten.

      Erst zu Beginn des vierten Jahrhunderts nach Christus wurde das Sonnenjahr mit seinen vier Fixpunkten der Tag- und Nachtgleichen und der Sonnenwenden mit einem christlichen Festkalender kombiniert. Daraus ergab sich die heute gängige Unterteilung in vier Jahreszeiten.

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