Die Mobilitätswende. Karin Kneissl

Die Mobilitätswende - Karin Kneissl


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Nachbar, ist China nicht nur geschäftlich, sondern mit politischer Kraft tätig. Der chinesische Traum, den Xi Jinping, seit 2017 Präsident auf Lebenszeit, dem chinesischen Volk verheißt, bedeutet die Rückkehr Chinas als Führungsmacht. Dass die nächste Ära der Globalisierung eine unter chinesischer Ägide werden würde, verkündete Xi Jinping bereits in Davos im Jänner 2017. Dass sich damit auch die Arbeitsweise in wichtigen Industriebetrieben deutlich an chinesischen Vorgaben orientieren würde, spürten u. a. deutsche Automobilkonzerne immer mehr. Von einem fairen Zugang zu gleichen Bedingungen war immer weniger zu spüren. Was Diplomaten in den Handelsgesprächen als „fair level playing field“ bezeichnen, war kaum vorhanden. Denn während chinesische Investoren zu 100 Prozent westliche und andere Firmen aufkauften, sind nichtchinesische Käufer bei ihren Bemühungen in China mit Joint Ventures unter 50 Prozent, vielen politischen Beschränkungen und Kontrollen durch entsandte Regierungsvertreter in den Betrieben konfrontiert. Beim BOAO-Forum, dem „asiatischen Davos“ in Hainan, im April 2018 versprach Xi Jinping umfassende Lockerungen bei Beteiligungen ausländischer Firmen, insbesondere in der Autoindustrie. Die erste Reaktion der Autobauer war voller Jubel, doch de facto wurde die chinesische Dominanz gerade in dieser Branche immer heftiger.

      Als Außenministerin begleitete ich damals Bundespräsident Alexander Van der Bellen und unsere große Delegation quer durch China; es war ein Staatsbesuch der Superlative mit einem mulmigen Gefühl. Bereits einige Monate zuvor hatte ich in meinem Buch „Die Wachablöse“ den Ausverkauf europäischer Betriebe an China kritisch gesehen, so bestätigte jene intensive Besuchswoche meine Skepsis an der heftigen chinesischen Umarmung. An einem „Memorandum of Understanding“, wie es bereits zuvor schon einige europäische Staaten im Rahmen der „16+1“-Kooperation mit China formalisiert hatten, hatte ich als außenpolitische Ressortchefin kein Interesse. Wir behielten diesen Kurs dann auch als Regierung bei, wenngleich es nicht einfach war, dies mit allen Regierungsmitgliedern in dieser Form zu handhaben.

      Die Malaise auf europäischer Seite hat sich indes verschärft. So dürfen deutsche Autokonzerne in China beim Bau der scheinbar zukunftsträchtigen Elektroautos oftmals nur mehr die Karosserie verantworten. Das Kernstück, die Batterie, fertigen die chinesischen Partner. Sie verfügen mittlerweile nicht nur über die weltgrößten Betriebsstätten dieser Art, sondern haben die wesentlichen Konzessionen für strategische Rohstoffe wie Lithium erworben. Europäische Autobauer hinken gerade beim Zugang zu diesen Rohstoffen nach. Doch darüber hinaus bahnt sich ein grundsätzlicher Konflikt an: China ist angetreten, auch in der Autobranche zur Nummer eins aufzusteigen. In den chinesischen Führungsetagen hat man zu einem viel früheren Zeitpunkt als in Europa begriffen, dass es um Mobilität in ihrer Gesamtheit geht. In den „Smart Cities“, die der chinesische Wirtschaftsboom im letzten Jahrzehnt schuf, als China die Lokomotive der Weltwirtschaft war, wird Mobilität von Grund auf neu gedacht. Wer einmal dazu von chinesischer Seite mit eindrucksvollen Zahlen gebrieft wurde, verspürt, wie groß bereits der Abstand zwischen dem Technologieführer China und dem Rest der Welt ist. Hinzu kommt eine gesellschaftspolitische Dimension, die derartige Reißbrettentscheidungen ermöglicht, denn hier steht das Kollektiv über dem Individuum. Die Mobilität wird vom Kollektiv für das Kollektiv gemacht. Denn die Staus auf den Stadtautobahnen in den chinesischen Megastädten kosten Prozentpunkte der Volkswirtschaft. Noch wirkt manches anarchisch in China, aber die Ausweitung der totalen Kontrolle war bereits vor der Pandemie im Gange und hat sich über einen technischen Sprung im Namen von Gesundheit und Sicherheit zur digitalen Diktatur verdichtet. Das Konzept findet auch Akzeptanz in vielen anderen Staaten, wo kritisches Denken auf dem Rückzug ist. Diese Entwicklung reduziert sich nicht auf die Volksrepublik China, denn auch in unseren Gesellschaften werden Stimmen laut, im Namen der Gesundheit sehr viel Privatsphäre aufzugeben. Was mit dem „War on Terror“ im Jahr 2001 in den USA begann, findet nun so manche bedenkliche Fortsetzung.

      Vieles wurde in unseren Breiten verschlafen, manches wider besseren Wissens verabsäumt. Aber nicht alles war absehbar, vor allem nicht die Geschwindigkeit, mit der China den Rest der Welt industriell überrollen würde. Die Auslagerung von Produktion nach Asien hat im Zuge der Covid-Pandemie die massive Abhängigkeit Europas u. a. in der Pharmabranche offengelegt. Wenn 60 Prozent der weltweit verfügbaren Antibiotika in China erzeugt werden, dann sollte Risikostreuung kein Schlagwort mehr sein.

       Lieferketten neu denken

      Die Pandemie, die ihren Ausgang in der chinesischen Provinz Hubei nahm, die auch Heimat wichtiger Betriebsstätten für die internationale Automobilindustrie ist, hat ein wesentliches Problem neu aufgedeckt: die Verwundbarkeit unserer global verteilten Lieferketten mit ihren jeweiligen Prozessen. Es ist nicht das erste Mal, dass über „Backshoring“, also das Heimholen von Produktionsstätten, laut nachgedacht wird. Die Rückübersiedlung der Manufaktur der Steiff-Teddybären von China nach Deutschland vor über zehn Jahren machte keine Schlagzeilen, ist aber ein interessantes Lehrbeispiel. Ausschlaggebend war, das Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen, da diese bereit waren, für Qualität „made in Germany“ zu zahlen. Auch Apple eröffnete unter Applaus der US-Regierung im Jahr 2019 eine wichtige Produktionsstätte erstmals wieder in den USA. Die Globalisierung nahm ihren Anfang mit dem Containerverkehr in den 1960ern und bestimmte fortan die Weltwirtschaft dank liberalisiertem Zahlungsverkehr sowie neuer Kommunikation. Seither sprechen wir von globalen Lieferketten, die Kosteneffizienz bei Löhnen, Infrastruktur und Rohstoffen folgte.

      Auslöser für das Überdenken und teils Neugestalten von Lieferketten waren nicht erst der Ausbruch eines Vulkans auf Island im Frühjahr 2010, die steigenden Lohnkosten in asiatischen Betrieben sowie Probleme im Qualitätsmanagement (v.a. bei Spielzeug und IT-Produkten), sondern auch wachsende Sorgen um Unterbrechungen im Frachtverkehr infolge von Unruhen, Streiks und eben Naturereignissen. Anstelle einer zerbrechlichen „Just-in-time-Delivery“ wächst seit Jahren der Wunsch nach Überschaubarkeit wichtiger Versorgungsketten. Die Covid-Krise führte nur neuerlich vor, was vielen zumindest während des Stillstands des Flugverkehrs infolge eines Vulkanausbruchs auf Island bereits klar war: Als Firma, die von Ausfällen wichtiger Komponenten für die Herstellung einer global produzierten Ware betroffen ist, sollte man in Lagerhaltung und alternative Lieferanten im Falle der „Force majeure“ investieren. Ob diese Pandemie nun den erforderlichen Schub in eine neue Organisation von Lieferketten ermöglicht? Damit einher geht auch die Debatte, ob die Globalisierung gar rückabzuwickeln ist. Deglobalisierung wird nicht nur in akademischen Kreisen, sondern auch in großen Beratungsunternehmen diskutiert; zuvor war dies schon mit Blick auf mögliche Handelskriege der Fall. Rund um den Brexit haben wir in den restlichen EU-Staaten die Umorientierung von Lieferketten mehrfach diskutiert. Der Brexit, voraussichtlich ohne Abkommen zwischen London und Brüssel, wird zu meistern sein. Viel komplizierter wird der Umgang der EU, Europas insgesamt sowie der restlichen Welt mit China. Im Verhältnis Europa zu Asien, vor allem eben zur Volksrepublik China, hat sich im Automobilsektor eine starke Verquickung ergeben. Rund 60 Prozent des Umsatzes der deutschen Automobilindustrie erfolgt in China; entsprechend hart war daher dieser Sektor bereits zu Jahresanfang getroffen, als die Probleme nur in der Provinz Hubei bestanden.

      Die Regierung in Peking hatte die chinesischen Unternehmen Ende der 1990er-Jahre aufgerufen, ins Ausland zu expandieren. Ein Grund war, die angehäuften Devisenreserven einzusetzen, und so an westliches Know-how über den Erwerb von Firmenanteilen zu gelangen. „Zou chu qu“ hieß die Strategie auf Chinesisch. Das bedeutet so viel wie „Ausschwärmen“. Im Jahr 2016 investierten chinesische Unternehmen in Europa fünfmal so viel wie europäische Firmen in China. Es ging bei dieser Einkaufstour oft um wahllose Einkäufe, wie Perlen an einer Kette. Diese Metapher der Perlenkette kommt auf chinesischer Seite oft vor, man denke nur an die Seeroute neben der Landroute, der Seidenstraße-Initiative. Diese Verbindung zwischen wichtigen Häfen vom Pazifik bis zum Mittelmeer wird auch mit einer Perlenkette verglichen. Erst in letzter Zeit ist eine klarere Strategie erkennbar. Zudem verschärfte Peking die Kapitalverkehrskontrollen Ende 2016, um den Kapitalabfluss zu unterbinden, und beendete so die Einkaufstour. Indes ist aber der deutsche Automobilhersteller Daimler noch chinesischer geworden. Die Beijing Automotive Group BAIC, ein Staatskonzern, und der Hersteller Geely halten gemeinsam 15 Prozent. BMW und Volkswagen sind mit chinesischen Partnern schon länger intensiv verbunden. Die Abhängigkeit des deutschen Automarkts von China


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