Kafka und Felice. Unda Hörner
zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag im November Geschenke der Kolleginnen auf ihrem Platz gefunden, nebst einem Gedicht, das die Brühl gereimt hatte. In etwas holperigen, aber lustigen Versen wünschte sie Felice einen Ehemann mit Adelstitel. Felice hatte Franz das verraten, und er konterte mit einem Wunsch für das Fräulein Brühl, es sollten »… von heute ab Abend für Abend nach Geschäftsschluss ein Jahr lang bis zu ihrem nächsten Geburtstag zwei rasende Prokuristen rechts und links neben sie treten und ihr ununterbrochen und gleichzeitig, bis Mitternacht Briefe diktieren.«
Kurze Zeit später schickte Franz aus reinem Spaß am Jux eine anonyme Glückwunschkarte an die Brühl. Die Kollegin drehte und wendete die Karte ratlos in den Händen, und Felice, die in Franz’ Schabernack eingeweiht war, verspürte eine diebische Freude über ihr Rätselraten. Ein heimlicher Verehrer? Ein Kunde? Ja, Franz hatte auch Humor, eine Seite an ihm, die Felice besser kennenlernen wollte. Es fiel so schwer, auf dem Papier zu lachen.
Franz konnte überdies Gedanken lesen. »… was würdest Du Frl. Lindner antworten, wenn sie statt allgemeiner Fragen geradeaus fragen würde: War eigentlich dieser Mensch im Laufe des letzten Vierteljahres schon einmal in Berlin? Nicht? Und warum nicht? Er fährt Samstag mittag von Prag weg oder wenn das nicht geht, am Abend, ist über den Sonntag in Berlin und fährt abend nach Prag. Es ist ein wenig anstrengend, aber im ganzen eine Kleinigkeit. Warum macht er das nicht? Was wirst Du arme Liebste antworten?«
Die Antwort erübrigte sich, als eines Tages ein schmales, aber veritables Buch im Büro ankam, auf dem braunen Umschlag der Name, den die Kolleginnen schon so oft gelesen hatten: Franz Kafka. Der unsichtbare Verehrer aus Prag, es gab ihn wirklich, da stand es schwarz auf weiß. Dafür lohnt es sich doch zu warten, sagte jemand, der Mann ist ein richtiger Dichter. Einer wie Goethe! Wie haben Sie den denn kennengelernt, Fräulein Bauer?
Betrachtung war Franz’ erstes Werk, das Manuskript hatte er eines vergangenen Augustabends noch zu Max Brod getragen, voll Sorge um die sichere Expedition zum Verleger, und nun war es tatsächlich im Buchhandel zu haben. Felice schlug das Buch auf und fand eine handschriftliche Widmung: »Für Fräulein Bauer, um mich bei ihr mit diesen Erinnerungen an alte unglückliche Zeiten einzuschmeicheln.« Felice rätselte noch, wie Franz das meinte, aber die Lindner, die Brühl und die Grossmann waren komplett aus dem Häuschen. Die Lindner kniete gar vor Felice nieder wie vor einer Ausersehenen, auf die der Heilige Geist gekommen war. Wann Felice ihnen diesen bedeutenden Mann endlich mal persönlich vorstellen könnte?
Da müssten sie sich wohl noch ein wenig gedulden, sagte sie, jeden Moment der Befragung durch die aufgeregten Frauen genießend.
Statt nach Berlin zu kommen, spazierte Franz hin und wieder absichtsvoll durch die Prager Ferdinandstraße, dicht vorbei an dem Haus, in dem die Lindström-Vertretung saß, um sich Felice nahe zu fühlen. »Wenn ich Dir nicht schreibe, bin ich Dir viel näher, wenn ich auf der Gasse gehe, und überall und unaufhörlich mich etwas an Dich erinnert«, teilte er mit. Aber eine Beziehung zwischen Postämtern und Bahnhöfen, in Briefen und Eisenbahnen, das reichte Felice nicht mehr aus. Die Briefe aus Prag lagen vor ihr wie eine Patience.
Ob sie sich aus der Hand lesen lassen wolle, nur so aus Scherz, fragte Emmy Brühl.
Sie lese lieber Fahrpläne, entgegnete Felice, die, wenn Franz schon nicht kam, längst eine Reise nach Prag in Erwägung gezogen hatte. Sie war weder abergläubisch, noch glaubte sie an faulen Zauber mit Glaskugeln oder Kaffeesatz, sie beschäftigte sich weder mit Astrologie noch mit der Kabbala, doch die Brühl griff ungefragt nach ihrer Hand und lachte: Wovor hast du Angst? Ist ja nur zum Spaß.
Nun gut, da der abwesende Franz Felice immer wieder Rätsel aufgab, musste sie eben das Orakel befragen. Felice öffnete ihre Hand und streckte sie der Kollegin bereitwillig entgegen. Eine gepflegte Stenotypistinnenhand hielt die andere, ein Zeigefinger wanderte über Lebenslinie, Marslinie, Kopflinie. Die Brühl analysierte: Selbstständigkeit und Karrierechancen, sehr gut. Aber entscheidend ist die Herzlinie, je breiter, desto größer die Chance auf eine lange, glückliche Liebe. Ist sie unterbrochen, könnte der Partner untreu sein. Was für ein Segen, Felices Herzlinie verlief als lange, ununterbrochene und ausgeprägte Furche quer über die Handfläche. Bedaure, sagte Emmy Brühl zögernd, während sie weiter über Felices Hände tastete, aber reich wirst du wohl niemals werden, deine Sonnenlinie ist kaum zu sehen.
Warum überrascht mich das nicht, sagte Felice.
Ein Leben in Saus und Braus war mit Franz schwer vorstellbar. Die Anteile an der Asbestfabrik wäre er lieber heute als morgen los, er träumte ja sogar davon, bei der Versicherung zu kündigen, damit er zum Schreiben käme, und zwar nicht über Sicherheitsfräsköpfe und dergleichen, aber, mal ehrlich, wer konnte schon von der Literatur leben, so wie Sienkiewicz, Sudermann oder Gerhart Hauptmann?
Weil das Handlinienorakel als geschickter Hinweis auf Felices konkrete existenzielle Bedenken dienen konnte, als willkommener Wink mit dem Zaunpfahl, schrieb sie Franz von dem kurzen Ausflug in die Chiromantie während der Arbeitszeit. »Wenn Frl. Brühl nicht nachgeholfen hat«, schrieb er zurück, »dann ist die Handdeutung eine schöne Kunst und besonders gegebenen Falls in der Prophezeiung des ›niemals-reich-werdens‹ leider unanfechtbar, allerdings steckt auch ein grober Fehler darin.« Felice überlegte lange, welcher Fehler sollte das denn sein, wieder erging er sich in recht nebulösen Formulierungen. Klar, es gehörte keine große Kunst dazu, bei einem wie Franz ein eher genügsames Leben vorauszusagen. Er machte kein Geheimnis aus seinem recht bescheidenen Jahreseinkommen: »… im günstigsten, vergleichsweise günstigsten Fall, werden meine Frau und ich arme Leute sein, welche diese 4588 K sorgfältigst werden einteilen müssen. Wir werden viel ärmer sein als z. B. meine Schwestern, die gewissermaßen wohlhabend sind. […] Und wenn irgendwelche große Ausgaben eintreten werden, durch Krankheit oder sonstwie, werden wir gleich verschuldet sein. Wird sie auch das ertragen?«
Franz’ Betrachtung lag neben Felices Bett, seit dem Tag, an dem das Buch im Büro angekommen war. Sie hatte noch keine einzige Zeile darin gelesen, auch die Junggesellengeschichte nicht, die sie bereits als Manuskript kannte. Immer wenn sie einen Blick hineinwerfen wollte, zuckte ihre Hand reflexartig zurück. Der bloße Anblick des Buches beunruhigte sie. Franz machte tatsächlich Ernst mit der Schreiberei. Ein Satz von Strindberg kam ihr in den Sinn: ›Solltest du einmal heiraten, so nimm den Verleger, nicht den Dichter.‹ Das brachte Felice endlich darauf, welchen groben Fehler der spitzfindige Franz in Emmy Brühls Handliniendeutung ausgemacht hatte: Die Geister, mit denen sie um ihn konkurrieren musste, waren Büttel, die am Bettelstab gingen. Mit Reichtum meinte Franz nicht klingende Münze. Reichtum, das war für ihn die Freiheit, schreiben zu dürfen. Ein Reichtum, zweifellos, den sie mit ihm würde teilen müssen. Sie würde mit ihm zusammen im Keller leben, wie er es prophezeite. Franz war vor allem gierig darauf, das fertige Buch in den Händen zu halten, er erwartete gar keine horrenden Vorschüsse vom Verleger, und man brauchte schon viel Optimismus, um daran zu glauben, dass die Leute seine kryptischen Texte kaufen würden wie geschnitten Brot. Doch die persönliche Widmung in dem Buch auf ihrem Nachttisch, die schmeichelte ihr ungemein, denn es lag ein großer Reiz darin, einen Verehrer zu haben, der schrieb, richtige Bücher. Felice wagte es und schlug vor dem Einschlafen eine beliebige Seite in der Betrachtung auf: »›Sie haben offenbar noch nie mit Gespenstern gesprochen. Aus denen kann man ja niemals eine klare Auskunft bekommen. Das ist ein Hinundher. Diese Gespenster scheinen über ihre Existenz mehr im Zweifel zu sein, als wir, was übrigens bei ihrer Hinfälligkeit kein Wunder ist.‹ – ›Ich habe aber gehört, dass man sie auffüttern kann.‹«
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