Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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auf mor­gen, dan­ke!« — Sie drück­ten sich die Hän­de, und der Jour­na­list ging fort.

      So­bald er fort war, fühl­te Du­roy sich frei. Er tas­te­te ver­gnügt von Neu­em nach den bei­den Gold­stücken in sei­ner Wes­ten­ta­sche. Dann er­hob er sich und misch­te sich un­ter die Men­ge, die er su­chend durch­forsch­te.

      Bald er­blick­te er die bei­den Mäd­chen, die Brü­net­te und die Rot­haa­ri­ge, die im­mer noch in stol­zer Hal­tung durch die Men­ge zo­gen.

      Er ging di­rekt auf sie zu. Als er ih­nen ganz nahe war, ver­lor er wie­der den Mut.

      Die Brü­net­te sag­te: »Na, hast du dei­ne Spra­che wie­der­ge­fun­den?«

      Er stot­ter­te: »Al­ler­dings!« Ein zwei­tes Wort konn­te er aber nicht her­vor­brin­gen.

      Alle drei blie­ben ste­hen und hiel­ten die Be­we­gung der Spa­zier­gän­ger auf, die einen Wir­bel um sie bil­de­ten.

      Die Brü­net­te frag­te ihn plötz­lich: »Kommst du zu mir?«

      Er zit­ter­te vor Be­gier­de und er­wi­der­te schroff:

      »Ja, aber ich habe nur ein Gold­stück in der Ta­sche.«

      Sie lä­chel­te gleich­gül­tig: »Das tut nichts.«

      Sie nahm ihn beim Arm, als Zei­chen, dass sie ihn er­obert hat­te.

      Als sie das Lo­kal ver­lie­ßen, über­leg­te er, dass er sich mit den an­de­ren zwan­zig Fran­cs ohne Schwie­rig­kei­ten für den nächs­ten Abend einen Frack lei­hen könn­te.

      II.

      »Bit­te, wo wohnt hier Herr Fo­res­tier?«

      »Im drit­ten Stock links.«

      Der Con­cier­ge gab die­se Aus­kunft mit freund­li­chem Ton, aus dem Hochach­tung vor dem Mie­ter zu ent­neh­men war.

      Ge­or­ge Du­roy stieg die Trep­pe hin­auf. Er war ein we­nig ver­le­gen, et­was schüch­tern und fühl­te sich nicht sehr be­hag­lich. Zum ers­ten Male in sei­nem Le­ben trug er einen Frack, und das gan­ze Zu­be­hör die­ser Klei­dung stör­te ihn. Er fühl­te, dass vie­les an ihm de­fekt war. Sei­ne Stie­fel sa­hen ziem­lich ele­gant aus, denn er hielt auf gute Fuß­be­klei­dung, wa­ren aber kei­ne Lack­schu­he. Das Hemd hat­te er sich erst vor­mit­tags für vier Fran­cs fünf­zig im Lou­vre ge­kauft, und der schma­le, ge­stick­te Bru­stein­satz sah schon jetzt zer­knit­tert aus. Üb­ri­gens wa­ren die an­de­ren Ober­hem­den, die er sonst trug, alle mehr oder we­ni­ger be­schä­digt und konn­ten über­haupt nicht in Fra­ge kom­men. Die Ho­sen wa­ren ihm viel zu breit, sie pass­ten sich schlecht der Be­in­form an und schlu­gen über der Wade häss­li­che Fal­ten. Man sah es ih­nen an, dass sie ab­ge­nutzt und für einen an­de­ren zu­ge­schnit­ten wa­ren. Nur der Frack saß gut, denn er hat­te einen ge­fun­den, der rich­tig zu sei­ner Fi­gur pass­te.

      Lang­sam stieg er die Trep­pe hin­auf. Vor Angst poch­te ihm sein Herz. Vor al­lem quäl­te ihn die Furcht, lä­cher­lich zu er­schei­nen. Plötz­lich sah er ge­ra­de vor sich einen Herrn in großer Toi­let­te, der ihn be­trach­te­te. Sie stan­den so dicht bei­ein­an­der, dass Du­roy un­will­kür­lich einen Schritt zu­rück­trat. Dann blieb er ver­blüfft ste­hen: es war sein ei­ge­nes Spie­gel­bild in ei­nem ho­hen Wand­spie­gel, der im Flur des ers­ten Stockes eine lan­ge Per­spek­ti­ve vor­täusch­te. Er zit­ter­te vor lau­ter Freu­de, nie hät­te er ge­dacht, dass er so vor­nehm und ele­gant aus­se­hen könn­te. Zu Hau­se, in sei­nem klei­nen Ra­sier­spie­gel, dem ein­zi­gen, den er be­saß, hat­te er sich nicht rich­tig be­trach­ten kön­nen und war nach ei­nem flüch­ti­gen Blick über die Män­gel sei­ner im­pro­vir­sier­ten Ge­sell­schaft­stoi­let­te au­ßer sich ge­ra­ten. Der Ge­dan­ke, lä­cher­lich zu er­schei­nen, mach­te ihn ver­rückt. Als er sich aber plötz­lich in dem Spie­gel er­blick­te, hat­te er sich nicht ein­mal er­kannt, er hat­te sich für einen an­de­ren ge­hal­ten, für einen Herrn aus bes­ter Ge­sell­schaft, den er beim ers­ten An­blick für sehr ele­gant und schick hielt. Und jetzt, wo er sich sorg­fäl­tig be­trach­te­te, fand er, dass die Ge­samt­wir­kung tat­säch­lich zu­frie­den­stel­lend war.

      Da­rauf stu­dier­te er sei­ne Hal­tung, wie ein Schau­spie­ler, der sei­ne Rol­le lernt. Er lä­chel­te sich zu, reich­te sich sel­ber die Hand, mach­te ver­schie­de­ne Ge­bär­den, ver­such­te sich ein­zel­ne Ge­müts­be­we­gun­gen vor­zu­spie­len: Er­stau­nen, Freu­de, Bei­fall; er be­ob­ach­te­te die Nuan­cen des Lä­chelns und stu­dier­te die stum­me Spra­che der Bli­cke, um sich bei Da­men be­liebt zu ma­chen und ih­nen an­zu­deu­ten, dass er sie liebt und be­wun­dert.

      Eine Tür ging im Trep­pen­flur auf. Er fürch­te­te, über­rascht zu wer­den, und lief has­tig hin­auf, aus Angst, dass ihn ein Gast sei­nes Freun­des so ge­se­hen hät­te, wie er sich selbst Fa­xen vor­mach­te. Er er­reich­te den zwei­ten Stock, be­merk­te einen an­de­ren Spie­gel und mä­ßig­te sei­ne Schrit­te, um sich im Vor­bei­ge­hen wie­der ge­nau be­ob­ach­ten zu kön­nen. Sei­ne Er­schei­nung kam ihm jetzt wirk­lich ele­gant vor. Sein Auf­tre­ten und sei­ne Hal­tung wa­ren gut. Und ein maß­lo­ses Selbst­ver­trau­en und Über­mut er­füll­ten sei­ne See­le. Ja, mit die­sem Äu­ße­ren und mit dem fes­ten Wil­len, vor­wärts zu kom­men, mit sei­ner rück­sichts­lo­sen Ener­gie und sei­nem un­ab­hän­gi­gen Ver­stand muss­te er Glück ha­ben. Die Trep­pe zum drit­ten Stock wäre er am liebs­ten hin­auf­ge­sprun­gen. Vor dem drit­ten Spie­gel blieb er noch­mals ste­hen, dreh­te ge­wohn­heits­mä­ßig den Schnurr­bart, nahm sei­nen Zy­lin­der­hut ab, um sei­ne Fri­sur glatt zu strei­chen und mur­mel­te mit halb­lau­ter Stim­me: »Ein glän­zen­der Ein­fall.« Dann streck­te er die Hand aus und klin­gel­te.

      Die Tür ging fast im sel­ben Mo­ment auf und er be­fand sich vor ei­nem ernst­haf­ten, glat­tra­sier­ten Die­ner in schwar­zem Frack, der eine so ta­del­lo­se Hal­tung zeig­te, dass Du­roy, ohne zu be­grei­fen wes­halb, von Neu­em die­sel­be un­er­klär­li­che Un­si­cher­heit und Ver­le­gen­heit fühl­te; viel­leicht durch den un­be­wuss­ten Ver­gleich der Schnit­te ih­rer An­zü­ge her­vor­ge­ru­fen. Die­ser Die­ner, der Lack­schu­he trug, nahm Du­roy den Über­zie­her ab, den die­ser auf dem Arm ge­tra­gen hat­te, da­mit die Fle­cke nicht all­zu sicht­bar wa­ren, und frag­te ihn:

      »Wen darf ich mel­den?«

      Dann hob er den Tür­vor­hang und rief den Na­men in den Sa­lon hin­ein.

      Aber Du­roy ver­ließ plötz­lich alle sei­ne Wür­de. Er fühl­te sich vor Furcht ge­lähmt und at­me­te schwer. Er stand jetzt an der Schwel­le ei­nes neu­en Le­bens, von dem er ge­träumt und auf das er ge­hofft hat­te.

      Trotz­dem ging er wei­ter. Eine jun­ge, blon­de Dame stand ganz al­lein in ei­nem großen hel­ler­leuch­te­ten Zim­mer, das vol­ler Topf­pflan­zen war, wie ein Treib­haus.

      Ganz au­ßer Fas­sung ge­bracht, blieb er plötz­lich ste­hen. Wer war die­se Dame, die ihn lä­chelnd er­war­te­te? Dann fiel ihm ein, dass Fo­res­tier ver­hei­ra­tet war, und der Ge­dan­ke, dass die­se hüb­sche, ele­gan­te Blon­di­ne die Frau sei­nes Freun­des war, ver­blüff­te ihn vollends.

      Er mur­mel­te:

      »Ma­da­me, ich bin …«

      Sie reich­te ihm die Hand.

      »Ich weiß es, mein Herr. Charles hat mir er­zählt, wie er


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