Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Le­ben ge­tre­ten, als hät­te er was Kost­ba­res er­obert, als sei er nun end­lich et­was ge­wor­den; und er be­trach­te­te Frau Fo­res­tier, de­ren Bli­cke un­ver­wandt auf ihm ruh­ten. Sie trug ein hell­blau­es Kasch­mir­kleid, das ihre bieg­sa­me Fi­gur und ihre vol­le Brust zur Gel­tung brach­te. Durch die wei­ßen Spit­zen, mit de­nen der Kra­gen und die kur­z­en Är­mel be­setzt wa­ren, schim­mer­te das Fleisch ih­rer Arme und ih­res Bu­sens, und die Haa­re, die auf dem Schei­tel zu­sam­men­ge­nom­men wa­ren und sich im Na­cken leicht kräu­sel­ten, bil­de­ten eine leich­te Flaum­wol­ke über dem Hal­se.

      Ihre Bli­cke be­ru­hig­ten Du­roy, sie er­in­ner­ten ihn, ohne dass er wuss­te warum, an den Blick des Mäd­chens, das er ges­tern in den Fo­lies Ber­gè­re ge­trof­fen hat­te. Ma­da­me Fo­res­tier hat­te blau­graue Au­gen, von ei­nem selt­sa­men Aus­druck, eine schma­le Nase, star­ke Lip­pen, ein et­was flei­schi­ges Kinn und un­re­gel­mä­ßi­ge, ver­füh­re­ri­sche Ge­sichts­zü­ge voll An­mut, Lie­bens­wür­dig­keit und List. Es war eins von die­sen Ge­sich­tern, die mit je­der Li­nie einen be­son­de­ren Reiz und Schön­heit aus­drücken und die mit je­der Be­we­gung et­was zu sa­gen oder zu ver­ber­gen schei­nen. Nach ei­ner kur­z­en Pau­se frag­te sie ihn:

      »Sind Sie schon lan­ge in Pa­ris?«

      Er ge­wann all­mäh­lich sei­ne Selbst­be­herr­schung wie­der:

      »Seit ei­ni­gen Mo­na­ten erst, Ma­da­me. Ich bin bei der Ei­sen­bahn an­ge­stellt, aber Ihr Gat­te hat­te mir die Hoff­nung ge­macht, ich könn­te mit sei­ner Hil­fe Jour­na­list wer­den.«

      Sie hat­te ein noch aus­drucks­vol­le­res und wohl­wol­len­de­res Lä­cheln und mur­mel­te mit lei­ser Stim­me:

      »Ich weiß.«

      Es klin­gel­te von Neu­em und der Die­ner mel­de­te: »Ma­da­me de Ma­rel­le.«

      Es war eine klei­ne Brü­net­te, die mit flin­ken Be­we­gun­gen ein­trat. Ihre Ge­stalt schi­en von Kopf bis zu den Fü­ßen in ih­rem ganz ein­fa­chen dunklen Klei­de her­vor­zu­tre­ten. Nur eine rote Rose, die sie sich ins Haar ge­steckt hat­te, zog ge­walt­sam das Auge an. Sie un­ter­strich den Cha­rak­ter ih­res Aus­se­hens, sie be­ton­te ihr ei­gen­ar­ti­ges We­sen und gab ihr den leb­haf­ten, schnel­len Aus­druck, der zu ihr pass­te. Ein klei­nes Mäd­chen in kur­z­em Klei­de folg­te ihr. Ma­da­me Fo­res­tier eil­te ihr ent­ge­gen:

      »Gu­ten Tag, Clo­til­de.«

      »Gu­ten Tag, Ma­de­lei­ne.«

      Sie um­arm­ten sich. Dann hielt das Kind sei­ne Stirn zum Kus­se hin, mit der Si­cher­heit ei­ner Er­wach­se­nen und sag­te:

      »Gu­ten Tag, Cou­si­ne.«

      Ma­da­me Fo­res­tier gab ihr einen Kuss und stell­te dann vor:

      »Mon­sieur Ge­or­ges Du­roy, ein gu­ter Freund von Charles, — Ma­da­me de Ma­rel­le, mei­ne Freun­din und Ver­wand­te.«

      Sie füg­te hin­zu:

      »Sie wis­sen, wir sind hier ganz ein­fach un­ter uns, ohne Fei­er­lich­keit und Zwang. Das ist selbst­ver­ständ­lich, nicht wahr?«

      Der jun­ge Mann ver­beug­te sich.

      Doch die Tür ging von Neu­em auf und ein ganz klei­ner, runder, di­cker Herr er­schi­en. Er führ­te am Arm eine große, schö­ne Frau, grö­ßer als er selbst, viel jün­ger, mit vor­neh­mem Be­neh­men und erns­tem We­sen. Das war Herr Wal­ter, De­pu­tier­ter, Finan­zier, Geld- und Ge­schäfts­mann, ein süd­fran­zö­si­scher Jude, Di­rek­tor der Vie Françai­se, und sei­ne Frau, ge­bo­re­ne Ba­si­le-Ra­valau, die Toch­ter des Ban­kiers glei­chen Na­mens. Dann ka­men gleich nach­ein­an­der der ele­gan­te Jaques Ri­val und Nor­bert de Va­ren­ne, des­sen Rock­kra­gen un­ter der ste­ten Berüh­rung der lan­gen Dich­ter­mäh­ne glänz­te, die bis an die Schul­ter reich­te und die­se mit klei­nen wei­ßen Schup­pen be­deck­te.

      Sei­ne schlecht ge­bun­de­ne Kra­wat­te schi­en er nicht das ers­te Mal zu tra­gen. Mit der Gra­zie ei­nes ga­lan­ten al­ten Herrn küss­te er Frau Fo­res­tier auf das Hand­ge­lenk und sein lan­ges Haar fiel da­bei wie ein Was­ser­fall auf den nack­ten Arm der jun­gen Dame. Nun er­schi­en auch der Haus­herr und ent­schul­dig­te sich für sein spä­tes Er­schei­nen. Er sei je­doch in der Re­dak­ti­on durch den Fall Mo­rel zu­rück­ge­hal­ten wor­den. Der ra­di­ka­le Ab­ge­ord­ne­te Mo­rel hat­te so­eben den Mi­nis­ter we­gen ei­ner Kre­dit­for­de­rung für die Ko­lo­ni­sie­rung Al­giers in­ter­pel­liert.

      Der Die­ner mel­de­te: »Es ist an­ge­rich­tet!«

      Man ging in das Spei­se­zim­mer.

      Du­roy saß bei Tisch zwi­schen Ma­da­me de Ma­rel­le und ih­rer Toch­ter. Er fühl­te sich von Neu­em ver­le­gen, weil er fürch­te­te, ir­gend­ei­nen Irr­tum in der rich­ti­gen Hand­ha­bung von Ga­bel, Löf­fel oder Glä­sern zu be­ge­hen. Vier Glä­ser stan­den vor ihm, von de­nen eins et­was matt bläu­lich war. Was moch­te man wohl aus die­sem trin­ken? Wäh­rend der Sup­pe herrsch­te Schwei­gen, dann frag­te Nor­bert de Va­ren­ne:

      »Ha­ben Sie den Pro­zess Gau­thier ge­le­sen?«

      Und nun re­de­te man hin und her über die­sen Ehe­bruchss­kan­dal, der durch eine Er­pres­sung be­son­ders ver­wi­ckelt war. Man sprach nicht dar­über, wie man im Fa­mi­li­en­kreis über Er­eig­nis­se spricht, die in den Zei­tun­gen ste­hen, son­dern wie man un­ter Ärz­ten über Krank­hei­ten, un­ter Obst­händ­lern über Früch­te spricht. Man war nicht ent­rüs­tet oder er­staunt über die Tat­sa­chen, man forsch­te nur mit ei­ner be­ruf­li­chen Sorg­falt und mit voll­stän­di­ger Gleich­gül­tig­keit ge­gen­über dem Ver­bre­chen selbst, nach des­sen tiefe­ren, ver­bor­ge­nen Ur­sa­chen. Man such­te ein­fach die Mo­ti­ve der Hand­lung zu er­klä­ren, all die psy­chi­schen Vor­gän­ge, die die­ses Dra­ma ver­an­lasst hat­ten; es war so­zu­sa­gen das wis­sen­schaft­li­che Re­sul­tat ei­ner be­son­de­ren Geis­tes­ver­fas­sung. Auch die Da­men nah­men an die­ser Un­ter­su­chung regs­ten An­teil.

      Es wur­den dann noch an­de­re Er­eig­nis­se dis­ku­tiert, be­spro­chen, von al­len Sei­ten be­leuch­tet und nach ih­rer Wich­tig­keit be­ur­teilt mit dem schar­fen, prak­ti­schen Sinn der Zei­tungs­men­schen, der Nach­rich­ten­händ­ler, des zei­len­wei­sen Ver­scha­cherns der mensch­li­chen Ko­mö­die, ge­nau, wie man un­ter Kauf­leu­ten die Ge­gen­stän­de prüft und dreht und ab­schätzt, be­vor man sie dem Pub­li­kum zum Ver­kauf an­bie­tet. Dann kam das Ge­spräch auf ein Duell, und Jaques Ri­val er­griff das Wort. Das war sein Fach: nie­mand an­ders durf­te die­se Fra­ge be­han­deln.

      Du­roy trau­te sich nicht, an der Un­ter­hal­tung teil­zu­neh­men. Er be­trach­te­te ein paar­mal sei­ne Nach­ba­rin, de­ren üp­pi­ger Bu­sen ihn er­reg­te. An ih­rem Ohr hing ein Dia­mant, der durch einen dün­nen Gold­fa­den ge­hal­ten wur­de, wie ein Was­ser­trop­fen, der über das Fleisch ge­glit­ten war. Von Zeit zu Zeit mach­te sie eine Be­mer­kung, die stets ein Lä­cheln auf ih­ren Lip­pen her­vor­rief. Sie hat­te einen wit­zi­gen, lie­bens­wür­di­gen, schnell auf­fal­len­den Esprit, den Esprit ei­nes al­les wis­sen­den Gas­sen­jun­gen, der die Din­ge mit Gleich­mut be­trach­tet und mit leich­tem, lus­ti­gem Spott über sie hin­weg­geht.

      Du­roy ver­such­te ver­geb­lich, ihr ir­gend­ein Kom­pli­ment


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