Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
endlich diesem kümmerlichen Dasein ein Ende zu machen.
Plötzlich überkam ihn ein neuer Arbeitseifer, er setzte sich wieder an den Tisch und suchte wieder nach Worten, um den eigenartigen und reizvollen Eindruck von Algier zu schildern, dieses Eingangstor in das geheimnisvolle und tiefe Afrika, in das Land umherstreifender Araber und unbekannter Negerstämme, in das unerforschte und verlockende Afrika, dessen unwahrscheinliche Tierwelt uns bisweilen in den öffentlichen Gärten gezeigt wird; ganz merkwürdige Tiere, wie aus dem Märchenlande: Strauße, Riesenhühner, Gazellen, prächtige Ziegen, groteske Giraffen, schwere, ernste Kamele, ungeheuerliche Nilpferde, plumpe Rhinozerosse und Gorillas, diese abscheulichen Ebenbilder der Menschen.
Unbestimmte Gedanken schweiften in seinem Kopf; er hätte sie vielleicht erzählen können, aber er vermochte sie nicht in geschriebene Sätze zu fassen. Seine Ohnmacht erregte ihn fieberhaft, er sprang wieder auf, seine Hände schwitzten und das Blut hämmerte in den Schläfen.
Seine Blicke fielen auf die Rechnung der Waschfrau, die der Concierge ihm heraufgebracht hatte, und von Neuem überfiel ihn eine grenzenlose Verzweiflung. Seine Freude war im Augenblick dahin und mit ihr sein Selbstvertrauen und die Hoffnung auf seine Zukunft. Es war aus — alles aus; er würde es zu nichts bringen und würde nichts werden. Er fühlte sich leer, unfähig, unnütz und verdammt. Er trat an das Fenster und blickte hinunter. Ein Zug kam mit tosendem Lärm aus dem Tunnel heraus, um über Felder und Ebenen nach der Meeresküste zu fahren. Und Erinnerung an seine Eltern erfüllte das Herz Duroys.
Dieser Zug würde nur wenige Meilen von ihrem Hause vorbeifahren. Er sah es wieder, dieses kleine Häuschen am Eingange des Dorfes Canteleu, oben auf dem Abhang, der Rouen und das weite Tal der Seine beherrschte. Sein Vater und seine Mutter hatten eine kleine Schenke, ein Wirtshaus, wo die Einwohner des kleinen Vororts Sonntags zu frühstücken pflegten. Es hieß »Zur schönen Aussicht«. Sie hatten aus ihrem Sohn einen »Herrn« machen wollen und schickten ihn aufs Gymnasium. Nach Beendigung seiner Studienzeit fiel er beim Examen durch und hatte sich zum Militärdienst gemeldet, in der Absicht, Offizier, Oberst, General zu werden. Doch das Soldatenleben hatte ihn nicht befriedigt, und so war er, ehe er seine fünf Jahre Dienstzeit absolviert hatte, nach Paris gegangen, um dort sein Glück zu machen.
So war er hierhergekommen trotz der Bitten seiner Eltern, die ihn, als sie den Fehlschlag ihrer Hoffnungen einsahen, bei sich behalten wollten. Er seinerseits hoffte auf die Zukunft; der Erfolg musste kommen, er wusste nur nicht wie, aber er würde Mittel und Wege finden, ihn an sich zu reißen.
Schon im Regiment hatte er immer Glück bei Frauen gehabt und hatte in besseren Kreisen ein paar Abenteuer gehabt. Er hatte die Tochter des Steuereinnehmers verführt, die alles im Stich lassen wollte, um ihm zu folgen, und dann die Frau eines Anwalts, die, als er sie verlassen hatte, sich aus Verzweiflung zu ertränken versuchte.
Seine Kameraden nannten ihn einen Schlaukopf, einen Racker, der klug genug sei, sich aus der Klemme zu ziehen, und er hatte sich fest vorgenommen, dieser Kritik Ehre zu machen.
Sein angeborenes, normannisches Gewissen war durch die tägliche Praxis des Soldatenlebens, durch die Beispiele von Räubereien in Afrika, von unerlaubtem Missbrauch, von bedenklichen Prellereien abgestumpft und elastisch geworden; außerdem war er überreizt von den in der Armee geltenden Ehrbegriffen, von den quasi heroischen Taten, von denen die Unteroffiziere unter sich zu erzählen wissen und von dem ganzen Ruhmesglanz des Soldatenlebens, sodass sein Gewissen zu einer Art Kiste mit dreifachem Boden wurde, wo alles mögliche zu finden war.
Doch der Drang, Karriere zu machen, beherrschte alles andere.
Ohne dessen bewusst zu sein, war er wieder in Träumereien versunken, wie das allabendlich geschah. Er träumte von einem Liebesabenteuer, das ihm mit einem Schlage die Erfüllung aller seiner Hoffnungen bringen sollte. Er würde die Tochter eines Bankiers oder eines vornehmen großen Herrn heiraten, nachdem er sie auf der Straße getroffen und auf den ersten Blick erobert hätte.
Der schneidende Pfiff einer einzelnen Lokomotive, die ganz allein, wie ein großes Kaninchen aus seinem Bau, aus dem Tunnel hervorkam und mit vollem Dampf über die Schienen nach dem Maschinenschuppen lief, erweckte ihn aus seinen Träumen. Die etwas verwirrten Gedanken an diese frohen Hoffnungen, die sein ganzes Innere erfüllten, hatten ihn erfrischt, und er warf einen Kuss in die Nacht hinaus, einen Liebesgruß an das Bild der ersehnten Frau, einen Kuss des Verlangens nach dem Glück, das er begehrte. Dann schloss er das Fenster und begann sich auszukleiden, wobei er murmelte: »Ach was, morgen früh werde ich besser aufgelegt sein. Heute Abend ist mein Kopf zu schwer, vielleicht habe ich auch ein bisschen zu viel getrunken. Unter solchen Bedingungen kann man nicht gut arbeiten.« Er legte sich zu Bett, blies die Lampe aus und schlief fast unmittelbar danach ein.
Er wachte frühzeitig auf, wie man an Tagen lebhafter Hoffnungen oder großer Sorgen aufwacht, sprang aus dem Bett und öffnete das Fenster, um einen Schluck frischer Luft zu nehmen, wie er zu sagen pflegte.
Die Häuser in der Rue de Rome gerade gegenüber, jenseits des breiten Eisenbahndammes, leuchteten im hellen Schein der Morgensonne, als wären sie mit Licht weiß gemalt. Rechts in der Ferne sah er den Hügel von Argenteuil, die Höhen von Sannois und die Mühlen von Orgemont in leichtem, bläulichem Dunste, wie hinter einem dünnen, durchsichtigen Schleier, der auf den Horizont geworfen war.
Ein paar Minuten blieb Duroy in der Betrachtung der weiten Landschaft versunken und murmelte: »Es wäre doch verdammt schön da draußen an einem solchen Tag wie diesem.« Dann fiel ihm ein, dass er arbeiten müsste, und zwar sofort, und dass er für zehn Sous den Jungen des Concierge zu seinem Büro schicken müsste, um sich krank zu melden. Er setzte sich an den Tisch, tauchte die Feder in das Tintenfass, stützte den Kopf mit der Hand und suchte nach Einfällen. Alles vergebens. Nichts fiel ihm ein.
Trotzdem verlor er nicht den Mut. Er dachte: »Es ist nicht so schlimm, ich bin eben nicht daran gewöhnt. Das ist ein Handwerk, das man wie jedes andere lernen muss. Die ersten paarmal muss ich mir helfen lassen. Ich werde Forestier aufsuchen, und er macht mir meinen Artikel in zehn Minuten zurecht.
Er zog sich an.
Als er auf der Straße war, dachte er, dass; es wohl noch zu früh sei, sich schon seinem Freunde vorzustellen, denn er pflegte lange zu schlafen. Er ging langsam unter den Bäumen der äußeren Boulevards auf und ab.
Es