Das Ding – Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl. Jurgen Neffe
Drei Blocks quer, das sei doch genau die passende Bewegung vor dem Fest. Schon nach einem klagte meine Begleiterin, ihre Schuhe drückten unerträglich. Es waren Stöckelschuhe, so nannten wir da noch High Heels, was die Sache nicht besser machte. Als wir die Fifth Avenue erreichten, hatte sie sich Blasen gelaufen. Am liebsten hätte sie ihre Schuhe in den Wind geschossen. Das ging aber gerade nicht. Am Eingang zum Tower drängten sich Dutzende entlang des roten Teppichs.
Die meisten Eingeladenen schienen das zu genießen. Sie ließen sich in ihren Limousinen vorfahren und nahmen sich ausgiebig Zeit, bestaunt, bejubelt und fotografiert zu werden. Wir Leute aus dem gemeinen Volk kamen zu Fuß und hatten weder Lust auf das Gehabe, noch hätten wir als Unbekannte Anlass geboten, uns über Gebühr begaffen zu lassen.
Also beschleunigte ich meinen Schritt und schlängelte mich auf der Überholspur an den Berühmten und Bewunderten vorbei. Was gar nicht nötig gewesen wäre, da gerade die Oberweite von Pamela Anderson im Blickpunkt der Schaulust stand.
In meinem Eifer ließ ich meine Begleiterin zurück, die mit ihren wehen Füßen nicht mithalten konnte. Ich sehe noch heute vor mir, wie ungalant, geradezu rüpelhaft das auf die Umstehenden gewirkt haben muss. Die Rache des Schicksals sollte bald folgen. Kaum war der Spießrutenlauf beendet, bekam ich eine Lektion in Sachen Kleiderordnung.
Am Eingang spielten ein Geigentrio und ein Pianist. Kellner erwarteten die Gäste mit Champagner und frischen Erdbeeren. Ich entschuldigte mich bei meiner Begleiterin für den langen Fußweg und mein unmögliches Betragen. »Ist gut, lass uns den Abend genießen.« Wir stießen an und fanden einen Platz, von dem aus sich die Neuankömmlinge bestens beobachten ließen.
Unter den wenigen Farbigen fielen uns Eartha Kitt und David Dinkins auf, beide bald siebzig. Sie war als Sängerin, Schauspielerin und Königin der Nachtclubs berühmt geworden, er als erster afroamerikanischer Bürgermeister der Stadt. Ob dessen Nachfolger Rudolph Giuliani unter den Gästen war, wie mir mein Gedächtnis vorgaukeln will, kann ich nicht mehr mit Sicherheit sagen.
Unsere Gläser waren inzwischen ausgetrunken. Wir warteten auf eine Servierkraft mit Nachschub. Da kam der erste Gast auf uns zu und drückte mir seine leere Champagnertulpe in die Hand. Ein wenig verdattert nahm ich sie an. Weitere Besucher schickten sich an, seinem Beispiel zu folgen. Als sich endlich Kellner näherten, erkannte ich meinen Irrtum. Nur sie trugen Fliege, alle anderen Männer Krawatte. Wir waren auf einer Party, nicht auf einem Ball.
Allein die Kragenschleife hatte als Signal genügt, mich dem Dienstpersonal zuzurechnen. Und das, obwohl mir deren viel auffälligeres Merkmal fehlte, die weißen Handschuhe. Meine Begleiterin, die schon vorher Zweifel angemeldet hatte, ob ein Querbinder dem Anlass angemessen sei, vergaß in ihrer Belustigung sogar ihre wehen Füße.
Das Atrium hatte ich während eines früheren Aufenthalts in New York schon einmal aufgesucht. Mein Reiseführer hatte es als Muss unter den Touristenattraktionen empfohlen. Niemand, der es je betreten hat, wird den fünfundzwanzig Meter hohen Wasserfall vergessen. Und auch nicht sein sanftes Rauschen über die vorstehenden Kanten des lachsfarbenen italienischen Marmors, der den gesamten fünfstöckigen Bereich auskleidet. Daneben dominieren, außer dem vielen Glas, kupfergolden spiegelnde Metallflächen.
Die Halle erinnerte an ein schmuckes Kaufhaus ohne nennenswerte Verkaufsflächen. Tatsächlich beherbergte sie nur ein paar Shops der gehobenen Sorte. Eine Rolltreppe fuhr aufwärts, die andere nach unten. Sie wurde weltbekannt, als Trump zwei Jahrzehnte nach unserem Besuch an der Seite seiner dritten Ehefrau symbolträchtig zu den wartenden Reportern hinabglitt, um seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten zu verkünden.
An jenem Abend hatten die Läden geschlossen. Die Gaststätten wurden für die Party genutzt. An den Wänden hingen, eigens für seinen Ehrentag angefertigt, übergroße Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Donny als Kleinkind zeigten. Mal auf dem Dreirad, mal in der Badewanne, mal inmitten seiner Konfirmandengruppe.
Der Jubilar ließ es sich nicht nehmen, jeden der etwa vierhundert Ehrengäste persönlich zu begrüßen. Ich stellte ihm zunächst meine Begleiterin vor. Er ließ die Augen nicht mehr von ihr. Ich selbst, so versuchte ich seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken, verträte das wichtigste Nachrichtenmagazin Deutschlands. Seinem Nicken zufolge kannte er es. Ich sei erst seit zwei Wochen hier, der neue Mann in New York.
Ich gratulierte ihm zum runden Geburtstag. Zuerst auf Englisch, dann auf Deutsch, was ihm augenscheinlich gefiel. »Ich liebe Deutschland«, sagte er, »ein großartiges Land.« Ob ich denn wisse, dass sein Großvater väterlicherseits aus der Pfalz eingewandert sei. Ich bejahte, er grinste.
Von unserer ersten Begegnung blieb mir nur sein Sonntagslächeln. Und sein fester, aber keineswegs harter Händedruck. Für einen Mann seiner Statur besaß er eher kleine Hände. Jedenfalls keine Pranken. Das Gewebe war teigig, die Haut angenehm geschmeidig. Körperliche Arbeit schien ihnen fremd.
Die Feierlaune veranlasste mich zu der Bemerkung, ich selbst hätte gerade einen runden Geburtstag begangen, kurz vor seinem. Zwischen uns lägen genau zehn Jahre und neun Tage. Deswegen würde ich sein Datum nie wieder vergessen. Er zeigte sich erfreut und nahm noch einmal meine Hand in seine. So etwas hatte ihm an diesem Abend wohl noch keiner gesagt.
Mir bedeutet die runde Zahl an sich nichts, jedenfalls nicht mehr als alle anderen. Ich begehe jeden Geburtstag so, wie ich es seit Kindertagen kenne. Unter den sechs Ehrentagen unserer Familie ragte meiner immer heraus. Weil ich, so meine Eltern, nach meiner Geburt wegen multipler Organschwäche dem Tod geweiht gewesen sei. Die Ärzte hätten mir kaum Überlebenschancen eingeräumt.
All das weiß ich natürlich nur aus Erzählungen. Das biografische Gedächtnis beginnt immer mit Hörensagen. Der diensthabende Chirurg hat mich demnach gleich nach der Entbindung getauft. Meine Geburtsurkunde legt Zeugnis darüber ab. Solche Nottaufen nach dem Ritus der römisch-katholischen Kirche sollten sicherstellen, das ein Neugeborenes im Falle seines Ablebens in den Himmel kommt.
Wie man sieht, lebe ich noch immer auf Erden. Diesen Sieg, den ersten meines Lebens und größten, den ein Mensch erringen kann, nämlich den Sieg über den Tod, würdige ich Jahr für Jahr, mal im Kleinen, mal größer.
Ob ich denn, fragte mich der frischgebackene Fünfziger und ließ meine Hand wieder los, in meinem Magazin über seine großartige Feier berichten wolle? Großartig zählte offenkundig zu seinen Lieblingswörtern. Ich sagte, mehr aus Höflichkeit denn mit Plan und Absicht, das sähe ich eher als Teil einer größeren Geschichte über ihn.
Er setzte sein unwiderstehliches Siegergrinsen auf. Das beherrscht er wie kein anderer. »Rufen Sie mein Büro an für einen Termin.« Dann wünschte er uns mit anhaltendem Blick auf die Frau an meiner Seite viel Spaß auf seiner Party. »Das Beste, was Ihnen die City heute zu bieten hat.«
Wir hatten tatsächlich Spaß als Zaungäste einer ziemlich skurrilen Festveranstaltung. Die immer neuen Show-Einlagen und Auftritte wurden nach einem überall aushängenden Ablaufplan zeitgenau in Szene gesetzt. Pünktlich um halb acht verstummte wie von Geisterhand gesteuert der Wasserfall. Aus Lautsprechern besang Frank Sinatra die Stadt, die niemals schläft. Wer es hier zu etwas bringe, der schaffe es überall, und so weiter.
Dann wurde der holden Familie gehuldigt. Der Präsident der nach ihm benannten Unternehmensgruppe und seine extrem blonde zweite Frau Marla traten auf eine Balustrade über unseren Köpfen. Sie winkten und wirkten mit ihren unwirklich weißen Zahnreihen, als wollten sie Reklame für ihre Zahnärzte machen. Eartha Kitt sang »Happy Birthday«, während sich Hunderte goldene Luftballons auf uns ergossen. Gold ist seine Lieblingsfarbe.
Seine vier Kinder kamen auf die Bühne. Die drei älteren, eine Tochter und zwei Söhne aus erster Ehe, boten ihm nacheinander ihre einstudierten Ständchen dar. Nur die Kleinste auf dem Arm der Mutter hatte ihren Text vergessen. Sie säuselte auch nach vergeblicher Souffleusenhilfe der gluckenglücklichen Mama zum Vergnügen des Publikums und ihres Vaters nur unbekümmert etwas wie »Hu, hu, hu« ins Mikrofon.
Die Gattin trug einen weißen Hosenanzug von Claude Montana, so habe ich es tags drauf der Presse entnommen, mit schweren, überlangen Fransen am Untersaum des Oberteils, so habe ich das selbst gesehen. Das Püppchen im Puppenkleidchen