Gleichwertige Lebensverhältnisse - Vision oder Illusion. Группа авторов

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(vgl. Tooze 2018).

      Die „Globalisten“ begründeten ihre Vorstellung von Demokratie, Rechten und Freiheit auf ökonomischen Theorien. Der „consumerism“ griff umfassend auf das 1972 von William Hutt in die Wirtschaftstheorie eingeführte Konzept der „Konsumentensouveränität“ zurück (vgl. Slobodian 2019, 247). Der „Bürger“ werde erst als „Konsument“, der „souverän“ zwischen verschiedenen Angeboten wählen könne, frei, anstatt an einen staatlichen Monopolanbieter gekettet zu sein und möglicherweise, durch Anschlusszwang oder das staatliche Abgabensystem, zum Konsum dieser Leistungen auch noch gezwungen zu werden.

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      Die Behauptung, der Markt als „Entdeckungsverfahren“ (Friedrich von Hayek) halte für jedes Problem die beste Lösung bereit, ist sehr häufig, aber nicht immer richtig. Der Finanzsektor dürfte von seinen Bedingungen her am ehestem dem Ideal des vollkommenen Marktes entsprechen. Dennoch hat er 2008 auf dramatische Weise versagt, und der von der Finanzwelt so verachtete Staat musste ihn als Nothelfer retten.

      Über Jahre hat sich der Staat vergeblich darum bemüht, die Mobilfunkausrüster dazu zu bringen, die Republik mit einem dichten Netz an Funkmasten zu überziehen. Während sich in den Ballungsräumen Funkmast an Funkmast reiht, weil hier ein Geschäft zu machen ist, lohnt die Investition auf dem Land nicht. Die Folge ist eine Unterversorgung des ländlichen Raums, die nicht akzeptabel ist (siehe hierzu das Interview mit Kevin Kühnert in diesem Heft).

      Ein kompletter Fehlschlag ist die Privatisierung der Bahn in Großbritannien, wie Peter Meek in seiner bitter-ironischen Bilanz „Private Island“ zeigt. Der britische Staat nimmt immer mehr Strecken in sein Eigentum zurück, nachdem sich Private so lange die Erträge gesichert und an ihre privaten Investoren ausgeschüttet hat, bis die nicht mehr länger hinauszuschiebenden Investitionen einen rentablen Betrieb nicht mehr ermöglichten. Nun darf der Staat die heruntergewirtschafteten Unternehmen übernehmen. Und das, obwohl die Preise der britischen Bahn enorm hoch sind. Das Jahresticket zwischen der Londoner City und dem Londoner Vorort Petersborough kostet so viel wie die 2. Klasse-BahnCard 100 der Deutschen Bahn AG. Das sind Preise, die breite Bevölkerungsschichten von der Mobilität ausschließen.

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      © picture alliance / empics | Lianne Cooper

       In London wird im November 2009 die Rücknahme der East Coast Mainline in die öffentliche Hand gefeiert.

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       Ohne ein Netz an öff entlichen Leistungen stünde jede privatwirtschaftliche Tätigkeit auf tönernen Füßen

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      administrative Infrastruktur. Das Foundational Economy Collective hat auf die elementare Bedeutung dieser „Fundamentalökonomie“ für unseren Wohlstand hingewiesen. Dieser ist das Werk einer großen Gemeinschaft, die auf den Werten von Freiheit und Solidarität beruht, nicht auf der besseren Leistung des Einzelnen, auf der Grundlage von Eigennutz und schrankenloser Konkurrenz.

      Und schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Staat ein höchst erfolgreicher Risikoinvestor ist. Ohne die Grundlagenforschung in den durch den Staat finanzierten Universitäten und Forschungslaboren gäbe es wohl weder das Internet noch ein iPhone. „Der Staat hinter dem iPhone“ hat Mariana Mazzuca-to (2016, 115) diese Leistung bei der Entwicklung neuer technischer Systeme und deren ökonomische Verwertung durch Private eindrücklich beschrieben.

      Alles in allem hat es allerdings den Anschein, dass dieser zentrale Beitrag des Staates zum volkswirtschaftlichen Wohl, aber auch zum privatwirtschaftlichen Nutzen vieler Unternehmen, zu gering geachtet wird. Die globalen Konzerne zeigen sich jedenfalls bei der Steuervermeidung mindestens so kreativ wie bei der Nutzung der Entwicklungen, die der Staat finanziert hat. Es hat also nichts mit Klassenkampf zu tun, wenn man die globalen Konzerne daran erinnert, dass sie ihren gerechten Beitrag zu dieser Fundamentalökonomie, von der ihre Ertragsstärke maßgeblich abhängt, leisten sollen.

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      Biebricher, Thomas 2018: The Political Theory of Neoliberalism. Stanford.

      Crosland, Charles Anthony Raven 1957: The Future of Socialism. New York.

      Deaton, Angus 2017: Der Große Ausbruch. Von Armut und Wohlstand der Nationen. Stuttgart.

      Foundational Economy Collective 2019: Die Ökonomie des Alltagslebens. Für eine neue Infrastrukturpolitik. Berlin.

      Mazzucato, Mariana 2014: Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum. München.

      Polanyi, Karl 1957: The Great Transformation. Boston [EA 1944].

      Rodrik, Dani 2011: Das Globalisierungs-Paradox. Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft. München.

      Slobodian, Quinn 2019: Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus. Berlin.

      Stiglitz, Joseph 2012: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht. München.

      Streeck, Wolfgang 2013: Gekaufte Zeit. Die Krise des demokratischen Kapitalismus. Frankfurt/M.

      Tooze, Adam 2018: Crashed. Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben. München.

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      Dr. Stefan Schieren Ist Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Mitherausgeber von POLITIKUM

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