Nagasaki, ca. 1642. Christine Wunnicke
zwecklose Geschäftigkeit.
Er brauchte drei Tage, um das Schwert zu montieren. Das war nicht normal. Die Wachen sagten, er habe das Schwert, als es denn montiert war, angeschaut, und sonst nichts. Drei Tage lang ein Schwert anzuschauen, war auch nicht normal. Herr Seki bekümmerte sich sonst nicht um Schwerter. Wenn er doch einmal ausging, etwa einmal im Jahr, und wohl oder übel eines führen musste, stopfte er es so schlampig zum Kurzschwert in den Gürtel, dass die jungen Männer das gar nicht mit ansehen konnten. Und jetzt schaute er allen Ernstes drei Tage lang eines an, und sonst nichts, und kam nicht einmal zum Essen? Kein Wunder, dass Frau Seki so miserabler Laune war.
»Das ist eine alte Liebesgeschichte«, sagte der Schwiegervater, als man ihn allzu sehr bedrängte, »und, findet er, eine offene Sache.«
6
»Habe ich euch eigentlich den Meteoriten gezeigt«, fragte Abel van Rheenen den Kapitän, als sie bei Fort Zeelandia vor Anker gingen, »der in der Straße von Malakka vom Himmel fiel und eine Delle ins Achterdeck schlug und einen Brandfleck machte?«
Der Kapitän gab keine Antwort.
»Um die lautere Wahrheit zu sprechen, ich verrichtete meine Notdurft, und dabei erschlug er mich fast!« Van Rheenen zog einen runden schwarzen Stein aus der Rocktasche. Doch der Kapitän war längst woanders.
»Ich sah eine Flamme, einen Schweif«, verkündete Abel und sprang hinüber zum Steuermannsmaat, »und dann zischte es, eine Handbreit von meinem Gemächt …«
Der Steuermannsmaat stöhnte und lief dem Kapitän hinterher.
»Es bringt Glück! Aber ich werde den Meteoriten einer naturkundlichen Sammlung schenken«, rief Abel dem Segelmeister zu. »Apropos Glück, habe ich euch einmal erzählt, wie ich zur Welt kam? Ich hatte eine vollends unversehrte Glückshaube auf dem Kopf, und jede Wehe der Mutter pumpte mehr Luft hinein, und als ich endlich geboren war, steckte ich in einem Ballon, der doppelt so groß war wie …«
Und der Segelmeister lief zum Besansegel.
Da gab es Abel wieder einmal auf. Immer versuchte er es, immer gab er es auf. Vermutlich hätten Hörner auf seiner Stirn sprießen oder er hätte auf Engelsflügeln den Mastkorb umschwirren oder auch die Silberinseln entdecken können, niemand hätte sich dafür interessiert. Er seufzte ein wenig und sang ein wenig, schon recht kunstreich, auf Japonesisch, und dann suchte und fand er seinen Portugiesen, den er kurzerhand aus Batavia mitgenommen hatte, und schob noch eine kurze Sprachlektion ein, bis man endlich an Land ging.
Das Japonesische war nicht schwer. Es hatte wenige Wörter und noch weniger Grammatik. Sehr viele Dinge und Sachverhalte, sagte der Portugiese, seien in Japonica von alters her unbenannt geblieben, und man mied sie als Gesprächsthemen entweder ganz oder schrieb sie schweigend in sinesischen Zeichen auf Täfelchen, die man einander dann umständlich zuschob. Abel wusste nicht recht, ob er das glauben sollte. Auch dass sich das Wörtlein »ich« auf siebzehn Weisen übersetzen lasse, von denen allerdings jede einzelne als Benimmfehler gelte, weshalb man stattdessen stumm auf seine Brust tippen müsse, wenn man denn unbedingt »ich« sagen wolle, überzeugte ihn nicht ganz. Dafür repetierte er, mit ersterbender Stimme im japonesischen Klageton, alle Körperteile und alle Farben und viele Tiere und alle Zahlen und den Beginn des Markusevangeliums und diverse Grüße und Bittworte und Dankworte und stückelte dann auch allerlei Silben an allerlei Verben an, bis sie von Vergangenheit und Zukunft sprachen und von Vielleicht und Wenn-dann und Gewissnicht. Der Portugiese lobte ihn, und Abel schenkte ihm seinen Meteoriten.
Die Zeit auf Formosa verging wie im Flug. Abel van Rheenen fand ein Mädchen, sein bestes Mädchen seit Rotterdam. Sie hatte ein Streifenmuster in die Wangen gebrannt, sprach Spanisch und trug Blumen im Haar. Zum Abschied wollte sie Kaffee und einen Kuss. Und dass er sie ansah und stillhielt dabei, volle zehn Atemzüge lang.
7
Zwei Tage nach dem Blumenfest rief Seki Keijiro den gesamten Haushalt zusammen, um kundzutun, dass er den Haarschneider bestellt hatte. »Ich habe ohnehin wenig Freude an ihm«, sagte er säuerlich, »und ich möchte mich nicht zu allem Überfluss auch noch im Pförtnerhaus einrammeln müssen, um mir die Haare machen zu lassen, und deshalb spreche ich eine förmliche Warnung aus, damit ihr euch rechtzeitig Beschäftigungen suchen könnt, die euch von diesem großen Ereignis ablenken, und ich gestatte mir ebenfalls die Warnung, dass ich schlechte Laune bekommen werde, wenn ihr wieder wie die Karpfen hinter allen Türen hervorgafft.«
Die Mitteilung wurde nicht gut aufgenommen, besonders nicht von Frau Seki. Bis der Haarschneider endlich kam, lag sie, unterstützt von einer Tochter und einer Dienerin, ständig ihrem Vater in den Ohren, Keijiro werde sich den Kopf scheren lassen und ins Kloster gehen und sie müsse mit und dort Gerstenbrei essen und beten und sterben. Es endete damit, dass Seki Keijiro und sein Schwiegervater sich anderthalb Tage lang zusammen im Pförtnerhaus versteckten und einander mürrisch anschwiegen.
Seit gut zwanzig Jahren hatte Keijiro keinen Haarschneider empfangen, da er dies, wie so vieles, nicht nötig hatte. Er trug seine Haare, wie Haare nun einmal wuchsen, und wenn alles ins Gesicht hing, drehte er einen neuen Knoten, und wenn sie zu lang wurden, schnitt er sie ab. Er sah aus wie ein Räuber. Und jung, sagten die Mägde. So gut erhalten, der edle Herr Seki, wie eingelegter Rettich. Kaum grau auf dem Kopf, mit siebenundfünfzig Jahren, und steht da wie ein Birkenbaum, obwohl er immer nur sitzt.
Herr Seki ließ den Haarschnitt wort-, klag- und reglos über sich ergehen. Dabei zog er ein Gesicht wie einer, der unter der Folter schweigt, bis ihm das Gedärm bei den Knien hängt, erzählte nachher der Haarschneider. Aber dann wurde es fürwahr eine Plage. Herr Seki bekam einen Rasurbrand und über dem Rasurbrand einen Ausschlag vom dicken Haaröl und an den Ohren einen Ausschlag vom dünnen Haaröl und im Nacken einen grundlosen Ausschlag, und dann schälte und schuppte sich alles. Er legte sich ein nasses Handtuch auf den Kopf, setzte darauf einen Binsenhut und machte Reisleim. Damit klebte er Holzspäne in die Scheide des anderen Schwerts, auf dass die Klinge fest sitze. Niemand kam gelaufen. Herr Seki hatte eine solch üble Laune, dass man das bis zum Westflügel spürte. Man mied ihn vorsichtshalber eine ganze Woche lang. Frau Seki ging freiwillig in ein Kloster und aß dort Gerstenbrei und betete, wenn auch wohl nur vorübergehend.
»Und warum?«, fragte der Schwiegervater.
»Posten«, sagte Seki Keijiro.
»Was?«
»Nagasaki.«
»Gönnst du mir einen ganzen Satz, Keijiro?«
Herr Seki räusperte sich. Einen Moment lang wünschte der Schwiegervater, er hätte nichts gefragt. Einen Moment lang wünschte er, er wäre im Westflügel geblieben oder hätte seine Tochter ins Kloster begleitet.
»Ich trete einen Posten in Nagasaki an«, sagte Herr Seki leise und warf einen unklaren Blick durch das Binsengitter vor seinen Augen, »beim dortigen Statthalter, der lieber in Yedo Speichel leckt, als in Nagasaki sein Amt zu versehen, weshalb ich für ihn die Barbaren verwalte, die fremden Kaufleute in ihrer Umzäunung.«
Da war der Schwiegervater recht sprachlos.
»Es geht mir um die Orandesen«, sagte Keijiro. Dieses Wort kaute er langsam.
»Orandesen«, echote der Schwiegervater, zu verdutzt, um verschüttetes Wissen auszugraben; auf den Kopf zu gefragt, hätte er wohl nicht beantworten können, worum es sich hierbei handelte.
»Und wie ging das zu?« Der Schwiegervater hörte aus seiner Stimme einen lamentierenden Ton heraus, der ihn an seine Tochter erinnerte. Er räusperte sich nun seinerseits.
»Ein Brief hin«, sagte Keijiro, »ein Brief zurück.«
»Und warum …«
»Ich verfolge Nachrichten über Oranda seit einundvierzig Jahren.« Wieder warf er einen Blick durch die Binsen, unlesbar, nicht angenehm. »Seit man letzthin für die Christen die Grenzen geschlossen hat …« Er stockte. »Seit die Christen vertrieben sind …«, begann er erneut und brach