Nagasaki, ca. 1642. Christine Wunnicke

Nagasaki, ca. 1642 - Christine Wunnicke


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      »Du sollst den Oberkommandanten nicht ›den da‹ nennen und nicht in seine Richtung zeigen, als wäre das ein Baum oder ein Pferd oder was weiß ich«, rügte ihn der Schwiegervater.

      Keijiro stöhnte. »Seit unser aller edler Herr Oberkommandant in Yedo, der kleine Iemitsu …«

      »Du sollst ihn nicht ›den kleinen Iemitsu‹ nennen, Blitz und Kugelblitz!«, rief der Schwiegervater.

      »Ich kannte ihn, als er klein war. Jetzt kenne ich ihn nicht mehr, erfreulicherweise.«

      Der Schwiegervater blieb jetzt stumm. Er wollte nicht versehentlich eine dieser Geschichten über den kleinen Iemitsu hervorlocken. Als er ein berühmter Mann gewesen war, hatte Herr Seki die Söhne des damaligen Oberkommandanten unterrichten dürfen, vor allem jenen, der nun selbst Oberkommandant war. Manchmal, wenn er getrunken hatte, erzählte Herr Seki recht breit davon, und jedesmal musste der Schwiegervater lachen und bangte dann tagelang um seinen Kopf.

      »Seit der großmächtige Herr Tokugawa Iemitsu es für gut befand, die Christen abzuschaffen«, sagte Keijiro endlich, »sind die Orandesen allein. Das passt mir. Ich habe einundvierzig Jahre darauf gewartet, dass man sie mir zu einem handlichen Bündel schnürt. Jetzt tat man mir die Gnade.« Er verschob die Unterlippe zu einer Art Lächeln. Der Schwiegervater war nun so verwirrt, dass er sich überhaupt keinen Reim mehr auf Orandesen machen konnte und auch keinen Reim auf seinen Schwiegersohn.

      Sie saßen viele Minuten schweigend da.

      »Wenn du einen Posten beim Statthalter hast, solltest du dort vielleicht auch nicht verkünden, dass der Statthalter in Yedo Speichel leckt«, murmelte der Schwiegervater.

      »Ah«, sagte Keijiro.

      Das Haus war still. Vielleicht waren sie inzwischen allesamt ins Kloster verschwunden. Der Schwiegervater linste durch Keijiros Hut. Er dachte, welch furchtbarer Mann das gewesen sei, welch furchtbarer Mann das vielleicht immer noch war, der furchtbare Seki Keijiro, wie er hockte und webte und trank und lauerte, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt, und nicht vernünftig älter wurde, mit seiner ewigen furchtbaren offenen …

      »Ist es der Statthalter? Die Sippe des Statthalters?«, flüsterte der Schwiegervater. Er warf einen Blick auf das andere Schwert, das blank dalag, während der Reisleim trocknete.

      »Nein«, sagte Keijiro, »die Orandesen. Du hörst mir nicht zu.«

      Dem Schwiegervater fiel dazu noch immer nichts ein.

      »Ich habe eine offene Angelegenheit«, sagte Keijiro, »sie betrifft Orandesisches, und ich weiß auch nicht viel besser als du, was das eigentlich ist, und jetzt ist es soweit, und erzähl es bitte nicht meiner Frau.«

      Dann nahm er den Hut ab und das Handtuch vom Kopf und kratzte ausgiebig seinen geschälten, geschuppten, für einen anständigen Posten anständig frisierten Kopf, und dann begann er zu lachen, und er lachte lange, völlig vergnügt, oder zumindest fast.

      Zwei Tage später brach er mit kleinem Gefolge auf. Der Schwiegervater ritt ein Stück mit ihm. Auf dem Rückweg würde er seine Tochter im Kloster abholen. Seki Keijiro hatte den Webstuhl dabei, in praktische Teile zerlegt, und er trug noch immer den Binsenhut, und das andere Schwert, in einer schönen roten Tasche, trug er über dem Rücken.

      8

      An einem hellen, heißen Julimorgen mitten im japonesischen Archipel, als schon alles voller japonesischer Schiffe war, brachte jemand auf der Middelburg plötzlich ein Dokument des Mutterhauses der Kompanie zutage, worin geschrieben stand, wie man sich in Japonica zu betragen habe.

      Die gesamte Besatzung wurde zusammengetrommelt, und der säumige Mensch mit dem Dokument, der sein wehes Gewissen, es monatelang vergessen zu haben, durch Gebrüll zu besänftigen suchte, mühte sich sehr, dreißig ungelesene Seiten aus dem Stegreif zusammenzufassen. Abel van Rheenen wippte in der ersten Reihe stolz auf den Zehenspitzen, vom babbelnden Nichts zum Japonica-Kenner avanciert. Er beherrschte schließlich die Sprache.

      Das Dokument stieß vor allem Warnungen aus: nur reden, wenn gefragt, und auch dann besser nicht; stets sich für alles entschuldigen; Staatssachen nicht erwähnen; die Heimat verschweigen; nichts anfassen; nicht trinken, was offeriert wird; nichts zu trinken offerieren; sich immer bedanken; immer die Hände waschen; erst die sinesische Seide verkaufen; Degen tragen; Hut tragen; Stiefel unter Umständen ablegen … »Und kein Wort über Gott«, brüllte der Verwahrer des Dokuments, »bei Christi Blut und Wunden, nie ein Wort über Gott!«

      Den Dolmetsch trafen hilfeheischende Blicke.

      »Ist Fort Decima eine niederländische Festung?«, erkundigte sich Abel van Rheenen kühl. Der Augenblick behagte ihm. Er bekam keine Antwort.

      »Geistliches Schrifttum«, brüllte der Mann mit dem Dokument, »geistliche Bilder, Symbole, Münzen …«

      »Hände waschen?«, fragte Abel van Rheenen.

      Der Kapitän angelte aus seinem Hemdkragen ein Sankt-Nikolaus-Amulett, nahm es ab und steckte es sich in den Stiefel. Oh, jetzt sehnte er sich nach seiner papistischen Schleimspur, der hochprächtige Misthammel! Abel grinste.

      Die japonesischen Schiffe kamen näher. Es waren schon die Lotsen. Für solche Schiffe, fand Abel, musste man sich in der Tat nicht die Hände waschen. Er setzte den Hut auf, legte den Degen an und blickte stolz vom Deck in die Tiefe.

      Plötzlich begann er lauthals zu singen: Sehr christlich war getrieben, mein fürstelich Gemüt, standhaftig ist geblieben, mein Herz in Widerspüt!

      Der Affe ließ sich auf seinen Hut fallen. Die japonesischen Bootchen sahen aus wie Napfmuscheln neben dem gewaltigen schwangeren Bauch der niederländischen Madame.

      »Tja nun«, sagte Abel. »Ich werd’s euch schon zurechtdisputieren.«

      9

      Sie waren über das Fallreep gekommen, zehn Mann, und da standen sie nun an Deck. Drei trugen kaum einen Faden am Leib, die anderen sieben eine Art Mönchsornat, schwarzgraue Kutten.

      Der Kapitän hatte Abel vor sich hingestellt als Sprachbollwerk, und so verneigte er sich in erster Reihe. Die Japonesen waren fertig mit Verneigen, bevor die Holländer überhaupt die Hüte gezogen hatten, und warteten dann stumm und regungslos und mit nicht sehr verbindlichen Mienen, bis das Gewedel beendet war. Nur die drei Nackten verbeugten sich weiter, allerdings nicht vor den Holländern, sondern vor ihren Genossen, und zwar mindestens zwanzig Mal, und sahen dabei aus, stellte Abel fest, als wären sie gern über Bord gesprungen. Wohl waren die Nackten die Knechte der Schwarzgrauen.

      Nun sah sich Abel einem jungen Mann gegenüber, der bei den Japonesen in erster Reihe stand. Er hatte einen recht kahlen Kopf und obenauf eine Verzierung, ein gelacktes Schweinsschwänzchen, vielleicht ein Haarzopf, vielleicht auch etwas Angeleimtes, es war unkleidsam. Er starrte an Abel vorbei und schluckte.

      »Nun sagt schon, was man eben sagt«, zischte der Kapitän von hinten in Abels Ohr. Der schluckende Jüngling wurde von einem Mann angebellt, dem wohl die japonesische Truppe unterstand. Die Sprache, in welcher er bellte, hatte Abel noch nie gehört. Da verneigte sich der Jüngling, schluckte dreimal und würgte etwas sehr Langes und Mühsames und Kehliges hervor. Dies war eine andere Sprache, und sie war Abel ebenfalls neu.

      »Der Kapitän entbietet im Namen der siebzehn Herren der Ostindien-Kompanie seinen Gruß und seine Verehrung und dankt ergebenst für die gastfreundliche Aufnahme«, zirpte Abel in seinem schönsten ersterbenden Japonesisch.

      Da stieß der Jüngling vor dem japonesischen Kommandeur plötzlich mehrfach dieselben bitteren Laute aus, und plötzlich begriff Abel, das war ›freudiger Tag‹ auf Holländisch, und das war der japonesische Dolmetsch. Er lächelte ihm aufmunternd zu. Der Dolmetsch lächelte nicht zurück. Kurz von hinten angebellt, eilte er davon, weit davon, bis zu den Nackten, und nahm dort eine degradierte Haltung ein. Er hatte verloren. Abel hatte gewonnen. Der japonesische Kommandeur stand jetzt dicht vor


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