Mein. Lilly Grünberg

Mein - Lilly Grünberg


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      »Drehst du jetzt völlig durch? Wie soll das denn gehen? Die hört mich doch erst gar nicht an … außerdem hab ich noch zu tun.«

      Klar, sie hätten rein äußerlich nicht unterschiedlicher sein können. Nur – eigentlich erwartete seine Auserwählte ja gar nicht jemanden von Linus’ Statur …

      »Ach komm schon, ist ja nur für ’ne Stunde. Weißt du, Maik, es ist so … Ich meine, ich habe ihr zwar geschrieben, dass ich für die Orangen Engel arbeite. Ganz mit offenen Karten, auch wegen meinen Arbeitszeiten, sonst gibt das später Stress, nach dem Motto: Hätte ich das gewusst … Aber, nun ja, das Foto, weißt du, das man hochladen muss …« Seine Stimme drohte zu versagen und Linus räusperte sich. »Also, um es kurz zu machen: Auf dem Foto bist du zu sehen.« Jetzt war es endlich raus. Sein Herz raste wie verrückt.

      Stille.

      »Maik? Bist du noch dran?«

      »Sag das noch mal!« Der pikierte Unterton war nicht zu überhören. »Du hast wohl nicht alle Tassen im Schrank? Du kannst doch nicht einfach mein Bild … Also, du bist ja ein solcher Vollpfosten!« Ein letztes ungehaltenes Schnauben war zu hören, dann brach die Verbindung plötzlich ab.

      Mist, und nun? Es war Maik nicht zu verdenken, dass er diese Neuigkeiten nicht gut hieß. Verzweifelt hieb Linus mit der Faust auf die Hupe. Der Fahrer auf der linken Spur neben ihm zeigte ihm einen Vogel.

       Was für ein verkackter Tag!

      4

      Die Stunde rückte näher und Maureen verfluchte ihre Freundinnen, die ihr das eingebrockt hatten. Es war zwar ganz unterhaltsam, mit einem Wildfremden zu chatten, ihn aber zu treffen, war eine andere Sache. Je häufiger sie darüber nachdachte, desto weniger Lust verspürte sie dazu. Auch wenn ihr das Bild des Mannes inzwischen vertraut erschien und er sympathisch aussah.

      Bilder konnten lügen. Informationen konnten lügen. Das Internet war eine Lüge. Und überhaupt: Waren nicht Männer die geborenen Lügner?

      Das Telefon klingelte. Mit einem Stoßseufzer nahm Maureen ab. Das Display verriet, dass der Anrufer Denise war.

      »Hi, wie geht’s dir? Bist du schon aufgeregt?«

      Sie hätte den Mädels nicht verraten sollen, dass ihr Date heute Abend stattfand.

      »Ein bisschen«, gab Maureen zu. Am besten wäre sie wohl beraten, ihr Handy bei Verlassen der Wohnung auszuschalten, um nicht genervt zu werden.

      »Soll ich dir noch ein paar Tipps verraten? Also ich würde …«

      »Danke«, wehrte Maureen lachend ab. »Lieb von dir gemeint, aber ich bin schon erwachsen. Und ich bin auch ein anderer Typ als du, also lass es.«

      »Na gut«, sagte Denise und fuhr fort über ihren neuesten Flirt zu schnattern, was Maureen überhaupt nicht interessierte. Denise hatte alle paar Wochen einen Neuen, das konnte niemand ernst nehmen. Davon abgesehen aber war sie eine liebe und äußerst zuverlässige Freundin, wenn man sie mal brauchte.

      Nur noch mit halbem Ohr zuhörend rief Maureen das Partnerportal am Bildschirm auf und betrachtete wohl zum hundertsten Mal das Foto. Dem rundlichen Gesicht nach zu urteilen war ihr Datingpartner nicht der Schlankste, aber das würde sie nicht stören. Hauptsache intelligent, liebevoll und gepflegt … Maureen überlegte weitere Charakterzüge, die ihr wichtig waren und auf die sie heute Abend achten wollte. Humor war wichtig, und gute Manieren. Das einzige, was sie so schnell nicht herausfinden würde, waren seine sexuellen Neigungen. Immerhin war Sex ein wesentlicher Bestandteil einer Partnerschaft und wenn sie ehrlich war, vermisste sie dies fast noch mehr als die Anwesenheit eines anderen Menschen, wenn sie abends nach Hause kam. Die körperliche Berührung, angefangen von einem simplen Kuss, einem herzlichen in den Arm nehmen, bis hin zu aufregenden, sinnlichen und erotisierenden Zärtlichkeiten – das war etwas, was ihr fehlte, seit sie sich von Severin getrennt hatte.

      »Hörst du mir überhaupt noch zu?«

      Shit, ertappt.

      »Ähm, also, nimm’s mir nicht übel, aber ich wollte noch unter die Dusche, muss mich noch schminken und weiß auch noch nicht, was ich anziehe.«

      Denise lachte. »Sag halt, dass ich dir auf die Nerven gehe und dich aufhalte! Viel Spaß heute Abend!«

      Puh, erleichtert legte Maureen auf. Eigentlich war Denise ja doch eine verständnisvolle und liebe Freundin.

      Hoffentlich machte sie heute das Richtige. Ein wenig nervös dachte Maureen zurück an vergangene Tage.

      Nach Peter hatte es noch einen zweiten Mann in ihrem Leben gegeben. Für kurze Zeit. Severin war ein passabler Liebhaber gewesen, dazu gut aussehend und erfolgreich in seinem Job als angehender Rechtsanwalt. Sie hatten beide auf geistiger Augenhöhe verkehrt, über Politik und Wirtschaft diskutiert, nur in besseren Kreisen verkehrt. Nur leider war Severin nicht treu gewesen, womit Maureen wieder bei der Schlussfolgerung ankam, dass Männer die geborenen Lügner waren. Über Monate war es ihm gelungen, ihr glaubhaft zu erklären, dass er Überstunden machte oder für ein bis zwei Tage auf Dienstreise wäre, bis ein dummer Zufall die Wahrheit ans Licht brachte. Nun erklärte sich auch von alleine, warum er viel zu selten Lust auf Sex hatte.

      Als Maureen ihn zur Rede stellte, leugnete er nicht, eine Geliebte zu haben, aber es sei nichts Ernstes, er wolle schon die ganze Zeit über Schluss machen. Morgen, gleich morgen, ganz bestimmt.

      Aber da hatte er sich in ihr getäuscht. Maureen gehörte nicht zu den Frauen, die solchen Versprechungen glaubten. Ihr genügte die Enttäuschung, überhaupt betrogen worden zu sein. Nicht mit einem One-Night-Stand, nein, über Wochen, wie ihr sein Online-Kalender verriet, den sie noch in derselben Nacht heimlich durchstöberte. Bisher hatte sie diesen als Severins Privatsphäre betrachtet und war davon ausgegangen, dass der Timer sowieso nur Geschäftstermine enthielt. Aber sie wollte es jetzt genau wissen und stellte fest, das stimmte nicht.

      Nach einer durchweinten Nacht verlangte sie von Severin am nächsten Morgen, seine Sachen zu packen und auszuziehen. Es folgte ein unschöner Streit, dann war es vorbei.

      Seither lebte sie alleine und manchmal erschien ihr die große Wohnung entsetzlich leer. Wenn sie abends heimkam, stellte sie als erstes das Radio an, um die Stille zu vertreiben. Die Leere in ihrem Bett ließ sich jedoch weder durch einen Vibrator noch durch Masturbation vertreiben. Dies dämpfte nur ihre körperlichen Bedürfnisse, wirklich befriedigt wurden sie davon nicht. Die Berührung von Lippen auf ihrer Haut, das lüsterne Stöhnen des Partners, dies waren Dinge, die sich nicht simulieren ließen.

      Es war deshalb sehr lieb, dass ihre Freundinnen sich Sorgen machten und Maureen wieder in einer glücklichen Beziehung sehen wollten, aber würde das funktionieren?

      Sich auszuziehen, einander nackt gegenüber zu treten und Sex zu haben war vermutlich nicht so schwer. Aber wie sollte sie ihre Seele wieder einem neuen Partner öffnen, ihn in ihre intimsten Gedanken und Ängste, in ihre Hoffnungen und Träume einbeziehen, mit ihm ihre Zukunft planen?

      Sie war kein Angsthase und gewohnt, für sich selbst zu entscheiden und analytisch vorzugehen. Also würde sie genau das auch heute Abend machen.

      5

      Das war’s dann also. Ein schlechter Tag für die Erfüllung seines Horoskops. Die Unwägbarkeiten des Lebens wie ein ganz gewöhnlicher Stau waren in der Prognose nicht berücksichtigt. Zwar setzte sich die Kolonne gerade wieder in Bewegung, aber seine Zeit war vorbei. Die rötlichen Berge in der Ferne verblassten langsam in der einsetzenden Dämmerung.

      Verdammt,


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