Mein. Lilly Grünberg
Spalt weit offen.
Immer noch schob sich die Autoschlange an ihnen vorbei, nur hatte das Tempo inzwischen ein wenig zugenommen. Der Stau schien wieder in Fluss zu kommen.
Maik müsste jetzt gerade das Restaurant betreten.
Ein Klacken verkündete das Lösen der Sperre, Linus griff unter die Haube, um diese anzuheben und zu justieren. »Wie viel Benzin ist noch im Tank?«
»Halb voll«, kam die prompte Antwort.
Das also war es nicht. Zwei halbvolle Benzin- und Dieselkanister hatte er für den Notfall immer dabei, auch wenn es nicht allzu oft vorkam, dass jemand wegen eines leeren Tanks liegenblieb.
»Starten Sie mal bitte?«
Es klang jämmerlich. Beim dritten Versuch sprang der Motor zwar an, aber nur, um gleich wieder mit einem kläglichen Röcheln abzusaufen.
»Okay, reicht schon. Ich werde die Batterie Ihres Wagens mal an meine Messeinheit anschließen. Hört sich an, als ob sie leer ist.«
»Aha«, murmelte Gehrke, die wieder ausgestiegen war. »Kann denn das sein? So alt ist die Batterie doch noch gar nicht.«
»Ist nur eine Theorie. Manchmal macht die Winterkälte den Batterien zu schaffen«, erwiderte Linus, während er die Klemmen an der Batterie befestigte. »Ich vermute aber mal, dass Ihr Wagen nachts in einer Garage steht?« So gepflegt wie er trotz der Wetter bedingten Schmutzspritzer aussieht, fügte er im Stillen hinzu.
»Ja, ich hab einen Tiefgaragenstellplatz«, erwiderte sie. »Zum Glück. Sonst müsste ich im Winter jeden Morgen Eis kratzen. Das wäre echt ätzend.«
Linus nickte. Leider bestätigte sich seine Vermutung nicht, dass der Fehler bei der Lichtmaschine zu suchen wäre. In diesem Fall hätte er die Batterie aufgeladen, und seine Kundin hätte vielleicht selbst bis zur nächsten Werkstatt fahren können.
»Wohin müssen Sie denn heute noch?«
»Feldkirchen.«
»Kenne ich gut. Sie wohnen dort?«
»Ja.«
Aha, vermutlich war sie eine von Hunderten, die sich täglich auf dieser Strecke bewegten. Als Engel der Straße war ihm nur allzu bekannt, dass die Staus im Feierabendverkehr zwischen München und Ingolstadt zum Großteil durch Pendler verursacht wurden. Obwohl Linus selbst viel Zeit auf der Straße verbrachte, war er froh, dass er diesem allmorgendlichen und allabendlichen Stress selten ausgesetzt war. Zum Glück gehörte wenigstens die Riesenbaustelle inzwischen der Vergangenheit an, bei der man den Standstreifen zu einer vierten Fahrspur ausgebaut hatte, um den Verkehr etwas zu entzerren. Die Unfallhäufigkeit hatte dies nur unwesentlich herabgesetzt.
Selbst die neue Software seines Analysegerätes, das Linus im Heck seines Wagens mit sich führte, brachte ihm keine neue Erkenntnis. Zwar konnte er sich nicht in jegliches System perfekt einloggen, wenn die Hersteller keinen entsprechenden Zugang freigegeben hatten, aber selbst wenn – wie heute – so musste er nicht zwingend fündig werden.
Auch weitere Untersuchungen und Fremdstarts mittels Überbrückungskabel lösten das Problem nicht. Der Motor des Kleinwagens erstarb jedes Mal nach wenigen Sekunden. Es wurmte Linus, dass er nicht erfolgreich war. Einer der Klassiker unter den Ursachen war eine gelöste Kabelverbindung. Heute aber hatte sich offenbar mehr als nur sein geplatztes Date gegen ihn verschworen. Wohl oder übel musste er einsehen, dass er nichts für die junge Dame tun konnte.
»Tja, tut mir leid, Frau Gehrke. Aber das Problem scheint tiefer zu sitzen. Ganz untypisch für Knutschkugeln«, versuchte er ihre betrübte Miene aufzuheitern und tatsächlich kicherte sie über seine Bemerkung. »Also, ich kann Ihnen einen Abschleppdienst rufen und der bringt Sie zusammen mit Ihrem Wagen zu der Werkstatt Ihrer Wahl, und von dort können Sie mit einem Leihwagen oder Taxi heimfahren. Die Kosten dafür übernimmt natürlich der Club für Sie als Mitglied.«
»Schade«, erwiderte sie. Die Enttäuschung war ihr ins Gesicht geschrieben. Inzwischen war es dunkel und um einiges kälter geworden, und es war nicht zu übersehen, dass sie fror. Ihre schöne modische Jacke war sicherlich für die Fahrt in einem beheizten Auto ausreichend warm, jedoch nicht, um längere Zeit draußen herumzustehen.
»Wissen Sie was, setzen Sie sich in meinen Wagen. Ich lass die Standheizung ein wenig laufen, während wir warten. Dann wird es schnell warm.«
Nachdem Linus angerufen, die Motorhaube geschlossen und auch in seinem eigenen Wagen alles wieder versorgt hatte, nahm er auf dem Fahrersitz Platz und knipste das Licht über dem Spiegel an.
»Was glauben Sie, wird das eine teure Reparatur?«
Schulterzuckend schaute er sie an. »Schwer zu sagen. Kann etwas Mechanisches sein oder ein Elektronikfehler. Fahren Sie jeden Tag diese Strecke?«
»Ja, ich arbeite in Manching, als Sachbearbeiterin.«
Linus nickte wissend. »Flugzeugbranche?«
Gehrke grinste. »Sie kennen sich aus.«
»Nervt das nicht, jeden Tag dieser Stress auf der Straße?«
»Wenn’s so läuft wie heute, dann schon. Ich habe auch schon mal überlegt, nach Ingolstadt zu ziehen.«
»Das wäre um einiges näher.«
Irgendwie wusste er nichts mit seinen Händen anzufangen und legte sie daher auf das Lenkrad. Die junge Frau war dezent geschminkt und ihr Gesicht war von einer angenehm natürlichen Schönheit, die selbst von ein paar Sommersprossen nicht getrübt wurde. Wenn sie ihn ansah, strahlten ihre grünen Augen im Licht der Innenbeleuchtung wie zwei Smaragde.
»Ja, aber – die Mieten in Ingolstadt sind inzwischen auch sehr hoch und eine schöne Wohnung habe ich dort nicht gefunden. Außerdem wohnen meine Eltern und meine Freunde auch alle in München und Umgebung. Die Entscheidung ist echt schwer.«
Das hörte sich ein bisschen an, als würde sie alleine leben, sonst hätte sie bestimmt einen Partner oder eine eigene Familie erwähnt.
»Ingolstadt ist also keine Option«, stellte Linus abschließend fest.
»Nein, zumindest nicht im Augenblick.«
Würde sie in Ingolstadt wohnen, könnte sie morgens ein wenig länger schlafen. Aber dann säße sie vermutlich jetzt nicht neben mir. Irritiert über seinen Gedanken, schaute er kurz auf das Lenkrad, dann wieder zu ihr hinüber. Sie war sympathisch, sehr sogar. Eine hübsche, natürlich wirkende junge Frau.
Ein Glücksimpuls durchfuhr ihn und entspannt legte er seine Hände auf die Oberschenkel. Warum beruhigte ihn die Annahme, dass sie Single war? In wenigen Minuten würde der Abschleppwagen kommen. Dann trennten sich ihre Wege und sie würden sich nie wieder sehen.
Ihre Lippen wirkten ein wenig trocken, und als hätte sie seinen Gedanken gehört, zückte sie einen Labello aus der Jackentasche. Er sah ihr dabei zu, wie sie mit dem Stift ihre Lippen nachfuhr. Verdammt, war das sexy. Zu gerne würde er mit seiner Zunge … Nun reiß dich mal zusammen!
Seine Augen wollten nicht von ihr weichen. Ihre von einem Haargummi kaum gebändigte feuerrote Lockenpracht entfaltete sich über ihren Schultern. Die Frau war eine Nixe! Soviel stand für Linus fest. Was für ein Anblick!
Der Schweiß brach ihm in den Handflächen aus und verstohlen wischte er sich über die Schenkel.
»Also, wenn Sie möchten, dann – können Sie mit mir mitfahren. Wir folgen dann einfach dem Abschleppwagen.«
Ihr Lächeln war umwerfend.
»Gerne. Aber haben Sie denn nichts anderes vor? Ihre Familie wartet doch bestimmt schon auf Sie?«
»Nein, ich lebe zur Zeit alleine.«
»Ach so, Strohwitwer.«
Du meine Güte, sie hatte ihn missverstanden. Allein ihr direkter Blick brachte ihn schon völlig durcheinander,