Mein. Lilly Grünberg
ebenso wenig wie ihn ihr Privatleben!
»Äh nein, ich meine, ich lebe überhaupt alleine.«
Nun senkte sie kurz die Lider, als wäre sie ein wenig verlegen. Hatte sie ohne Nachzudenken gefragt, aus purer Neugierde?
»Sie müssen also kein schlechtes Gewissen haben, aber wenn Sie lieber in den Abschleppwagen umsteigen?« Ein kurzer Blick in den Seitenspiegel zeigte ihm, dass dieser sich auf der Standspur näherte.
»Nein! Nein, ich würde sehr gerne bei Ihnen mitfahren.«
»Prima. Ich steig schon mal aus und helf dem Fahrer beim Aufladen. Sie können gerne sitzen bleiben.«
»Danke.«
6
Kopfschüttelnd betrachtete Maik das Konterfei seines Freundes in der Kontakteliste. Idiot, formulierten seine Lippen stumm. Das Handy beiseite legend versuchte er sich wieder auf seine Programmierung zu konzentrieren, was ihm nach Störungen jeglicher Art normalerweise mühelos gelang, als überlegte sein Gehirn in einem automatikgesteuerten Paralleluniversum weiter. Einsatzbereit lagen seine Finger auf den Tasten, bereit seine Anweisungen synchron zu übertragen. Aber – nichts. Sein Blick schweifte am Monitor vorbei durch den nüchtern gestalteten Raum, dessen einziger optischer Reiz in mehreren stachligen Kakteen bestand, die sein Kollege Tim auf dem Fensterbrett pflegte.
Der breite Bürostuhl mit dem abgewetzten Leder auf den Armlehnen klappte nach hinten. In der ansonsten funktional und modern eingerichteten Büroumgebung machte sich das Monstrum mit den deutlichen Abnutzungsspuren wie ein Fremdkörper aus. Trotzdem hatte der Chef schulterzuckend dem Einzug von Maiks persönlichem Baby zugestimmt, vielleicht weil er ahnte, dass sein Programmiergenie auf diesem Stuhl zu Höchstform auflief.
Schnaufend streckte dieser nun seine Beine von sich, legte den Kopf zurück und die Hände über dem Bauch zusammen, um nachzudenken.
»Was ist denn mit dir los? Funkloch?«, fragte Tim, einen kritischen Blick zu Maik hinüber werfend.
Funkloch war für sie ein Synonym gleichbedeutend damit, dass die Programmierung oder ein anderer Arbeitsvorgang gerade mangels Ideenansatz stoppte. Das konnte jedem Mal passieren. Schließlich waren sie immer noch Menschen, keine Roboter, auch wenn andere das gelegentlich abschätzig behaupteten, weil sie manchmal den ganzen Tag in ihre Tastatur hämmerten, ohne dass man den Eindruck hatte, sie würden atmen oder hätten andere menschliche Bedürfnisse.
Für gewöhnlich redeten Maik, Tim und die beiden Grafiker Melanie und Thorsten, die dasselbe Büro teilten, nicht viel miteinander. Zwar halfen sie sich bei Problemen, manchmal arbeiteten sie sogar am selben Projekt, aber zumindest Maik und Tim lagen nicht auf derselben Wellenlänge. Ihr Umgang war sachlich und reduziert, aufs Notwendigste beschränkt. In einer nicht ausgesprochenen stillen Vereinbarung waren sie übereingekommen, sich einfach in Ruhe zu lassen und zu respektieren, so dass private Informationen völlig außen vor blieben.
Deshalb empfand Maik die Frage seines Kollegen im Augenblick als lästig und erwiderte einsilbig: »Just a break.«
Er schloss die Augen, um nochmal den Wortlaut des Telefonats zu überdenken. Warum hatte Linus ihn nicht ins Vertrauen gezogen? Sie waren dicke Freunde seit der Grundschule, hatten jede Ferien miteinander verbracht, trafen sich mindestens einmal die Woche. Nicht ein einziges Wort hatte Linus über diese Partnervermittlung verloren. War es ihm einerseits so wichtig, die Frau fürs Leben zu finden, andererseits dieser Weg zu peinlich, um ihn seinem besten Freund anzuvertrauen? Und warum zum Teufel hatte er nicht sein eigenes Foto verwendet?
Eigentlich war dies doch nichts anderes als ein Blind Date. Vielleicht hatte die Frau ja ebenfalls ein falsches Foto gepostet, falsche Informationen eingegeben, angepasst an das, was Linus ihr unwissentlich als Köder geliefert hatte. Was, wenn Linus sich in seinem unbeirrbaren, unsäglichen Glauben an dieses dämliche Horoskop Hals über Kopf in ein Liebesabenteuer stürzte, das ihm das Herz brach?
Maik setzte sich wieder auf und betrachtete sein Spiegelbild in der glänzenden Scheibe des Monitors, der sich mittlerweile zu einem schwarzen Bildschirmschoner gedimmt hatte, der nichts als die aktuelle Uhrzeit anzeigte. Er selbst empfand sich nicht als schlecht aussehend und er hatte auch kein Problem damit, pummelig zu sein. Seine Eltern hatten stets hinter ihm gestanden und ihm geholfen, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Auch bei seiner Freundschaft mit Linus waren Äußerlichkeiten nie ein Thema gewesen. Sie verstanden sich einfach gut, heckten zusammen Streiche aus, vertrauten sich – bis jetzt.
Warum hat er mein Foto verwendet? Maik zog die Stirn in Falten. Bei allem Selbstbewusstsein war ihm durchaus klar, dass er es mit Linus’ Erscheinungsbild nicht aufnehmen konnte. Sein Freund war so attraktiv, dass die Frauen ihn anhimmelten, aber das genügte nicht. War es das? Hoffte Linus auf eine weniger oberflächliche Beziehung, indem er sich als äußerlich weniger optimiert ausgegeben hatte?
Eigentlich sollte er deswegen sauer auf ihn sein. Aber Maik hatte ein großes Herz, er konnte einfach nicht. Und wenn es so war, wie kam Linus darauf, dass dies eine gute Idee sei? Denn wenn – na, dann hätte doch Maik inzwischen längst selbst die Liebe seines Lebens gefunden. Dem war jedoch nicht so. Ihn nahmen die Frauen nicht ernst. Er war wohl nichts mehr als ein gemütlicher Teddybär, und wenn sie davon genug hatten, sehnten sie sich nach einem Mann, der vorzeigbarer war. Vermutlich spätestens dann, wenn ihre innere Uhr die Auswahl für den späteren Samenspender ihres Nachwuchses in Frage stellte. Wie auch immer. Solange Maik von Zeit zu Zeit ein erotisches Abenteuer erlebte, bei dem er auf seine Kosten kam, war ihm eine echte Beziehung nicht wichtig. Im Grunde genommen war er doch eher mit seiner Arbeit verbandelt. Bei richtiger Eingabe machte das Programm genau das, was er wollte. Von Frauen ließ sich das nicht behaupten.
Egal. Was war das für eine Frau, die sich angeblich in dieses rundliche Gesicht mit der Stupsnase, der eher blassen Haut mit unzähligen Sommersprossen, und dem kleinen Mund verguckt hatte, hinter dem sich ein paar unkonventionell stehende Zähne offenbarten? Was für Absichten verfolgte sie wirklich?
Noch ehe Maik zu Ende gedacht hatte, wurden seine Finger wie von selbst auf dem Handydisplay aktiv. Es galt, seinen Freund vor dessen grenzenloser Naivität zu schützen und diese Frau in Augenschein zu nehmen, die ihn ins Unglück stürzen könnte.
»Also Alter, nochmal zu deinem Anliegen: du willst wirklich, dass ich dahin gehe und dich vertrete?«, fragte Maik, kaum dass das Wählsignal verstummt war.
»Ja, sicher, du würdest mir wirklich einen Riesengefallen tun. Erklär’ ihr die Situation. Irgendwie. Bitte. Sag ihr, wie leid es mir tut. Das ist zumindest persönlicher als zu schreiben.«
Anscheinend war sein Freund jetzt schon gespannt auf die Reaktion seines Dates.
»Na gut, du verrückter Idiot. Ich mach’s. Allerdings musst du mir noch erklären, warum du mein Foto verwendet hast.«
Er hörte, wie Linus einen Seufzer von sich gab. Tja Alter, du hast dir das eingebrockt, nun mal raus mit der Wahrheit.
»Es ist keine Zeit für Erklärungen. Du hast noch genau fünf Minuten.«
Maik gab ein gequältes Lachen von sich. »Also im Prinzip gar keine Zeit, Umziehen ist da nicht mehr drin.« Er sah an sich herab. Na ja, wenigstens war da kein Ketchup-Fleck vom Mittags-Hamburger auf dem Shirt. Zwar legte er auf seinen Kleidungstil nicht so viel Wert, aber durchaus auf Sauberkeit, vor allem wenn es darum ging, eine Frau zu treffen. »Aber dass dir eins klar ist, die Sache mit dem Foto hat noch ein Nachspiel. Von wegen Datenschutz und so. Da bist du mir was schuldig!«, knurrte er verärgert. »Also, sie erkennt mich, und was ist mit mir? Wie sieht SIE aus? Und wie heißt sie überhaupt?«
»Maureen«, stieß Linus atemlos hervor.
Mann, dem ging wohl