Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf
Examen, und darin gab man ihr recht, meinte nur, man könnte es doch nicht ändern, nur um Karl Arturs willen.
Im Spätherbst 1829, als Karl Artur im siebenten Semester in Uppsala war, schrieb er zur größten Freude der Frau Oberst, er habe sich nun zu einer lateinischen Prüfung angemeldet. Es sei ja kein so besonders schweres Examen, schrieb er, aber doch ein wichtiges, denn man müsse im Lateinischen durchaus bewandert sein, wenn man zum großen Examen zugelassen werden wolle.
Karl Artur machte nicht viel Aufhebens von dieser schriftlichen Arbeit. Er sagte nur, es wäre gut, sie hinter sich zu haben. Er habe sich ja freilich nicht eingehender mit dem Lateinischen befasst wie viele andere auch, aber er dürfe doch wohl hoffen, gut durchzukommen. – In diesem Brief äußerte er auch, dies werde in diesem Semester das letzte Mal sein, dass er seinen lieben Eltern schreibe. Sobald ihm der Ausfall des Examens bekannt sei, wolle er sich auf den Heimweg machen. Und am letzten Tage des Novembers hoffe er bestimmt, seine Eltern und Schwestern wieder in seine Arme zu schließen.
Nein, Karl Artur hatte gewiss nicht viel Wesens aus der lateinischen Prüfung gemacht, und darüber war er recht froh, denn, kurz gesagt – er fiel durch. Die Professoren erlaubten sich tatsächlich, ihn durchfallen zu lassen, obwohl er in seinem Abgangszeugnis von Karlstadt in allen Fächern die beste Examensnote gehabt hatte.
Karl Artur war eigentlich viel mehr entsetzt und überrascht als gedemütigt. Er konnte auch seine Ansicht darüber, dass seine Art, die lateinische Sprache zu behandeln, viel für sich habe, nicht ändern. Gewiss war es sehr ärgerlich, als Unterlegener heimzukommen; aber er glaubte doch, seine Eltern, oder wenigstens seine Mutter, würden einsehen, dass seine Niederlage in gewissen Spitzfindigkeiten ihren Grund habe. Die Professoren in Uppsala wollten wohl zeigen, dass sie größere Anforderungen stellten als das Gymnasium in Karlstadt, oder sie hatten es vielleicht als Beweis von allzu großem Selbstbewusstsein aufgefasst, dass Karl Artur keine lateinischen Vorlesungen besucht hatte.
Die Reise von Uppsala nach Karlstadt nahm mehrere Tage in Anspruch, und Karl Artur hatte sicherlich sein Missgeschick schon vergessen, als er am dreißigsten November in der Abenddämmerung durch das Osttor in seine Heimatstadt einfuhr. Er war sogar ganz zufrieden mit sich selbst, weil er genau an dem Tage heimkam, den er angegeben hatte. Er malte sich aus, wie seine Mutter nun am Salonfenster stehen und nach ihm ausspähen werde, während die Schwestern den Kaffeetisch richteten.
In derselben guten Stimmung fuhr Karl Artur durch die ganze Stadt, bis er aus den engen, winkeligen Gassen hinauskam und den Fluss sowie an dessen rechtem Ufer das Ekenstedtsche Haus erblickte. Aber um alles in der Welt, was war denn darin los? Das ganze Haus war hell erleuchtet und lag so strahlend da wie eine Kirche am Weihnachtsmorgen. Und Schlitten, dicht besetzt mit in Pelze gehüllten Menschen, glitten an ihm vorbei, und zwar alle seinem Vaterhause zu.
»Sie müssen daheim ein großes Fest feiern«, dachte er, und dieser Gedanke war ihm gar nicht angenehm. Er war ja von der Reise müde und würde nun keine Zeit zum Ausruhen haben, sondern musste sich umziehen und den Gästen bis Mitternacht Gesellschaft leisten. – Doch plötzlich wurde er unruhig.
»Wenn nur Mama nicht ein Fest veranstaltet hat, um meine lateinische Prüfung zu feiern!«
Er befahl dem Kutscher, am Nebeneingang zu halten, und stieg dort aus, um nicht mit den Gästen zusammentreffen.
Ein paar Minuten später wurde die Frau Oberst gebeten, sich ins Zimmer der Haushälterin zu begeben, um Karl Artur zu begrüßen, der soeben angekommen sei.
Frau Beate war in großer Sorge gewesen, ob Karl Artur auch rechtzeitig zum Fest erscheinen werde, und sie war überglücklich, als seine Ankunft gemeldet wurde.
Rasch eilte sie zu ihm.
Aber Karl Artur begrüßte sie mit strengem Blick. Er schien nicht zu sehen, dass sie ihm die Arme entgegenstreckte. Ja, er machte nicht einmal Miene, sie zu begrüßen.
»Was geht hier vor?«, fragte er. »Wozu ist gerade heute die ganze Stadt hierher eingeladen?«
Da war keine Rede mehr von »geliebten Eltern«. Karl Artur bezeigte nicht die geringste Freude über das Wiedersehen mit seiner Mutter.
»Ich dachte mir, wir wollten eine kleine Feier haben, nun du das schreckliche Examen hinter dir hast«, sagte Frau Beate.
»Du hast wohl gar nicht mit in Rechnung gezogen, dass ich auch durchfallen könnte«, versetzte Karl Artur. »Aber ich bin tatsächlich durchgefallen.«
Die Frau Oberst stand ganz bestürzt da.
Nein, der Gedanke, Karl Artur könnte durchfallen, wäre ihr allerdings niemals in den Sinn gekommen.
»An und für sich hat es auch gar nichts zu sagen«, fuhr Karl Artur fort. »Aber braucht es denn gleich die ganze Stadt zu wissen? Du hast wohl alle die Leute eingeladen, Mama, um meine Triumphe zu feiern?«
Die Frau Oberst stand noch immer wie aus den Wolken gefallen da.
Seht, sie kannte ja die Karlstädter! Diese hielten Fleiß und Sparsamkeit wohl für große Vorzüge bei einem Studenten, aber es war ihnen nicht genug. Sie erwarteten auch Preise von der Schwedischen Akademie und Disputationen, die so glänzend waren, dass alle die alten Professoren unter ihren Bärten erbleichten. Die Karlstädter erwarteten geistreiche Improvisationen bei den Nationalfesten und Einladungen in die literarischen Kreise, zu Professor Geijer oder zu dem Landeshauptmann von Krämer oder zu der Frau Oberst Silfverstolpe.
So fassten die Karlstädter es auf; aber in Karl Arturs bisheriger Laufbahn hatten sie noch nichts von Glanz und Auszeichnung entdecken können, was seine hervorragende Begabung bewiesen hätte. Ja, das vermissten die Leute. Frau Beate wusste es nur allzu gut, und wenn nun Karl Artur endlich eine Probe seiner Kenntnisse abgelegt hatte, so meinte sie, es könne nichts schaden, wenn man etwas Klimbim darüber machte.
Aber dass Karl Artur durchfallen könne, damit hatte sie freilich nicht gerechnet.
»Niemand weiß etwas Bestimmtes«, sagte sie endlich nachdenklich. »Niemand außer den Leuten im Hause. Die andern haben nur gehört, es handle sich um eine freudige Überraschung.«
»Dann musst du dir nun eine solche ausdenken, Mama«, versetzte Karl Artur. »Ich will jetzt auf mein Zimmer gehen und komme nicht zu Tisch herunter. Nicht, dass ich mir einbildete, die Karlstädter nähmen es besonders tragisch, dass ich durchgefallen bin; aber ich will ihr Mitleid nicht sehen.«
»Aber was sage ich nur den Leuten?«, klagte die Frau Oberst.
»Das überlasse ich ganz dir, Mama«, erwiderte Karl Artur. »Ich gehe jetzt hinauf. Die Gäste brauchen ja nicht zu wissen, dass ich da bin.«
Aber dies war doch zu schmerzlich und ganz unmöglich. Da sollte die Frau Oberst an der Tafel sitzen und geistreich sein, und dabei sollte sie denken müssen, dass ihr Sohn nun traurig und verstimmt in seiner Stube hockte. Sie sollte ihre Augen nicht an ihm weiden dürfen – nein, das war zu bitter für die Frau Oberst.
»Liebster Karl Artur, du musst zum Essen herunterkommen. Es fällt mir schon noch etwas ein.«
»Was wird dir denn einfallen?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht. – Doch, nun hab ich’s! Du wirst ganz zufrieden sein. Es soll kein Mensch auf den Gedanken kommen, das Fest sei deinetwegen angeordnet worden. Versprich mir nun, dass du dich gleich umziehst und herunterkommst.« –
Es war ein durchaus gelungenes Fest. Unter all den vielen glänzenden und wohlgelungenen Festen im Hause Ekenstedt war dies eines der erinnerungswürdigsten.
Beim Braten, als der Champagner herumgereicht wurde, kam auch wirklich die Überraschung. Der Herr Oberst erhob sich und bat die Versammelten, mit ihm auf das Wohl des Leutnants Sten Arcker und seiner Tochter Eva zu trinken, deren Verlobung er hiermit bekannt machen wolle.
Das gab einen Jubel!
Der Leutnant Arcker war ein armer Kerl, ohne viel Aussichten auf Beförderung. Man wusste allerdings, dass er schon lange für Eva Ekenstedt geschwärmt hatte, und weil die