Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf
die Frau Oberst werde dem Leutnant einen Korb geben.
Später sickerte es allerdings doch durch, wie das mit der Veröffentlichung zusammenhing. Aha, die Frau Oberst hatte die Verlobung zwischen Eva und Arcker nur zugegeben, damit niemand merken sollte, dass die den Gästen ursprünglich zugedachte Überraschung ins Wasser gefallen war!
Aber da war niemand, der die Frau Oberst darum weniger bewundert hätte. Im Gegenteil! Man sagte nur, niemand verstünde es besser, sich schweren und überraschenden Lebenslagen anzupassen als die Frau Oberst Ekenstedt.
2
Wenn sich jemand etwas gegen die Frau Oberst Ekenstedt hatte zuschulden kommen lassen, so erwartete diese stets, dass der Missetäter kommen und sie um Verzeihung bitten werde. Wenn diese Zeremonie überstanden war, dann vergab sie alles von ganzem Herzen und war nachher ebenso freundlich und zutraulich wie zuvor.
Während der ganzen Weihnachtsfeiertage hoffte sie, Karl Artur werde sie um Verzeihung bitten, weil er an jenem Festabend, an dem er von Uppsala gekommen war, so hart mit ihr geredet hatte. Sie fand es ja verständlich, dass er sich in der ersten Hitze hatte hinreißen lassen, aber sie konnte nicht begreifen, dass er sein Unrecht gar nicht einzusehen schien, obwohl er inzwischen Zeit genug zum Nachdenken gehabt hatte.
Aber Karl Artur ließ die Weihnachtsfeiertage vorübergehen, ohne ein Wort des Bedauerns oder der Reue zu äußern. Er unterhielt sich wie gewöhnlich mit Einladungen und Schlittenpartien und war daheim liebenswürdig und aufmerksam. Aber er sagte die paar Worte nicht, auf die Frau Beate wartete. Unbemerkt von den anderen richtete sich eine unsichtbare Mauer zwischen Mutter und Sohn auf, und so kamen sie einander nicht mehr richtig nahe. Mangel an Liebe oder zärtlichen Reden war auf keiner Seite zu bemerken, aber das trennende Etwas war dennoch vorhanden.
Als Karl Artur wieder nach Uppsala zurückgekehrt war, hatte er nur noch den einen Gedanken, seine Niederlage wiedergutzumachen. Wenn die Frau Oberst eine schriftliche Abbitte erwartet hatte, so sah sie sich getäuscht. Karl Artur schrieb nur noch über seine lateinischen Studien. Jetzt hatte er bei zwei Dozenten lateinische Vorlesungen belegt, ging auch Tag für Tag in die Hörsäle und war außerdem noch Mitglied eines Vereins, in dem man sich in lateinischen Disputationen und im Reden übte.
Er schrieb die hoffnungsvollsten Briefe heim, und die Frau Oberst antwortete in dem gleichen Geist. Aber dennoch war sie seinetwegen ängstlich. Er war unartig gegen seine Mutter gewesen und hatte sie nicht um Verzeihung gebeten. Dafür blieb doch am Ende die Strafe nicht aus.
Nicht, dass sie ihrem Sohne diese Strafe gewünscht hätte. O nein, sie flehte zu Gott, er möchte ihm dieses kleine Vergehen nicht zurechnen, sondern alles vergessen sein lassen. Auch versuchte sie ihrem Herrgott zu erklären, dass alles ihre Schuld gewesen sei. »Ich allein bin dumm und eitel gewesen und wollte mit seinen Fortschritten prahlen«, sagte sie. »Nicht er verdient Strafe, sondern ich allein.«
Trotzdem fuhr sie fort, in jedem Briefe nach den Worten zu suchen, nach denen sie sich so sehr sehnte. Da aber diese Worte nie kamen, wurde sie immer unruhiger. Sie hatte das Gefühl, dass Karl Artur niemals Glück in seinen Arbeiten haben könne, solange er ihre Verzeihung nicht erhalten hatte.
Eines schönen Tages gegen Semesterschluss erklärte die Frau Oberst, sie wolle nach Uppsala reisen und ihre gute Freundin Malla Silfverstolpe besuchen. Die beiden hatten einander im letzten Sommer bei den Gyllenhaals auf Kavlås getroffen und sich da so eng befreundet, dass die gute Malla Frau Beate gebeten hatte, im Winter nach Uppsala zu kommen, damit sie die Bekanntschaft ihrer literarischen Freunde mache.
Ganz Karlstadt stand auf dem Kopf, weil die Frau Oberst eine solche Reise gerade während des Tauwetters unternehmen wollte. Hier hätte der Oberst die Erlaubnis verweigern müssen, das war die allgemeine Ansicht. Aber der Herr Oberst war ans Jasagen gewöhnt, und so reiste die Frau Oberst ab.
Die Reise war schrecklich, ganz wie die Karlstädter vorausgesagt hatten. Mehrere Male blieb der Wagen im Schmutze stecken, sodass er mit Stangen wieder herausgehoben werden musste. Einmal brach eine Feder und ein andermal die Wagendeichsel. Doch die Frau Oberst kämpfte sich durch. Klein und schwach war sie, aber tapfer und lustig, und Gastwirte und Rossknechte, Schmiede und Bauern, mit denen sie zu tun hatte, wären durchs Feuer für sie gegangen. Es war, als wüssten sie alle, wie notwendig es war, dass sie nach Uppsala kam.
Natürlich hatte die Frau Oberst zwar Frau Malla Silfverstolpe ihre Ankunft angekündigt, nicht aber Karl Artur, ja, sie hatte Frau Silfverstolpe gebeten, ihn nichts davon wissen zu lassen.
Als Frau Beate bis nach Enköping gelangt war, gab es einen neuen Aufenthalt. Es waren nur noch ein paar Meilen bis Uppsala, aber ein Rad war losgegangen, und ehe dieses wieder befestigt war, konnte man nicht weiterfahren. Frau Beate war in schrecklicher Unruhe. Sie war ungewöhnlich lange unterwegs gewesen, und die lateinische Prüfung konnte jeden Tag stattfinden. Und sie fuhr doch nur nach Uppsala, um Karl Artur Gelegenheit zu geben, sie zuvor noch um Verzeihung bitten zu können. Sie war überzeugt, dass ihm keinerlei Studien und keine Vorlesungen helfen könnten, ehe dies geschehen war. Er würde unfehlbar wieder durchfallen – ganz unfehlbar.
Sie hatte keine Ruhe in dem Zimmer, das der Gastwirt ihr angewiesen. Unaufhörlich lief sie die Treppe hinunter und über den Hof, um nachzusehen, ob der Schmied das Rad noch nicht gebracht habe.
Auf einem der Gänge sah sie ein Gefährt mit einem Studenten auf der Bank neben dem Kutscher in den Hof einfahren, und der Student, der nun heruntersprang, das war ja – nein, sie konnte ihren Augen nicht trauen –, das war ja Karl Artur!
Er trat auf seine Mutter zu, schloss sie aber nicht in die Arme, sondern ergriff ihre Hand, drückte sie an seine Brust und schaute mit seinen schönen, träumerischen Kinderaugen tief in die ihrigen.
»Mama«, sagte er, »vergib mir, dass ich an jenem Winterabend so hässlich zu dir war, als du das große Fest gegeben hast, um meine lateinische Prüfung zu feiern.«
Ach, das war fast ein zu großes Glück, um Wirklichkeit zu sein!
Frau Beate machte ihre Hand frei, schlang die Arme um Karl Artur und küsste ihn, wieder und immer wieder. Sie verstand nichts, sie wusste nur, dass sie ihren Sohn wiederhatte, und fühlte, dass dies der glücklichste Augenblick ihres Lebens war.
Dann zog sie ihn mit sich ins Haus, und nun kam die Erklärung.
Nein, er hatte seine Arbeit noch nicht gemacht, die Prüfung sollte am nächsten Tage stattfinden. Aber trotzdem war er auf dem Wege nach Karlstadt zu ihr.
»Du Närrchen«, sagte sie, »wolltest du in vierundzwanzig Stunden nach Karlstadt und wieder zurück reisen?«
»Nein«, versetzte er, »ich hatte alles aufgegeben; aber ich wusste, dies müsste durchaus geschehen. Ohne deine Verzeihung wäre mir doch nichts geglückt.«
»Aber mein Junge, dazu hätte es doch nur des allerkleinsten Wörtchens in einem Briefe bedurft.«
»Das habe ich dunkel und unklar während des ganzen Semesters gefühlt«, fuhr Karl Artur fort. »Ich war ängstlich; alle Zuversicht hatte mich verlassen, ohne dass ich merkte, weshalb. Erst heute Nacht ist mir ein Licht darüber aufgegangen. Ich hatte das Herz verwundet, das mit so viel Liebe für mich schlägt. Es war mir klar, dass ich nicht mit Erfolg arbeiten könnte, bevor ich nicht meine Mutter um Verzeihung gebeten hätte.«
Die Frau Oberst saß am Tische. Die eine Hand legte sie über ihre Augen, die voll Tränen standen, die andere streckte sie ihrem Sohn entgegen.
»Das ist wunderbar, Karl Artur«, sagte sie. »Sprich weiter!«
»Nun ja«, begann er. »Neben mir wohnt ein anderer Värmländer namens Pontus Friman. Er ist ein Pietist und verkehrt nicht mit anderen Studenten, deshalb war ich noch nie mit ihm in Berührung gekommen. Aber heute in aller Frühe ging ich zu ihm auf sein Zimmer und sagte ihm, wie es um mich stehe.
›Ich habe die liebevollste Mutter, die man haben kann‹, sagte ich. ›Aber ich habe sie verletzt und nicht um Verzeihung dafür gebeten. Was soll ich nun tun?‹«
»Und